Biographie

Jedin, Hubert

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Theologe, Kirchenhistoriker
* 17. Juni 1900 in Großbriesen/Oberschlesien
† 16. Juli 1980 in Bonn

Hubert Jedin hat sich zeitlebens zu seiner schlesischen Heimat bekannt und ihren unwiderruflichen Verlust nie verwunden. Sein Geburtsort Groß Briesen im Kreis Grottkau war noch ein reines Bauerndorf, fünf Kilometer von der nächsten Bahnstation (Friedewalde zwischen Grottkau und Neisse) entfernt und dem Einfluß städtischen Wesens fast ganz entzogen. Jedin war das zehnte Kind des Dorfschullehrers, der neben seinem Hauptberuf eine eigene Landwirtschaft betrieb. Der Vater war ein musisch begabter, von Wissensdurst erfüllter Mann; die Mutter, getaufte Jüdin, eine tief religiöse Natur, zugleich aber ausgestattet mit praktischem Verstand für die Erfordernisse des Alltags. Im Rückblick auf seine Kindheit hat Jedin die Charaktereigenschaften bezeichnet, die er von den Eltern erbte: vom Vater Phantasie und elementaren Wissensdrang, von der Mutter Zähigkeit und Nüchternheit gegenüber den Realitäten des Lebens.

Um ihm den Weg zu höherer Bildung und sozialem Aufstieg zu ebnen, wurde der elfjährige Dorfjunge auf das humanistische Gymnasium in Neisse geschickt. Damit verbunden war die Unterbringung im dortigen bischöflichen Konvikt. Während er den Anforderungen der Schule von Anfang an voll gewachsen war, fiel es ihm schwer, sich an das Internatsleben im Konvikt zu gewöhnen. Das änderte sich, als der Heranwachsende in den Bann einer starken Persönlichkeit geriet: des Konviktspräfekten Dr. Strehler. Er hat seinen Zögling systematische Selbstbeobachtung und Willensschulung gelehrt und den Fünfzehnjährigen der katholischen Jugendbewegung zugeführt.

Durch die Konviktzeit war für Jedin der Weg zum Priesterberuf vorgezeichnet. Sein Entschluß, Theologie zu studieren, entsprang nicht irgendwelchen inneren Kämpfen und Gewissensnöten – es war die selbstverständliche Konsequenz aus seinem bisherigen Werdegang. Nach kurzem Militärdienst in der letzten Phase des Krieges nahm er im November 1918 in Breslau das Studium auf. Er hat es hier mit Unterbrechungen durch je ein Semester in München und Freiburg i. Br. fortgeführt und 1923 mit der Promotion abgeschlossen.

In seinem Lebensbericht hat Jedin später bekannt, daß ihm die wissenschaftliche Theologie mehr angezogen habe als die Seelsorge, aber er sei nicht Priester geworden, um gelehrter Theologe sein zu können. Sein künftiges Wirken war noch nicht auf Forschung angelegt, als er am 2. März 1924 von Kardinal Bertram die Priesterweihe empfing. Wenig später erhielt er seine erste Stelle als Kaplan in Mühlbock in der Neumark, die damals noch zum Sprengel der riesigen Diözese Breslau gehörte. Hier, in der märkischen Diaspora, inmitten vielseitiger seelsorgerischer Tätigkeit, erreichte ihn die Nachricht, die seinem ganzen Leben die entscheidende Wendung geben sollte: Das Angebot einer auf drei Jahre befristeten Kaplanstelle im Priesterkolleg des Campo Santo Teutonico bei St. Peter in Rom.

Der junge schlesische Kaplan hat nicht einen Augenblick gezögert, die ihm hier gebotene Chance zu freier wissenschaftlicher Arbeit zu ergreifen. Die Richtung seines Lebens war fortan auf ein bestimmtes Berufsziel festgelegt: die Universitätsprofessur und – als ihre notwendige Voraussetzung – die Habilitation.

