Biographie

Hunfalvy, Johann

Herkunft: Ungarn
Beruf: Geograph
* 11. Juni 1820 in Großschlagendorf/ Slowakei
† 6. Dezember 1888 in Budapest

Johann Hunsdorfer war der dritte von vier Söhnen des Großschlagendorfer Landwirts Johann Hunsdorfer und seiner Frau Marie geb. Weszter. Sein ältester Bruder Jakob übernahm den elterlichen Betrieb, der Zweitgeborene wurde der berühmte ungarische Linguist und Ethnograph Paul Hunfalvy (1810-1891), während Martin, der Jüngste, bereits als Kind verstarb. Zwei Töchter machten die Familie komplett.

Wie wohl vor ihm sein zehn Jahre älterer Bruder Paul, besuchte Johann nach ersten Schuljahren in seinem Geburtsort Großschlagendorf am Fuße der Hohen Tatra zunächst die weiterführende Schule in Kesmark. Zwar soll sein Vater ihn ursprünglich für einen Handwerksberuf vorgesehen haben, nachdem der Junge aber schon in der Dorfschule durch seinen wachen Geist aufgefallen war und bereits die lateinische Sprache erlernte, folgte der Vater schließlich dem Rat von Pfarrer und Lehrer und schickte Johann 1832 für die folgenden knapp drei Jahre auf das evangelische Lyzeum nach Kesmark. Die nächste Station seiner Ausbildung hieß Miscolcz – wie einst bei seinem Bruder Paul, der hier ebenfalls das Gymnasium besucht hatte und nun bei Baron Karl Podmanitzky als Erzieher von dessen beiden Söhnen tätig war. Johann, der sich neben dem normalen Unterricht in erster Linie auch die ungarische Sprache aneignen sollte, durfte Paul und seine Schützlinge begleiten und wurde mit den Podmanitzky-Kindern erzogen. Der vier Jahre jüngere Friedrich Podmanitzky hielt in seinem Tagebuch anlässlich von Johanns Übersiedlung nach Miskolcz fest, dass seine Mutter auf den guten Einfluss des Jungen aus der Zips baute: „Die Gesellschaft und die Erziehung des Johan Hunfalvy mit uns gereichte mir nur zum Vortheil. Unsere Mutter willigte sehr gerne ein, dass Johan, der jüngere Bruder unseres Erziehers Paul, mit uns wohnte. Als äusserst fleissiger und begabter Schüler, der viel entwickelter war wie wir, konnte sein Beispiel nur anregend auf uns wirken und uns zur Nachfolge aneifern.

Johann hatte bereits in Kesmark so gute Kenntnisse im Französischen erworben, dass er während seines dreijährigen Besuches des Gymnasiums in Miskolcz selbst Französisch unterrichten und sich dadurch ein Zubrot verdienen konnte, bevor er 1838 an das lutherische Lyzeum in Eperies wechselte.

Johann Hunsdorfer war vielseitig orientiert und sehr sprachbegabt: Philosophie und Jura standen auf seinem Lehrplan, und 1840/41 studierte er privat zudem Theologie. Er soll fließend zumindest Ungarisch, Englisch und Französisch gesprochen und während seiner Studienjahre Spanisch, Italienisch und Hebräisch gelernt haben, vom Griechischen ganz zu schweigen. Diese solide Sprachenbasis aus den frühen 1840er Jahren sollte seiner späteren wissenschaftlichen Karriere von großem Nutzen sein.

Den Auftakt seines umfangreichen publizistischen Œuvres bildeten teils fiktive, teils historische Übersetzungen, die er für eine breitere Öffentlichkeit verfasste, wie etwa die 1841 entstandene Erzählung, deren Stoff auf der Duc de Vicennes memoire sur Napoleon et premier empire basierte. In diesem Jahr beschlossen die Brüder Johann und Paul Hunsdorfer – letzterer bereits Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften – ihren deutschen Namen, der Mode des 19. Jahrhunderts in weiten Kreisen des Bildungsbürgertums folgend, künftig ungarisch zu führen und in Hunfalvy (Hunnfalvi, nach der ungarischen Bezeichnung „Hunfalu“ bzw. „Hunfalva“ des Herkunftsortes Hunsdorf ihrer Familie) abzuändern, wozu sie 1842 die offizielle Erlaubnis erhielten.

