Biographie

Irmler, Rudolf

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Theologe, Schriftsteller
* 11. August 1907 in Lüben/Schlesien
† 8. Januar 1999 in Marktheidenfeld/Bayern

Als der bayerische Kultusminister Hans Maier am 22. Februar 1983 auf Rudolf Irmler aus Anlass der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande die Laudatio zu halten hatte, begann er mit den Worten: „Sie sind ein bekannter und beliebter Prediger, Redner und Schriftsteller unserer Tage in der Bundesrepublik Deutschland.“Warum Irmler so bekannt und beliebt war, ließ der Minister offen. Begegnungen nicht allein mit dem Redner und Schriftsteller, sondern auch mit dem Musiker (Geiger), Komponisten, Erzähler und Rezitator sprechen dafür, dass es die Verbindung von Biographie und Theologie gewesen sein dürfte, das heißt, die Einbettung des persönlichen Erlebens in die überpersönlichen und überzeitlichen Bezüge des Glaubens, die ihn für viele Zeitgenossen so anziehend machte. Irmler sprach und schrieb als Zeitzeuge, Schicksalsgenosse, Davongekommener, Mit-Leidender, der im Glauben Trost, Halt, Lebenszuversicht gefunden hatte und darum in beiden Bereichen, im Leid wie in der Hoffnung, überzeugend, anregend und in seiner farbigen, pointenreichen, gefühlsdominanten Sprache auch herzanrührend wirkte. Diese Einschätzung würde zugleich erklären, warum Irmler in seiner Wirkung so auffallend begrenzt blieb. Die Nachgeborenen lesen ihn nicht mehr; ein Schicksal, das er mit seinen als Schriftsteller ebenfalls erfolgreichen schlesischen Amtsbrüdern Kurt Ihlenfeld (1901-1972) und Werner May (1903-1975) teilt.

Zu den großen Themen, die sich durch Irmlers Œuvre – 30 Titel – ziehen, gehört unübersehbar Schlesien. Das hängt mit seiner Herkunft und mit seinem Lebensweg zusammen. Die Eltern, Otto Irmler, Klempnermeister, und Ida geborene Jentsch lebten in Lüben. Dort wurde Rudolf am 11. August 1907 geboren. Den Vater schildert er als streng; die Mutter als besonders liebevoll. Die Mutter war es auch, die seinen Wunsch, Theologie zu studieren, unterstützte. Finanzieren ließ sich das Studium allerdings nur mit einem Stipendium des Gustav-Adolf-Werkes, das an die Verpflichtung gebunden war, später für einige Jahre als Pfarrer in der Auslandsdiaspora zu arbeiten. Die Vikarsausbildung absolvierte Irmler 1931 noch in Pilgramsdorf bei Lüben. Dann ging er, frisch verheiratet, für acht Jahre nach Brasilien in die von deutschen Auswanderern gegründete Gemeinde Jgrejinha. In Neuhamburg/Rio Grande du Sul wurde er am 7. September 1932 ordiniert. 1939 konnte er einen ersten Heimaturlaub in Deutschland verleben. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hinderte ihn an der Rückkehr. Irmler blieb in Deutschland und wurde in der Kirchengemeinde Oberau Kreis Lüben, zeitweise auch in der Seelsorge am Hinrichtungsgefängnis in Kattowitz/Oberschlesien eingesetzt. Als die Rote Armee heranrückte, ging er 1945 mit seiner Oberauer Gemeinde auf die Flucht. Die Ehe, in der ein Sohn geboren wurde, ging auseinander. Irmler kehrte nach Schlesien zurück, um auf Bitten und im Auftrag der Breslauer Notkirchenleitung die weithin verwaisten Restgemeinden in den Kirchenkreisen Lüben und Steinau zu betreuen. Über die Erlebnisse dieser Zeit unter russischer Besatzung und polnischer Herrschaft hat er wiederholt geschrieben und dabei besonders eindrucksvoll von seiner Tätigkeit als „Zahnarzt“ erzählt. Weil es keinen echten Zahnarzt mehr gab, hat er nach seinen Gottesdiensten mit der Kneifzange und wohl auch recht erfolgreich Gemeindegliedern, aber auch russischen Soldaten die schmerzenden Zähne gezogen.

