Biographie

Israel, Ottokar

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Historiker, Archivar und Genealoge
* 14. Juni 1919 in Königsberg i.Pr.
† 13. September 2004 in Süsel/ Ostholstein

Ottokar Israels Kindheit, Jugend- und Studienjahre standen in doppelter Weise unter dem unheilvollen Stern der politischen Entwicklungen zwischen den Enden des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Seit dem Versailler Vertrag war seine Vaterstadt Königsberg vom übrigen Deutschland abgetrennt, was einen Nährboden für einen politischen Nationalismus bot, der sich 1930 darin ausdrückte, dass die NSDAP hier erstmals bei einer Reichstagswahl in einem Wahlkreis die meisten Stimmen holt. Zudem gab es in Königsberg eine traditionsreiche jüdische Gemeinde, die allerdings innerlich zerstritten war und sich deshalb antisemitischen Strömungen, die in Ostpreußen in der Zeit des Polnischen Korridors ebenfalls zunahmen, weniger erwehren konnte. Nachdem der Vater, Oberinspektor im preußischen Verwaltungsdienst, 1932 nach Görlitz versetzt worden war, wurde er wegen der jüdischen Herkunft der Familie auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Ottokar Israel erlebte die nationalsozialistische Ausgrenzung- und Verfolgungspolitik bald darauf am eigenen Leibe, als ihm nämlich nach dem Abitur am Gymnasium Augustinum in Görlitz die Aufnahme eines Universitätsstudiums zunächst nicht erlaubt wurde. Stattdessen ging er an die 1905 von Friedrich von Bodelschwingh gegründete Kirchliche Hochschule in Bethel, wo er sich dem Studium der Evangelischen Theologie zuwandte, bis die Hochschule wegen ihrer Nähe zur Bekennenden Kirche 1939 geschlossen wurde. 1941 immatrikulierte er sich in Göttingen für das Studium der Geschichte, Germanistik und Evangelischen Theologie, das er jedoch bald durch seinen Einzug in die Wehrmacht unterbrechen musste.

Erst 1946 wurde Ottokar Israel aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen und konnte sein Studium endlich geregelt fortsetzen. 1951 wurde er bei Hermann Heimpel in Göttingen promoviert, 1952 absolvierte er das erste Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien. Israel entschied sich jedoch nicht für die Schule, sondern begann die Ausbildung für den höheren Archivdienst an der 1949 gegründeten Archivschule (heute: Hochschule für Archivwissenschaft) in Marburg. Seit 1954 war er als Assessor am Niedersächsischen Staatsarchiv in Aurich tätig, 1959 wechselte er ans Niedersächsische Staatsarchiv in Osnabrück, wo er im Jahre 1965 zum Archivoberrat und stellvertretenden Direktor ernannt wurde. Bereits in Osnabrück zeigte sich, das Israels Kompetenz und Interesse über das Archivwesen hinaus das Bibliothekarische einschloss, denn er betreute dort auch die Bibliothek des Staatsarchivs. Auf seiner nächsten und letzten beruflichen Station wurde diese Doppelfunktion schließlich amtlich: Am 1. April erhielt er die Berufung zum Direktor des Stadtarchivs Braunschweig, und diese Stelle war verbunden mit der Leitung sowohl der wissenschaftlichen Stadtbibliothek als auch der Öffentlichen Büchereien. In seine Braunschweiger Amtszeit fiel die große Gebietsreform 1974, in deren Zuge Schriftgut und Archivalien aus 22 zuvor selbständigen Gemeinden zu einem großen Teil in das Stadtarchiv Braunschweig überführt wurde. Aus gesundheitlichen Gründen wurde Israel Ende 1979 in den Ruhestand versetzt. Im Jahr zuvor hatte er in zweiter Ehe Ingrid Bernin, die spätere Gründungsdirektorin der Eutiner Landesbibliothek, geheiratet. Das Ehepaar zog in die Nähe von Süsel im Kreis Ostholstein. Dort verschied Ottokar Israel nach langer schwerer Krankheit wenige Monate nach seinem 85. Geburtstag.

Neben seiner dienstlichen Tätigkeit engagierte sich Israel viele Jahrzehnte in verschiedenen regionalgeschichtlichen Vereinen und überregionalen Arbeitsgemeinschaften. So leitete er von 1963 bis 1974 die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände“, den Dachverband der genealogischen und heraldischen Vereinigungen in Deutschland, und von 1975 bis 1990 die Arbeitsgemeinschaft der niedersächsischen Kommunalarchivare. Zu seiner Tätigkeit in Braunschweig gehörte außerdem die Geschäftsführung des Braunschweigischen Geschichtsvereins. menschliche Qualitäten, fachliche Qualifikation und wissenschaftliche Neigung vereinigten sich bei Ottokar Israel in bester Weise.

