In seinem „Diarium" (25.10.1930) erinnert sich Gerhart Hauptmann nach einem Ausflug: „Von Bolko von Hochberg und der Herrschaft Rohnstock wurde immer gesprochen" und: „Die Hochbergschen Geiger waren in meiner Jugend berühmt".
Ein „Hochbergscher Geiger" war der Standesherr auf Rohnstock, Hans Heinrich XIV. Graf Bolko von Hochberg, Sohn des Fürsten von Pleß. Nach dem Besuch des Maria-Magdalenen-Gymnasiums in Breslau studierte er an der Bonner und der Berliner Universität Jura sowie staatswissenschaftliche Fächer; außerdem wurde er Kompositionsschüler von Friedrich Kiel in Berlin. Seinem Eintritt in die diplomatische Laufbahn – er war von 1867-69 Gesandtschafts-Attachée in St. Petersburg – waren bereits 1864 die Uraufführung seines Singspiels Claudine von Villa Bella am Schweriner Hoftheater sowie die Drucklegung einiger Vokal-Werke vorausgegangen. Nach seiner Heirat 1869 mit Eleonora Prinzessin von Schönaich-Carolath verließ er den Staatsdienst wieder. Er lebte in Dresden, wo er zeitweilig ein hauseigenes Streichquartett unterhielt, und auf seinen schlesischen Besitzungen. Von seinen Kompositionen aus jener Zeit, die er unter dem Pseudonym Johann Heinrich Franz veröffentlichte, wären vor allem seine Lieder bzw. Vokal-Ensembles zu nennen; bemerkenswert dabei ist die häufigere Besetzung einer Contra-Alt-Stimme. 1876 brachte das Hoftheater in Hannover seine dreiaktige romantische Oper Die Falkensteiner (n. P. Frohberg) heraus. Im selben Jahr begründete er, mit beträchtlicher eigener finanzieller Leistung, die „Schlesischen Musikfeste" in Görlitz. Hochberg schloß an die Tradition solcher Veranstaltungen an, zu denen es in Schlesien seit 1830 immer wieder, jedoch ohne Regelmäßigkeit kam. Dem Vorbild der „Niederrheinischen Musikfeste“ folgend, wurden die „Schlesischen Musikfeste“ bald in ganz Deutschland zu einem Begriff. Sie fanden zunächst abwechselnd in Görlitz, Breslau und Hirschberg statt, später wurden sie ausschließlich in Görlitz ausgerichtet. Seinem Pseudonym treu bleibend, folgten für Hochberg Jahre fruchtbaren kompositorischen Schaffens; neben weiteren Vokalwerken wandte er sich zunehmend instrumentalen Gattungen zu (Kammermusik, Sinfonien op. 26 u. 28). Diese Werke vereinen klassische Formensprache und romantisches Empfinden mit handwerklichem Können. 1881 kam am Dresdner Hoftheater eine Neufassung seiner Oper Die Falkensteiner unter dem Titel Der Wärwolf heraus.
Hochbergs organisatorische Fähigkeiten, bei den „Schlesischen Musikfesten“ hervortretend, wurden so bekannt, daß ihn Kaiser Wilhelm I. 1886 kommissarisch als Nachfolger von Baron von Hülsen zum Generalintendanten der Königlichen Schauspiele in Berlin ernannte. 1887 folgte seine definitive Anstellung. In diesem Amt unterstanden ihm auch die kgl. Theater in Hannover, Wiesbaden und Kassel. Seine Amtszeit brachte besonders für die Berliner Oper einen wesentlichen Aufschwung. So räumte er den Werken Richard Wagners die ihnen gebührende Stellung im Spielplan ein. Nach den Berliner Erstaufführungen von Rheingold und Götterdämmerung 1888, wurden bald der Ring und Wagner-Zyklen zu alljährlichen Bestandteilen des Spielplanes. Eine besonders glückliche Hand hatte Hochberg im Engagement von Sängern und Dirigenten (J. Sucher, F. Weingartner, C. Muck), vor allem mit der Verpflichtung von Richard Strauss 1898. Die Berliner Hofoper setzte Maßstäbe hinsichtlich ihrer künstlerisch auf höchstem Niveau dargebotenen Aufführungen. Allerdings gelang es nicht, auch im Sinne einer fortschrittlichen, Vorbild gebenden, modernen Spielplangestaltung auf die deutsche Theaterwelt zu wirken. Infolge Gängelei durch das Kaiserhaus waren Hochberg die Hände gebunden. So setzte er zwar 1893 die Uraufführung des Hannele von Gerhart Hauptmann durch; den daraufhin erfolgten Vorschlag, Hauptmann mit dem Schiller-Preis auszuzeichnen, lehnte Kaiser Wilhelm II. ab. Schwierigkeiten mit dem Kaiserhaus bezüglich de Spielplangestaltung führten schließlich 1902 zu Hochbergs Rücktritt. Anlaß war die Oper Feuersnot von Richard Strauss. Sie „wurde … nach der 7. Aufführung nach Beanstandung durch die Kaiserin durch den Kaiser verboten, worauf der brave Hochberg – es sei ihm nochmals bedankt – demissionierte" (R. Strauss: Betrachten und Erinnerungen).
