Biographie

Jaksch, Wenzel

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Journalist, Politiker
* 25. September 1896 in Langstrobnitz/Sudetenland
† 27. November 1966 in Wiesbaden

Der Sohn eines Häuslers und Wanderarbeiters begann nach dem Besuch der Volksschule in seinem Geburtsort Langstrobnitz in Wien eine Maurerlehre. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs übte er den Beruf eines Bauarbeiters aus, um dann als Munitionsarbeiter tätig zu sein, ehe er als Armierungssoldat zum Militär einberufen wurde. Nach Kriegsende kehrte er in seine Heimat zurück, wo er sich sogleich politisch zu engagieren begann. Seine politische Heimat suchte und fand er in der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP), für die er 1919 im Gemeindewahlkampf im Kreis Budweis wirkte. Im Auftrag der DSAP gründete Jaksch am 22. Februar 1922 den Zentralverband der Kleinbauern und Häusler in Teplitz-Schönau, dessen Sekretär und Herausgeber der VerbandszeitschriftDer Kleinlandwirt er wurde. Die Aufgaben und Ämter des Journalisten und Politikers Wenzel Jaksch seit den 20er Jahren waren vielfältiger Art: Von 1921 bis 1938 war er Mitglied des Parteivorstandes der DSAP, ab 1927 und erneut von 1932 bis 1938 Mitglied des DSAP-Parteivollzugsausschusses. Von 1921 bis 1924 wirkte er als Chefredakteur der Volkszeitung (Komotau), von 1924 bis 1938 zunächst als Redakteur, dann als Chefredakteur des in Prag erscheinenden Zentralorgans der DSAP Sozialdemokrat. Von 1929 bis 1939 vertrat er den Wahlkreis VIII (Pilsen) als Abgeordneter im Prager Parlament; von 1935 bis 1938 war er außerdem Vorsitzender des Versorgungsausschusses des Abgeordnetenhauses.

Wenzel Jakschs Karriere als Parteipolitiker dokumentiert sich maßgeblich darin, daß er von 1935 bis 1938 das Amt eines stellvertretenden Vorsitzenden der DSAP bekleidete und auf dem letzten Parteitag der DSAP am 27. März 1938 in einer Kampfabstimmung gegen Ludwig Czech zum Parteivorsitzenden der DSAP gewählt wurde.

1936 hatte Wenzel Jaksch, der durchaus zutreffend "ein ideenreicher Organisator" genannt worden ist, "der sich nicht scheute, auch die nationalen Rechtsansprüche der Sudetendeutschen klar als Forderung zu formulieren" (F. Prinz), zusammen mit dem Parteivorsitzenden des Bundes der Landwirte (BdL), Gustav Hacker, der über einen starken Rückhalt bei der deutschen Bauernschaft verfügte, und dem Abgeordneten der Deutschen Christlichsozialen Volkspartei (DCSVP) in der Nationalversammlung der ČSR, Hans Schütz, einem kompromißfähigen Pragmatiker und volksnahen Gewerkschaftler von großer Beliebtheit, eine jungaktivistische Bewegung proklamiert. Ihr Ziel war es, von der Prager Regierung die Anerkennung der Deutschen als "zweites Staatsvolk" zu erreichen und den Minderheitenstatus zu überwinden, was tschechischerseits jedoch niemals akzeptiert wurde. Prag gewährte lediglich minimale Konzessionen. So sagte es zu, 1.300 deutsche Beamte und 3.300 deutsche Arbeiter wieder einzustellen, was nach der Entfernung von 33.000 Sudetendeutschen aus der Verwaltung völlig unzureichend war. Von der angestrebten sudetendeutschen Selbstverwaltung konnte somit auch nicht im Ansatz die Rede sein. Erst unter dem Schock des Anschlusses von Österreich an das Reich im März 1938 erklärte Prag sich zu Zugeständnissen an die Sudetendeutschen bereit, mithin zu spät, denn das Münchener Abkommen (29. September 1938) sprach Deutschland das sudetendeutsche Gebiet zu.

Nach Proklamierung der slowakischen Unabhängigkeit (14. März 1939) und dem von Hitler erzwungenen Abschluß eines Protektoratsvertrags für den ČSR-Reststaat, der durch deutsche Truppen am 14./15. März 1939 besetzt und dem Deutschen Reich als "Protektorat Böhmen und Mähren" eingegliedert wurde, ging Wenzel Jaksch nach London ins Exil, wo er als Vorsitzender der Treuegemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten (TG) wirkte und die Interessen der Sudetendeutschen gegenüber der tschechoslowakischen Exilregierung vertrat. Vergebens bemühte er sich in London darum, die Vertreibung der Sudetendeutschen, vom Präsidenten der tschechoslowakischen Exilregierung, Edvard Beneš, immer nachdrücklicher gefordert, durch ein Übereinkommen mit diesem zu verhindern. Am 24. April 1941 war ihm, zusammen mit seiner ersten Ehefrau, durch Veröffentlichung im Reichsanzeiger die deutsche Staatsangehörigkeit abgesprochen worden.