Im Juni 1947 aus Schlesien ausgewiesen, fand Irmler eine Anschlussverwendung als zweiter Provinzialpfarrer der Brandenburgischen Frauenhilfe in Potsdam, ab 1948 als Gemeindepfarrer in Waldheim/Sachsen. Damit verbunden war die Betreuung der Strafanstalten. In seinem Buch Hinter Grenzen und Gittern. 12 Erlebnisse eines schlesischen Pfarrers bei den Einsamen und Gefangenen Ostdeutschlands, Kassel 1957,hat er über diese Arbeit berichtet. Um dem Druck der staatlichen Stellen zu entgehen und von verschiedenen Seiten gewarnt, setzte er sich 1953 aus der DDR in den Westen ab. Es war zugleich das Jahr, in dem Rudolf Irmler in zweiter Ehe Margarete Menz heiratete. Die Ehe blieb kinderlos. Irmler wurde Krankenhauspfarrer in Frankfurt am Main, 1954 theologischer Mitarbeiter beim Gustav-Adolf-Werk in Kassel. Diese Tätigkeit war sehr vielseitig, verbunden mit weiten Reisen in die Diasporagemeinden, mit der Durchführung von Tagungen und Vortragsveranstaltungen, der Betreuung der Stipendiaten, der Organisation der Öffentlichkeitsarbeit einschließlich der Herausgabe von Schriften und Materialien für die Kirchengemeinden und Gustav-Adolf-Gruppen. Nach fast zehn Jahren, 1963, ging Irmler als Pfarrer und Rektor an das Diakonissenmutterhaus Breslau-Lehmgruben, das in Marktheidenfeld am Main eine neue Wirkungsstätte gefunden hatte.

Zum Lehmgrubener Mutterhaus gehörten 185 Schwestern. So zupackend sie sich den Herausforderungen der neuen Umgebung auch stellten, die Erinnerung an die alte Heimat Schlesien blieb ein Wesensmerkmal ihrer persönlichen Identität und der Identität ihres Mutterhauses. Insofern bedeutete die Annahme dieser Berufung für Irmler auch eine Heimkehr, das Wiedereintauchen in ein vertrautes Milieu, das freilich vom Aussterben bedroht war – einerseits, weil die Diakonissenhäuser ohnehin und durchweg mit Nachwuchsmangel zu kämpfen hatten, andererseits, weil Schlesien keine Zukunftsperspektive mehr darstellte. Irmler sah seine Aufgabe darin, die Schwestern auf ihrem Weg zu begleiten und zugleich ihrem Mutterhaus neue Aufgaben zu erschließen. Das hat dazu geführt, dass unter seiner Leitung die Umwandlung und der Ausbau des Diakonissenhauses zu einem geistlichen Zentrum für die Region erfolgt sind. 1964/66 konnten die Johannes-Kapelle und ein Einkehrhaus für die Betreuung von Diakonissen und Gästen gebaut werden. 1967 kam es zur Gründung des Johannesringes, eines Freundeskreises berufstätiger christlicher Frauen. Einkehrwochen, Meditationen, Tage der Stille wurden angeboten und vielfältig angenommen und genutzt. Weit über die Pensionierungsgrenze hinaus war Irmler der unbestrittene Anreger, Leiter, Redner, Organisator, Meditator des Zentrums. Trotz seiner Behinderung durch ein Augenleiden hat er daran festgehalten, die Predigt am Sonntag und die Morgenandachten selbst zu halten, bis auch das nicht mehr möglich war. Am 8. Januar 1999 ist Rudolf Irmler in Marktheidenfeld gestorben.

Neben seinen Schriften und Büchern hat Irmler auch zahlreiche Kanons für den Gesang in Gruppen und Gemeinden hinterlassen. Die Texte hat er häufig aus der Bibel oder aus der Literatur übernommen. Zur Erinnerung an diese Seite seines Schaffens soll hier an einen Kanon zu vier Stimmen über ein Wort von Angelus Silesius erinnert werden. Er trägt die Überschrift

Leuchtende Spur
Freund, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehn;
man muss aus einem Licht fort in das andre gehn.

Werke (in Auswahl):Heimkehr. Alles in uns schweige. Sieben Meditationen, Berlin 1950 u. ö. – Zwölf schlesische Geschichten aus den Jahren 1945-1947, Lorch 1960 u. ö. – Zwischen Kamp und Urwald, Lorch 1961. – Spuren im Wüstensand, Gießen/Basel 1966. – Revolution des Herzens. Jakob Böhme – heute, Lorch, ca. 1975. – Mit dir wollen wir Taten tun (Johann Heermann), Stuttgart 1984. – Mensch werde wesentlich (Angelus Silesius), Lorch o. J. – Schläft ein Lied in allen Dingen: Erinnerungen aus acht Jahrzehnten, Markheidenfeld o.J., (1980er/90er Jahre). – Die braune Geige. Geschichten aus Schlesien und anderswo, Stuttgart 1988. – Leben aus der Stille, Lorch, o. J. – Erlebt auf vielen Reisen, Marktheidenfeld o. J. – Erinnerungen, Marktheidenfeld o. J. (1990er Jahre).

Bild:Privatarchiv des Autors.