1845 legte Johann – nun Hunvalvy– eine protestantische theologische Prüfung ab, verließ die Familie Dessewff, für die er in letzter Zeit tätig gewesen war, und ging mit seinem Freund Ágost Greguss (später renommierter Ästhet und Professor in Pest) nach Deutschland. Während Greguss der Universität Halle den Vorzug gab, zog es Johann Hunfalvy nach Berlin, wo er sich im Wintersemester einschrieb, um bevorzugt historische Vorlesungen zu besuchen. Seine ernsthafte Beschäftigung mit der Geographie sollte sich erst noch entwickeln, auch wenn er hier schon Hörer bei Karl Ritter war (was er selbst nie erwähnte), den er später als einen der Begründer der modernen Geographie betrachten sollte und dessen Arbeit großen Einfluss auf ihn hatte.

Nach Reisen durch Belgien und die Niederlande im Frühjahr 1846 verbrachte er noch einige Monate in Tübingen, bevor er im Sommer 1846 in seine Heimat zurückkehrte, um wie sein älterer Bruder Paul eine Tätigkeit als Erzieher bzw. Lehrer auszuüben – am Kesmarker Lyzeum als zweiter Professor der Rechte.

Als Lehrer von Politikwissenschaft und Geschichte interessierte sich Hunfalvy natürlich auch für das politische Tagesgeschehen, über das er häufiger in der „Pesti Hirláp“ oder den Zeitungen von Preßburg berichtete – natürlich auch über die Ereignisse des Jahres 1848. Zwar beteiligte er sich nicht aktiv am revolutionären Treiben, wurde aber dennoch wegen seiner früheren kritischen Berichterstattung unter einem Vorwand verhaftet und kam nach Eperies ins Gefängnis. Obwohl sich mehrere hochrangige Zipser für seine Freilassung einsetzten, musste er hier sieben Monate ohne Anklage in Haft verbringen, bis er schließlich auf Anordnung des Kaschauer Militärgerichts entlassen wurde. In dieser Zeit begann er mit der Arbeit an seiner dreibändigen Universalgeschichte, die er kurz nach seiner Freilassung beendete und die zwischen 1851/52 und 1887 in sieben Auflagen erscheinen sollte.

Da er inzwischen seine Anstellung als Lehrer verloren hatte und in Kesmark trotz zahlreicher Fürsprecher nicht wieder Fuß fassen konnte, verließ Hunfalvy die Stadt im Herbst 1852 und ging nach Pest, wo er sich eine neue Existenz aufbaute. In seiner 1855 zusammen mit seinem Freund Greguss gegründeten, bei Gustav Heckenast verlegten Zeitschrift „Család Könyve“ (Buch der Familie) veröffentlichte er in den folgenden drei Jahren über zwanzig Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen. Für die zusammen mit dem Maler und Stahlstecher Ludwig Rohbock erarbeitete dreibändige Ausgabe Ungarn und Siebenbürgen in malerischen Original-Ansichten …, die ab 1856 in Darmstadt zunächst in deutscher, später auch in ungarischer Sprache erschien, verfasste er die historisch-topographi­schen Texte. Aus der Zusammenarbeit mit Rohbock erwuchs zudem ein ähnliches, nur das heutige Budapest und sein Umland behandelndes Werk (Pesth und Ofen nebst Umgegend … Pesth 1859), in dem Hunfalvy ebenfalls für die historisch-topographischen Texte zeichnete. Diese und andere bahnbrechende literarische Arbeiten Hunfalvys weckten das Interesse der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die ihn 1859 zu ihrem Mitglied wählte und in deren Auftrag er noch im selben Jahr die Reisebeschreibungen des Ladislaus Magyar über Südafrika in deutscher Übersetzung herausgab.

Am 6. Juni 1859 hielt er seinen Antrittsvortrag mit dem Thema Die Ansichten von Strabon und Ptolomaiosz, Busching und Ritter über Geographie, oder der Gegenstand und die Aufgabe der Geographie. Seine dabei dargelegten Mängel der einheimischen geographischen Literatur überzeugten die Mitglieder der Akademie von der Notwendigkeit, ein entsprechendes universelles Handbuch erarbeiten zu lassen – Hunfalvys erstes wirklich wichtiges geographisches dreibändiges Werk sollte an die 2.000 Seiten umfassen und erschien zwischen 1863 und 1865 als Beschreibungen der natürlichen Verhältnisse des ungarischen Reiches.

