Biographie

Husserl, Edmund

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Philosoph
* 8. April 1859 in Prossnitz/Mähren
† 27. April 1938 in Freiburg/Breisgau

Die letzten Lebensjahre des Begründers der transzendentalen Phänomenologie brachten häufige Störungen der philosophischen Arbeit. Vor allem trug seine jüdische Abstammung Husserl ständige Pressionen und eine zunehmende Isolation ein. Mit dem Ende des Jahres 1935 – noch 1934 hatte er einen Ruf nach Los Angeles abgelehnt – kam der Entzug der Lehrbefugnis. Eine Publikationsmöglichkeit bestand in Deutschland nicht mehr. Die ersten Teile von „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie“ veröffentlichte der damals in Belgrad tätige Neukantianer A. Liebert in seiner Zeitschrift „Philosophia“ (1936). „Erfahrung und Urteil“ (redigiert von L. Landgrebe) konnte noch 1939 in Prag erscheinen (41974).

Husserl kam am 8.4.1859 als Kind einer alteingesessenen Familie in Prossnitz (Mähren) zur Welt. Die Eltern gehörten dem liberalen Judentum an; Husserl selbst trat 1886 zum Protestantismus über. Nach der Gymnasialausbildung in Wien und Olmütz studierte er ab 1876 in Leipzig Astronomie. Hier wurde der Philosoph Th. Masaryk (der spätere Präsident der Tschechoslowakei) zum Freund und Mentor des jungen Studenten. 1878 folgte ein Studium der Mathematik (bei C. Weierstrass) und Philosophie (bei Fr. Paulsen) in Berlin. 1881 ging Husserl nach Wien, wo er 1883 mit einer mathematischen Arbeit promoviert wurde. Zu dieser Zeit wurde das religiöse Erlebnis einer (wohl von Masaryk veranlaßten) Lektüre des Neuen Testaments neben dem Einfluß Brentanos mitbestimmend für die Zuwendung zur Philosophie; es blieb ein entscheidendes Motiv seines Philosophierens. Nach kurzer Privatassistentenzeit bei Weierstrass in Berlin kehrte Husserl 1884 nach Wien zurück und vertiefte seine philosophischen Studien bei Brentano. Dieser empfahl ihn 1886 C. Stumpf in Halle zur Habilitation (1887). 1901 wurde Husserl a. o. Professor in Göttingen, 1916 als Nachfolger H. Rickerts Ordinarius in Freiburg. Dort lebte er auch nach seiner Emeritierung (1928).

Ihre reife Gestalt fand Husserls Phänomenologie in der Ausbildung zu einem transzendentalen Idealismus. Damit entstand innerhalb der Transzendentalphilosophie eine erste bedeutende Gegenbewegung zum älteren Neukantianismus („Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“ I, 1913; eine Radikalisierung der Grundposition und eine thematische Erheiterung bringen die „Cartesianischen Meditationen“, frz. 1932, dtsch. 1950; Vorarbeiten enthalten die „Philosophie der Arithmetik“, 1891, und die „Logischen Untersuchungen“, 1900/01). Vier Schlüsselbegriffe sind kennzeichnend: „transzendental-phänomenologische Reduktion“ als Methode letzter Begründung, „Evidenz“, (transzendentale) „Intentionalität“ bzw. „reines Bewußtsein“, Weltkonstitution. Husserl gibt der transzendentalen Reflexion eine spezifische Fassung. Als „Reduktion“ führt sie auf ein reines Subjekt als transzendentales Aktleben. Hier liegt insofern ein Fortschritt gegenüber dem Neukantianismus (und zugleich eine Parallele zum jüngeren Kritizismus), als es gelingt, Momente der Konkretheit in den Begriff der transzendentalen Subjektivität aufzunehmen. Die Auseinandersetzung mit Husserl hat auch die moderne Transzendentalphilosophie kritizistischer Richtung beeinflußt. Eine wichtige Rolle spielt dabei dessen differenzierte Konstitutionslehre. Hinter dem Kritizismus bleibt er aber in der unzulänglichen Fassung des Problems der Gültigkeit der Subjektsleistungen entschieden zurück.

Seit 1939 wird der Nachlaß (etwa 45000 Blätter, meist in Stenographie) vom Husserl-Archiv in Löwen aufbewahrt. Es veröffentlicht seit 1950 unter Leitung von H. L. Van Breda (jetzt: S. Ijsseling in Verbindung mit R. Boehm) gemeinsam mit dem Husserl-Archiv in Köln (ab 1954) die Gesammelten Werke („Husserliana“, bisher 23 Bände). In der Reihe „Phaenomenologica“ erscheinen historische und systematische Studien zur Phänomenologie.

Hauptwerke: Die o. g. Werke sind, bis auf „Erfahrung und Urteil“, inzwischen in den „Husserliana“ (H) erschienen (die „Krisis“-Abhandlung in der vollständigen Fassung). Ferner wichtig: Philosophie als strenge Wissenschaft, in: Logos l, 1910/11; Ideen … II u. III, H IV, V, 1952; Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, H X, 1966; Formale und transzendentale Logik, H XVII, 1974. Als Herausgeber: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung (1913-1930).

Lit.: O. Becker, Die Philosophie E. H.s, in: Kant-Studien 35, 1930; R. Zocher, H.s Phänomenologie und Schuppes Logik, 1932; E. Fink, Die phänomenologische Philosophie E. H.s in der gegenwärtigen Kritik, in: Kant-Studien 38,1933; H. Wagner, Kritische Betrachtungen zu Husserls Nachlaß, in: Philos. Rundsch. l, 1953/54; ders., H.s zweideutige Wissenschaftsphilosophie, in: H. W., Kritische Philosophie, 1980; A. Diemer, E.H., 1956,21965, H. Spiegelberg, The Phenomenological Movement, 1960, 31981; H. Drüe, H.s Psychologie, 1963; I. Kern, H. und Kant, 1964; M. Brelage, Studien zur Transzendentalphilosophie, 1965; P. Janssen, E.H. 1976; B. Grünewald, Der phänomenologische Ursprung des Logischen, 1977; Th. de Boer, The Development of H.s Thought, 1978.