Jedin hat sich sein Forschungsthema, unbekümmert um die Wünsche seines Bischofs, selbst gewählt: Die Biographie und Theologie des Augustinergenerals Girolamo Seripando. Hauptgrundlage für eine Biographie dieser großen Gestalt der Kirchengeschichte war Seripandos weit verstreuter Nachlaß – ein ungehobener Schatz, dessen Erschließung gründliche Erfahrung im Umgang mit Handschriften erforderte. Im Quellenstudium zu seinem Thema hat sich Jedin selbst das Handwerkszeug angeeignet, das für den Historiker unentbehrlich ist. Schon nach drei Jahren war der erste Band der Seripando-Biographie im Manuskript vollendet und wurde in dieser Form im Sommer 1930 von der Breslauer Fakultät als Habilitationsschrift angenommen. Die Eingangspforte der akademischen Laufbahn war damit durchschritten. Jedin war nun Privatdozent, und angesichts seiner schon gefestigten wissenschaftlichen Reputation durfte er früher oder später der Berufung auf einen Lehrstuhl sicher sein. Es folgten drei arbeitsreiche, aber froh beschwingte Dozentenjahre, die Jedin in der Rückschau als die glücklichsten seines Lebens erschienen sind. Er suchte und fand Erfüllung in der akademischen Lehre. Ihr wurde 1933 ein jähes Ende gesetzt, das Jedin völlig unerwartet traf.

Jedin hatte sich bisher um Politik wenig gekümmert. Hitlers Machtergreifung erschien ihm zwar als gefährliches Experiment, doch empfand er eine gewisse Sympathie für die von ihm proklamierten nationalen Ziele. Er ahnte nicht, wie eng sein persönliches Geschick mit dem politischen Umbruch in Deutschland verflochten war. Erst das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 riß ihn aus allen Illusionen. Er wußte nun, daß er als Halbarier von jeder Verwendung im Lehrberuf ausgeschlossen war. Am 1. September 1933 wurde ihm von dem nationalsozialistischen Kultusminister Rust die Lehrbefugnis entzogen.

Die Amtsenthebung hat in Jedin das Gefühl einer tiefen Demütigung erzeugt, zugleich aber in ihm den festen Willen wachgerufen, durch überzeugende wissenschaftliche Leistung die These von der rassischen Minderwertigkeit der „Nichtarier“ zu widerlegen. Die Möglichkeit zu sinnvoller Tätigkeit bot ihm wieder der Campo Santo. Er hat hier drei Jahre (1933-1936) verbracht, mit derem wissenschaftlichen Ertrag er wohl zufrieden sein konnte: der musterhaften Edition des 13. Bandes der Trienter Konzilsdekrete. Er fand jedoch im Priesterkolleg ein verändertes Klima vor. Man ließ ihn fühlen, daß er ein geduldeter Flüchtling war. Hatte er sich bei der Ausreise noch der trügerischen Hoffnung hingegeben, das „Dritte Reich“ würde nicht von Dauer sein, so mußte er inzwischen erleben, wie sich das Regime immer mehr festigte. Sein Ende war nicht abzusehen. Sollte er nicht den Versuch wagen, „wieder in ihm und mit ihm zu leben“?

Jedin war im Herbst 1933 völlig legal nach Italien ausgereist. Es kam ihm daher nicht in den Sinn, daß die Rückkehr nach Deutschland Gefahr für Leib und Leben bedeuten könnte. So zögerte er nicht, eine Stelle am Breslauer Diözesanarchiv anzunehmen – einem unscheinbaren und, wie man meinen mochte, ungefährdeten Posten. Doch auch hier entging Jedin nicht den Spürhunden der Gestapo. Am Morgen nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde er aus dem Archiv heraus verhaftet, um ins Konzentrationslager Buchenwald verbracht zu werden. Warum er auf dem Polizeirevier als irrtümlich verhaftet wieder entlassen wurde, ist bis heute ungeklärt.