Seine erzieherische Tätigkeit als Lehrer hatte Hunfalvy bereits 1857 aufgeben. Er heiratete Hermina Schmidt, die Tochter eines Ofener Apothekers, wurde Vater eines Sohnes Géza und lebte fortan in Ofen, wo er ab 1861 am Polytechnikum Geographie, Statistik und Geschichte lehrte und auch für einige Jahre als Rektor fungierte. Daneben war Hunfalvy auch sozial und in der Kirche engagiert, bekleidete etwa von 1863 an für ein Vierteljahrhundert das Amt des Kircheninspektors der evangelischen Gemeinde zu Ofen – eine nach ihm benannte Gasse, die in die Ofner Berge führte, sollte später an seine Verdienste erinnern.

Als die Universität Pest 1870 einen neuen Lehrstuhl für Geographie einrichtete, wurde Johann Hunfalvy der erste Universitätsprofessor für Geographie in Ungarn und lehrte dieses Fach bis zu seinem Tod. 1872 rief er zusammen mit Ármin Vámbéry und János Xántus die Ungarische Geographische Gesellschaft ins Leben, als deren erster Präsident er ebenfalls bis zu seinem Tod fungierte. In diesen Jahren bereiste er viel das Ausland, nicht nur um die ungarische Regierung an internationalen Kongressen für Statistik und Geographie in verschiedenen europäischen Hauptstädten zu vertreten, und beteiligte sich an mehreren Weltausstellungen.

Als Mitglied verschiedener in- und ausländischer gelehrter Gesellschaften, aber auch des Karpathen-Vereins, verfasste Hunfalvy insgesamt 127 kleinere und größere Werke in ungarischer Sprache, die teilweise Ende des vergangenen Jahrhunderts noch einmal aufgelegt wurden. 16 Publikationen erschienen in deutscher Sprache, teils in deutscher Übersetzung aus dem Ungarischen, einige wenige auch in Französisch.

Johann Hunfalvy starb am 6. Dezember 1888 an den Folgen einer Lungenentzündung in Kombination mit einem alten Herzleiden, betrauert von seinem Sohn Géza und seiner Enkelin Livia. So, wie er immer wieder die Zips besucht, seinen Heimatort und die Hohe Tatra im fernen Ofen nicht vergessen hatte, so blieb er auch in der Zips in Erinnerung. Nach ihm wurden das „Hunfalvy-Joch“ und das „Hunfalvy-Tälchen“ (Meeraugtälchen) in der Hohen Tatra benannt. In Budapest erinnert die „Hunfalvy János Bilinguale Fachmittelschule für Wirtschaft und Handel“ an den Begründer der Ungarischen Geographischen Gesellschaft.

Lit.: Nachruf eines namentlich nicht genannten Schülers in der Karpathen-Post vom 13.12.1888, S. 1 + 5. − Rudolf Havass, Art. „Dr. Johann Hunfalvy“ in: Preßburger Zeitung vom 13.12.1888, S. 1-2. − Samuel Weber, Art. „Johann Hunvalvy. 1820-1880“, in: Ehrenhalle verdienstvoller Zipser des XIX. Jahrhunderts. 1800-1900, Igló 1901, S. 227-233. − Rainer Rudolf/ Eduard Ulreich, Art. „Hunfalvy (urspr. Hunsdorfer) Johann“, in: Karpatendeutsches Biographisches Lexikon. Stuttgart 1988, S. 139f. − Ernst Hochberger, Die Namen der Hohen Tatra in vier Sprachen. Herkunft und Bedeutung, hrsg. von Heike Drechsler und Heinz Schmitt, Karlsruhe 2007. − Tibor Plánk/ Terézia Horváth, Unsere Schule und János Hunfalvy. Hunfalvy János Szakköz épiskola, Budapest, in: Spišskí bratia Pál a János Hunfalvy u zjednotenej Európe. Zborník z medziná rodnej vedeckej konferencie a podujati 24.-26.10.2008 Kežmarok [Die Zipser Brüder Paul und Johann Hunfalvy im vereinten Europa. Sammelband der internationalen wissenschaftlichen Konferenz und Veranstaltung], zostavil Milan Choma, S. 41-44.

Heike Drechsler-Meel