Die Vielzahl seiner Amtsgeschäfte, die in Braunschweig ja die Leitung dreier Häuser umfasste, und eine seit jungen Jahren angegriffene Gesundheit wirkten sich auf seine Publikationstätigkeit aus. Doch was in knapp fünf Jahrzehnten seit der Promotion entstand, hatte stets Gewicht und findet vielfach bis heute Beachtung in den geisteswissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Forschungen über die Regionen, denen Israels seine Aufmerksamkeit widmete. Das gilt zuvorderst für seine Dissertation über Das Verhältnis des Hochmeisters des Deutschen Ordens zum Reich im 15. Jahrhundert zu, die 1952 als Band 4 der „Wissenschaftlichen Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas“ veröffentlicht wurde und eine maßgebliche Studie geblieben ist über die große Umbruchsphase im Deutschen Ritterorden infolge der beiden Friedensschlüsse von Thorn (1411 und 1466) mit dem (seit 1386) mit dem Großherzogtum Litauen verbündeten Königreich Polen. Neben genealogischen Recherchen blieben landesgeschichtliche Forschungen sein Leben lang Israels Hauptinteresse, wobei er fortan einen Schwerpunkt auf die Regionen legte, in denen er dienstlich tätig war und jeweils besten Zugang zu den Quellen hatte. Nach der Promotion folgten frühe Studien über Ostfriesland, die Tätigkeit in Osnabrück begann mit einer Ausstellung über das Osnabrücker Land, das im nächsten Jahrzehnt zusammen mit der Stadt Osnabrück und dem Emsland zum Mittelpunkt seiner historischen Forschungen wurde. Dabei hat er immer wieder erfolgreich dafür Sorge getragen, wissenschaftliche Erkenntnisse und archivalische Materialien unter Einschluss in eine breitere Öffentlichkeit zu vermitteln, so unter anderem mit einem Bildband über Osnabrück 1967 oder einem Osnabrücker Lesebuch ein Jahr später. In den 1970er Jahren rückte die Braunschweiger Stadt- und Landesgeschichte in den Fokus, wobei eigene Veröffentlichungen hinter die Tätigkeit als Herausgeber zurücktraten. Der 1925 begründeten Reihe „Braunschweiger Werkstücke“, in der unter Israels Ägide mehr als ein Dutzend Bände erschienen, stellte er 1977 – zusammen mit Manfred R.W. Garzmann – die von Stadtarchiv und Stadtbibliothek Braunschweig gemeinsam verantwortete Reihe „Kleine Schriften“ an die Seite, die nach seinem Ausscheiden und der darauffolgenden verwaltungsmäßigen Trennung beider Häuser mit dem fünften Band eingestellt wurde. Soweit es seine Kräfte erlaubten, legte Ottokar Israel nach seiner Pensionierung immer wieder einzelne Forschungsbeiträge vor, so unter anderem zum Ausstellungskatalog Kiel – Eutin – St. Petersburg (anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Kreisbibliothek Eutin und Neugründung der Landesbibliothek) oder noch in seinen letzten Lebensjahren biographische Aufsätze über Carl Friedrich Gauß (anlässlich des 200-jährigen Jubiläums seiner Helmstedter Promotion zum Doktor der Philosophie 1799) und über den in der Geschichtsschreibung wenig beachteten Prinz Georg Ludwig von Schleswig-Holstein-Gottorf.

Lit.: (erwähnte Schriften) Das Verhältnis des Hochmeisters des Deutschen Ordens zum Reich im 15. Jahrhundert, Marburg a.d. Lahn 1952 (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mittelauropas, 4). – Die letzte Prinzessin von Ostfriesland, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer zu Emden 39 (1959), S. 115-130. – Zus. mit Walter Borchers, Das Osnabrücker Land in alten Karten, Plänen und Bildern. Ausstellung des Städtischen Museums und des Niedersächsischen Staatsarchivs Osnabrück, Osnabrück 1959. – Zus. mit Bernhard Schulz, Osnabrück, Osnabrück 1967. – Osnabrücker Lesebuch. Bilder aus Osna­brücks Vergangenheit. Aus dem Nachlaß Gerhard Löwenthal, Osnabrück 1968. – Kiel – Eutin – St. Petersburg. Die Verbindung zwischen dem Haus Holstein-Gottorf und dem russischen Zarenhaus im 18. Jahrhundert. Ausstellung zum 150jährigen Bestehen der Kreisbibliothek Eutin, hrsg. von Dieter Lohmeier, Heide in Holstein 1987. – Karl Friedrich Gauß. Ein Leben für die Wissenschaft, hrsg. vom Landkreis Helmstedt, Helmstedt 2000 (= Beiträge zur Geschichte des Landkreises und der ehemaligen Universität Helmstedt, 13). – Georg Ludwig, Prinz von Schleswig-Holstein-Gottorf, in: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Bd. 11, Neumünster 2000, S. 130-133. – (Nachrufe) Manfred R.W. Garzmann, Nachruf auf Ottokar Israel 1919-2004, in: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte 86 (2005), S. 251-253. – Ders., Ottokar Israel, in: Archivar. Zeitschrift für Archivwesen 58 (2005), Heft 2, S. 146-147. – Mündliche Mitteilungen von Frau Ingrid Bernin-Israel, Süsel. – Die historische Literatur in den östlichen Niederlanden seit 1945, in: Osnabrücker Mitteilungen 69 (1960), S. 102-123. – Heimatvereine im Regierungsbezirk Osnabrück. Eine vergleichende Untersuchung, in: Osna­brücker Mitteilungen 72 (1964), S. 103-120. – Die Sammlung Hobrecker der Universitätsbibliothek Braunschweig 1985.

Bild: Archiv Familie Israel..

Axel E. Walter