Wie durch ein Wunder war Jedin der tödlichen Gefahr noch einmal entronnen, aber er wußte nun, daß er seines Lebens in Deutschland nicht mehr sicher war. Von jetzt an stand sein Entschluß fest, sich eine Existenz im Ausland aufzubauen. Verschiedene in dieser Richtung angestellte Versuche scheiterten, doch gelang es Jedin, seinen römischen Gönner Kardinal Mercati für den Plan zu gewinnen, die Geschichte des Konzils von Trient zu schreiben. Der Kardinal erbot sich, ihn in Rom über Wasser zu halten, und es gelang Jedin mit viel Glück, trotz des Kriegsausbruchs ein Auslandsvisum nach Italien zu erlangen. Am 7. November 1939 hat er Breslau verlassen. Ihm war wohl bewußt, daß es ein Abschied für lange Zeit, nicht aber daß es ein Abschied für immer war.

Während seines dritten und längsten Romaufenthalts (1939-1949) stand Jedin ganz unter dem Eindruck des Kriegsverlaufs. Er hat ihn mit leidenschaftlicher Anteilnahme verfolgt – sowohl im Hinblick auf die eigene ungesicherte Existenz wie auf die Zukunft seines Vaterlandes. Je deutlicher sich die totale Niederlage Deutschlands abzeichnete, umso fühlbarer vollzog sich in Jedin eine geistig-politische Entwicklung, die ihm selbst erstaunlich erschien: seine bewußte Hinwendung zum National-Deutschen. Seine Abscheu vor dem Naziregime dauerte zwar unvermindert an, aber der ihm als Historiker anerzogene Sinn für Gerechtigkeit wehrte sich gegen die Gleichsetzung des Regimes mit dem deutschen Volk und seinen Soldaten. Die Abwehrhaltung gegen die maßlose Beschimpfung und Ächtung alles Deutschen hat ihn erst recht zum Patrioten gemacht und in einen inneren Konflikt gestürzt, aus dem es kein Entrinnen gab.

 

Trotz großer seelischer Belastung und zeitweiser Minderung seiner Arbeitskraft durch kriegsbedingte Unterernährung hat Jedin sein wissenschaftliches Vorhaben energisch weitergeführt, auch unter den erschwerten Bedingungen in der zunächst von den Deutschen, dann von den Alliierten besetzten „offenen Stadt“. Das Kriegsende befreite ihn wohl von dem Druck existentieller Gefährdung, doch blieb seine berufliche Zukunft weiterhin ungewiß. In Rom bot sich ihm keine Möglichkeit, in einer Dauerstellung festen Fuß zu fassen. So regte sich in ihm der Wunsch, an eine deutsche Universität zurückzukehren, glaubte er doch auf Grund seiner wissenschaftlichen Leistung und der ihm angetanen Unbill ein Anrecht auf einen vakanten Lehrstuhl für Kirchengeschichte zu haben. Die in dieser Richtung angestellten Bemühungen führten schließlich zum Erfolg. Zum 1. April 1949 wurde Jedin auf einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Universität Bonn berufen. Damit war das Ziel erreicht, das ihm von jeher vorgeschwebt hatte, freilich auf einem langen Umweg. Aber wenn jemals ein Umweg wissenschaftlich fruchtbar geworden ist, so gilt das für den von Jedin genommenen über das römische Exil.

Als Jedin im Sommer 1949 seine Lehrtätigkeit in Bonn aufnahm, war er bereits ein voll ausgewiesener Gelehrter mit internationalem Ruf. Der erste Band seiner Geschichte des Konzils von Trient ist zwar erst 1949 erschienen, doch lagen bereits mehrere Vorstudien als selbständige Bücher vor. Die vierbändigeGeschichte des Konzils von Trient ist Jedins Lebenswerk geworden, das ihn weltberühmt gemacht hat. Der hier vollbrachten wissenschaftlichen und historiographischen Leistung wird man erst voll gerecht, wenn man die vielen neuen Aufgaben bedenkt, die in Jedins Bonner Zeit an ihn herangetragen worden sind. Dazu gehörte die verantwortliche Tätigkeit als Haupt- und Mitherausgeber großer kirchengeschichtlicher Sammelwerke wie des Lexikons für Theologie und Kirche und des siebenbändigenHandbuchs der Kirchengeschichte. Dazu gesellte sich schließlich seine Beteiligung am großen kirchlichen Zeitgeschehen.

