Biographie

Hoffbauer, Jochen

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 10. März 1923 in Geppersdorf, Liebenthal/Niederschlesien
† 17. August 2006 in Kassel-Harleshausen

Den detailliertesten Einblick in die literarische Welt Jochen Hoffbauers gewährt sein jüngstes und bislang umfangreichstes Werk, der 1991 erschienene Roman Schwalbental, dessen Untertitel EineJugend in Schlesien den autobiographischen Hintergrund des Buches anzeigt. Die zahlreichen Episoden und Erfahrungen eines heranwachsenden Jungen in einer niederschlesischen Kleinstadt sind in den brisanten Zeitbogen von der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 gespannt.

An diesem Hauptwerk läßt sich jetzt auch der das Schreiben Hoffbauers wohl am meisten prägende Zug, der nahezu vollständige Verzicht auf reflektierende oder kommentierende Darstellungsweise, in seiner vielfältigen Wirkung erkennen. So sind die persönlichen wie die politischen Ereignisse des Schwalbental-Buches in einer solchen Ausschließlichkeit aus dem Blickwinkel des zu Erzählbeginn zehnjährigen Protagonisten dargestellt, daß insbesondere die Nazi-Vorkommnisse hauptsächlich von ihrem Vorgangscharakter her festgehalten werden. Aber auch im Gefühlsbereich legt sich der Autor größte Zurückhaltung auf. Die einzige Mädchengeschichte von Belang, die dem sechzehnjährigen Norbert zustößt, endet in der für ihn bislang größten Enttäuschung. Lakonisch heißt es dazu im Text: „Mir wurde hundeelend, ich stürzte zur Toilette. Und schloß mich ein." Ein geschwätziges und larmoyantes Wundenlecken gibt es bei diesem Erzähler nicht. Ganz im Gegensatz zu den zahlreichen Adoleszenz-Geschichten unseres Jahrhunderts seit Hermann Hesses Unterm Rad fehlen in Schwalbental auch alle sensations- oder skandalträchtigen Pubertätserfahrungen. Statt dessen breitet Hoffbauer die kleinen Alltagsbegebenheiten seines Helden in Schule, Jugendgruppe, Kirche und Freizeit aus bis zu den ersten Berufserfahrungen in einer Anwaltspraxis. Letztere erfordern es, Jochen Hoffbauer in der noch ausstehenden Biographie über Arno Schmidt zu berücksichtigen; denn in jenem Rechtsanwaltsbüro des Dr. Praxler (alias Dr. Pantke), in dem Norbert (alias Jochen Hoffbauer) seine Lehre beginnt, war auch Alice Murawski, Arno Schmidts spätere Ehefrau, beschäftigt. Schwalbental ist also Greiffenberg, wohin auch Arno Schmidt 1934 (zur Zeit, da Hoffbauers Jugend in Schlesien spielt) kam.

Hier absolvierte Jochen Hoffbauer von 1937 bis 1940 eine Rechtsanwalts- und Notariatslehre. Seit 1952 lebt er als Versicherungsangestellter in Kassel-Harleshausen. Ausgezeichnet mit dem Eichendorff-Literaturpreis (1963), dem Hörspielpreis des Ostdeutschen Kulturrates (1970) und dem Medienpreis Bayern (1986) liefert der Erzähler und Lyriker seit Jahrzehnten Beiträge für den Hörfunk, für Jahrbücher und Anthologien sowie für verschiedene Zeitschriften. Insbesondere hervorzuheben ist Hoffbauers Herausgebertätigkeit, da er mit seinen (großenteils sehr erfolgreichen) Sammelwerken maßgeblich dazu beiträgt, die reiche kulturelle Tradition Schlesiens den Nachgeborenen zu bewahren. Sommer gab es nur in Schlesien (mit bisher sieben Auflagen!), Die schönsten Sagen aus Schlesien (sechs Auflagen) oder Riesengebirge. Eine Landschaft im Bild ihrer Dichter (1982) führen auch die Vielfalt des Anthologisten vor Augen. Der eigentliche Hoffbauer aber ist letztlich doch der Lyriker. Darauf verweisen schon die Tendenz zur Verknappung und der weitgehende Verzicht auf episches Ausgreifen in seiner Erzählprosa.

Bereits Winterliche Signatur, das 1956 in der Eremitenpresse erschienene erste Gedichtbändchen, läßt Thematik und Form der Hoffbauerschen Lyrik klar erkennen. Die kleine Sammlung eröffnen (Jahrhundert) und beschließen (Lied der Zeit) Gedichte mit Problemen von weltgeschichtlicher Dimension. Doch bei allen „Konferenzen, Aufruhr und Freiheitsgesang" endet auch das Schlußgedicht beim Naheliegenden: „Über die Wiese duftet das Heu". Zwischen diesen beiden weitperspektivierten Klammergedichten entfaltet sich Hoffbauers lyrische Welt: der Alltag im Wechsel der Jahreszeiten (Wäscheboden im Winter), die nähere Umgebung (Wilhelmshöhe) oder die eigene Lebensgeschichte (Nächtlicher Schulhof). Die nachfolgenden Lyrikbände, Passierscheine 1976 und Scheinwerferlicht 1982, reichern diese Thematik in großem Ausmaß an und führen vor Augen, wie facettenreich die alltäglichen Vorgänge sind, die im und vor dem Hause liegen. Die schlesische Herkunft, die Erfahrungen des Krieges und der Nachkriegszeit ziehen sich dabei unaufdringlich durch alle Bände. Immer wieder trifft man auch auf Adaptationen großer Dichter bzw. Dichtungen. Eine der interessantesten:Aus dem Leben eines Taugenichts.

Wenn es angebracht ist, läßt es jedoch dieser auf den ersten Blick so zurückhaltende Lyriker nicht an Deutlichkeit und Engagement fehlen. Im Song wider die Gewalt heißt es unmißverständlich: „Ich bin gegen die Gewalt." Nachdem besonders schlimme Stationen von Brutalität in der jüngsten Geschichte zur Sprache gekommen sind, wird erneut die Entschlossenheit zum Widerstand formuliert:

„Gegen die brutale Gewalt
Bei den anderen
Und in mir."

Ähnlich wie bei Reiner Kunze sind die vom Prinzip Reduktion geformten Texte Jochen Hoffbauers die eindrucksvollsten. Hier stimmen Inhalt und Form umstandslos überein. Auf knappstem Raum wird die größte Wirkung erzielt. Ein solches Beispiel vollendeter Einfachheit ist das Gedicht Für Wilhelm Liefland aus Scheinwerferlicht, in dem Betroffenheit und Selbstzweifel in unüberbietbarer Prägnanz gestaltet sind:

Zerbrochen,
doch nicht zu leicht befunden.
Weggegangen
mit der Gewißheit des Scheiterns.
Fragen an uns.
Ich fürchte die Antwort.

Weitere Werke: Voller Wölfe und Musik. München: Delp 1960. – Abromeit schläft im Grünen. Erzählungen. München: Delp 1966. – Glut aus der Asche. Erzählungen. Husum 1987. – Unter dem Wort. Ostdeutsche evangelische Dichtung nach der Vertreibung. Leer: Rautenberg 1963. – Hüte das Bild. Liegnitz und seine Dichter. Lorch: Weber 1985. – Schlesische Märchenreise. Alte Volksmärchen aus Schlesien neu erzählt. Mit Illustrationen von Ernst Scholz. München/Landshut: Aufstieg 21988.

Bild: privat