Hochberg war auch zeitweilig Präsident des „Bühnenvereins", der Arbeitgebervertretung des deutschen Theaterwesens, welcher die gewerkschaftliche „Bühnengenossenschaft" gegenüberstand. In dieser Eigenschaft hatte sich Hochberg besonders für soziale Belange der Bühnenschaffenden engagiert. Sein besonderes Verdienst der Abschluß von Verträgen mit Pensionsberechtigung gewesen. Als wohl mächtigster Vertreter der Theaterorganisation in Deutschland um die Jahrhundertwende sah sich Hochberg vielen Querelen ausgesetzt. Allzu griffig war das von seinen Gegnern benutzte Wort vom „Theaterjunker", wie sich beim Lesen von Polemiken aus jener Zeit (O. J. Bierbaum u. a.) herausstellt. Nach seinem Rücktritt 1902 zog sich Hochberg auf seine Besitzungen in Schlesien zurück, weiterhin die „Schlesischen Sängerfeste" organisierend und oftmals als Begleiter, nicht nur seiner Lieder, am Flügel sitzend. 1910 konnte in Görlitz die Stadthalle mit 2700 Plätzen errichtet werden, deren Bau wesentlich auf Hochbergs Initiative zurückging. Aus Anlaß der Einweihung wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
Später gab Hochberg sein Pseudonym auf und brachte seine Werke in Neuauflagen unter seinem Namen heraus. Als herausragende Werke erschienen noch das Klavier-Quartett op. 37 (Eulenburg Leipzig 1908) und das Klavierkonzert c-moll op. 42, das einen Abschluß seines kompositorischen Schaffens bedeutete, in „welchem er als Tonkünstler sein Bestes wohl gegeben hat" (Altmann). Auch einige Gesänge und Lieder erschienen noch, die „Schumannschen Volkston" in das 20. Jahrhundert hineintrugen. 1925 konnte Hochberg das Wiedererstehen seiner „Schlesischen Musikfeste" nach dem 1. Weltkrieg miterleben, die bis 1937 weitergeführt wurden, mit dem Berliner Philharmonischen Orchester unter namhaften Dirigenten. Angemerkt sei, daß zwei seiner Söhne, Hans Heinrich (1874-1933) und Gottfried (1882-1929) sich ebenfalls kompositorisch betätigten.
Werke: Lieder op. l, 11, 12, 13, 18, 23, 24, 25, 29, 30, 31, 33, 38, 39, Hochberg-Album u. Lieder u. Gesänge (jew. André Offenbach). – Ensembles, Duette, Chorwerke op. 10, 14, 15, 16, 32, 36. – Klavier-Trios op. 34, 35, Streichquartette op. 22, 27 1-2, Klavier-Quartett op. 37; Sinfonien op. 26,28 u. Nr. 3 (Ms.). – Klavierkonzert c-moll op. 42. – Opern: „Claudine von Villa Bella" n. J.W. v. Goethe v. M. Garve (UA 1864 Schwerin), „Die Falkensteiner" n. P. Frohberg (UA 1876 Hannover) desgl. Neufassung „Der Wärwolf (UA Dresden 1881).
Lit.: Riemann L. F. J. Machatius: „Bolko v. Hochberg", in: Die Musik in Geschichte u. Gegenwart, Bd. 6 Sp. 497ff. – ders.: „Görlitz", ebda. Bd. 5 Sp. 423ff. – J. Landau: Bolko Graf v. Hochberg. Zum 80. Geburtstag, in: Die deutsche Bühne XV/2 1923. – W. Altmann: Handbuch für Streichquartettspieler II, Wilhelmshaven 1972, S. 66. – M. Gondolatsch: Die schlesischen Musikfeste und ihre Vorläufer, Görlitz 1925. – M. Koch: Das Kgl. Schauspiel in Berlin unter der Leitung v. Graf Bolko v. Hochberg 1886-1902, Diss. Berlin 1957. – R. Strauss: Betrachtungen und Erinnerungen, Zürich 1949, S. 216. – J. Kapp: Geschichte der Staatsoper Berlin, Berlin 1942, S. 97ff.; G. Hauptmann: Diarium 1917-1933, Frankfurt a.M. 1980, S. 150f. – H. Scheunchen: Bolko v. Hochberg, in: Ostdeutsches Musiklexikon, Teil 1: Schlesien m. umfassender Werkübersicht.
Bild: Julius Kapp, Die Geschichte der Staatsoper Berlin.
Helmut Scheunchen