Durch die Einberufung des 2. Vatikanischen Konzils (1959) erhielt Jedins Hauptthema eine vorher nie zu erwartende Aktualität. Seine Reaktion darauf war die Kleine Konziliengeschichte, die er im Frühjahr 1959 in vier Wochen niederschrieb. In mehr als hunderttausend Exemplaren verkauft und in sieben Sprachen übersetzt, hat das Büchlein Jedins Namen in weite Kreise getragen, und es entsprach nur seiner wachsenden Reputation, daß er zu den Beratungen des Konzils herangezogen wurde. Der Historiker des Tridentinums wurde zum Peritus des 2. Vatikanischen Konzils.

Wie so viele seiner Zeitgenossen hat auch Jedin die Einberufung des Konzils freudig begrüßt. War er doch davon überzeugt, daß die Kirche in mancher Hinsicht reformbedürftig war. Er hat denn auch an den Beratungen des Konzils in der optimistischen Grundstimmung teilgenommen, die damals in der katholischen Welt die herrschende war. Als Historiker wußte er jedoch, daß die Bewährungsprobe eines Konzils erst nach seiner Beendigung kommt. Wie richtig diese Erkenntnis ist, zeigte sich auch nach Abschluß des 2. Vaticanums. Nach der Rückkehr von einem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten (1967), wo er eine Gastprofessur innegehabt hatte, mußte Jedin feststellen, daß die Kirche in eine tiefe Krise geraten war, die das 2. Vaticanum wenn nicht verursacht, so doch ausgelöst hatte. Sie entstand dadurch, daß man sich nicht damit begnügen wollte, die Konzilsdekrete durchzuführen, sondern sie als Hebel für radikale Neuerungen ansah, die über die Intention der Reformdekrete weit hinausgingen. Daß Jedin nicht zögerte, seine warnende Stimme gegen diese Verirrungen zu erheben, ist für ihn nicht ohne Folgen geblieben. Hatte man ihn während des Konzils den sogenannten „Progressiven“ zugerechnet, so wurde er jetzt als „konservativ“ verschrien, was in den Augen seiner Kritiker fast ein Schimpfwort war.

Jedins Haltung gegenüber gewissen modernistischen Tendenzen in der postkonziliaren Kirche und Theologie ist oft mißdeutet worden. Dagegen hat sein imposantes wissenschaftliches Œuvre allseitige Anerkennung gefunden. Sein Schriftenverzeichnis umfaßt 700 Nummern, darunter fast ein Dutzend Bücher und 250 Aufsätze, eine Lebensleistung, die nur durch strenge Arbeitsdisziplin zu erbringen war. Jedin hat sie beispielhaft geübt und gerade deshalb Zeit gefunden für intensiven Gedankenaustausch mit Freunden und Bekannten. Was ihm dabei zustatten kam, war seine ungemeine Kontaktfreudigkeit. Er suchte das Gespräch und entfaltete auch hier das besondere Talent, das die Lektüre seiner Schriften so anziehend macht: die hohe Kunst des anschaulichen Erzählens. Was er selbst im Gespräch zu befriedigen suchte – das rege Interesse am Zeitgeschehen –, gehörte für Jedin zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für den Beruf des Historikers, denn es bewahrt seine Wissenschaft vor dem „Absinken ins Antiquarische“. Verstand Jedin sich doch selbst als „Historiker aus Leidenschaft“, der „am Weltgeschehen leidenschaftlich Anteil“ nahm.

Weitere Werke: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, 2 Bde., Freiburg i.Br., Basel [u.a.] 1966. – Lebensbericht, hg. v. Konrad Repgen, (= Veröffentlichungen der Kommission f. Zeitgeschichte, Reihe A, Bd. 35), Mainz 1984.

Lit.: Reformata reformanda. Festgabe für Hubert Jedin, hrsg. von E. Iserloh und K. Repgen, 2 Bde., Münster i.W. 1965 [mit Bibliographie].

Stephan Skalweit