1949 kehrte Wenzel Jaksch aus seinem Londoner Exil nach Deutschland zurück; seinen Wohnsitz nahm er in Wiesbaden, wo er sogleich politisch aktiv wurde. Von 1950 bis 1953 arbeitete er als Ministerialdirektor im hessischen Innenministerium und Leiter des Landesverbandes für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte. Im Jahre 1951 gründete er die Seligergemeinde, eine Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten mit Sitz in Stuttgart, benannt nach dem Vorsitzenden der am 3. September 1919 gegründeten deutsch-böhmischen sozialdemokratischen Partei (DSAP), Josef Seliger. Bis zu seinem Tod 1966 infolge eines Autounfalls war Jaksch auch deren Vorsitzender. Von 1953, der 2. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, an bis 1966 gehörte Wenzel Jaksch diesem als Fraktionsmitglied der SPD an. Seit 1958 war er Vorstandsmitglied und Vizepräsident, seit 1964 Präsident des Bundes der Vertriebenen/Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände (BdV), seit 1959 Präsident der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Bis 1964 gehörte er der sogenannten Ministermannschaft des SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt an.

Man hat es als die wohl bitterste Erfahrung Wenzel Jakschs zu bezeichnen, daß es ihm weder bis 1938 in der Tschechoslowakei noch seitdem im Londoner Exil gelang, die Interessen der Sudetendeutschen erfolgreich zu vertreten. Vor allem aber vermochte er es nicht, ihre Vertreibung zu verhindern. Seit den Erfolgen der Alliierten, zumal der Sowjetunion, vom Jahre 1942/43 an, hatte Edvard Benês, durch den 1940 in London eine Provisorische Tschechoslowakische Regierung gebildet worden war, seine Haltung gegenüber den Sudetendeutschen im Exil, vor allem den Sozialdemokraten, geändert. Seine Pläne waren jetzt mehr und mehr auf eine Vertreibung der Sudetendeutschen gerichtet, zunächst noch bei Abtretung von vorwiegend deutschen Gebietsteilen wie des Egerlandes sowie der Bezirke Jägerndorf und Reichenberg an Deutschland, schließlich aber ohne diese Konzession. Die wiederhergestellte Tschechoslowakei sollte nur noch ein "Staat der Tschechen, Slowaken und Ukrainer" sein. Bis zum Ende seiner Tage hat Wenzel Jaksch unter der bereits 1944 in einem zu London verfaßten 10-Punkte-Plan festgelegten Vertreibung der Sudetendeutschen, die er nicht zu verhindern vermochte, gelitten.

Werke: Volk und Arbeiter (1936). –  Europas Weg nach Potsdam (21967).

Lit.: Rocenka Narodniho Shromázdeni Ceskoslowenské 1935/36, S. 96. –  Ch. Hoch, The Political Parties in Czechoslowakia, London 1936. –  Johann Wolfgang Bruegel, Ludwig Chech. Arbeiterführer und Staatsmann, Wien 1960. –  Jaroslaw Cesar/Bohumil Cerny, Politika nemeckych burzoaznich stran v Ceskoslovansku v letech 1918-1938, Prag 1962. –  Johann Wolfgang Bruegel, Tschechen und Deutsche, Bd. I: 1918-1938; Bd. II: 1939-1946, München 1967 u. 1974. –  Martin K. Blachstein, Wenzel Jaksch und die sudetendeutsche Sozialdemokratie, München/Wien 1974. –  Friedrich G. Kürbisch, Chronik der sudetendeutschen Sozialdemokratie 1863-1938. Seliger-Archiv, Stuttgart 1982, S. 55ff.  –  M. Hepp (Hrsg.), Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933-45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Bd. I: Listen in chronologischer Reihenfolge, München/New York/London/Paris 1985, S. 488. –  Mads Ole Balling, Von Reval bis Bukarest. Statistisch-Biographisches Handbuch der Parlamentarier der deutschen Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1945, Bd. 1, Kopenhagen 1991, S. 355/56.

Bild: Archiv des Deutschen Bundestags Bonn.

 

    Konrad Fuchs