Biographie

Jellinek, Oskar

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Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 22. Januar 1886 in Brünn/Mähren
† 12. Oktober 1949 in Los Angeles/USA

Franz Karl Ginzkey, der in Pola geborene, aus Nordböhmen stammende Dichter, hat in der Einführung zur 1950 erschienenen Ausgabe von Jellineks „Gesammelten Novellen“ nachdrücklich festgestellt: „Sie gehören zum festen Bestand der deutschen Literatur.“ Und er sagt über das Lebenswerk dieses Dichters, „jeder Satz ist vom Herzschlag einer menschlichen Besonderheit begleitet … den man dankbar in sich aufnimmt im Bewußtsein einer neu gewonnenen seelischen Geleitschaft. Aus den Büchern Oskar Jellineks dokumentiert sich unumstößlich, daß Kunst, daß Dichtung aus Schmerzen geboren wird. Er ist ein Sänger des Leids, nicht nur seines eigenen, sondern auch des Leids seiner Menschenbrüder und -Schwestern, und das verleiht seinen Werken jenen adeligen Rang, der es um seiner hohen Humanität willen aus Gleichwertigem, von dem es übrigens nicht allzuvieles gibt, um ein Wesentliches herauszuheben vermag.“

Die Lektüre, vor allem der Novellen, weckt Zustimmung zu dieser Einstufung durch Ginzkey. Kein Zweifel, Jellinek ist fast vergessen, so vergessen, daß er selbst in Josef Mühlbergers umsichtiger und verdienstvoller„Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen“ (die den ganzen sudetischen Bereich einschließt) keine Aufnahme fand.

Jellineks Leben ist rasch erzählt. Der Brünner Gymnasiast und Wiener Jurastudent diente in Wien der Justiz, war nach dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg noch eine Zeitlang Richter. Sein Dasein als freier Schriftsteller beendete abrupt der Anschluß Österreichs. Er ging in die Vaterstadt zurück, mußte aber schon im Frühjahr 1939 emigrieren. Nach der Internierung in Frankreich (bei Kriegsausbruch) gelingt die Ausreise in die USA. Dort kann er frei leben. Doch die Entwurzelung des ganz in der deutschen Sprache Lebenden verstärkt seine Tragik, die nur durch die Wiener Gattin Hedwig gemildert wird. Die Übersiedlung nach Los Angeles (1943) bringt bessere Lebensbedingungen. Doch können die wenigen verbleibenden Jahre nicht mehr die tiefen Wunden heilen. Jellinek fühlt sich der Kultur und dem Schicksal Österreichs zutiefst und leidvoll verbunden.

In der Hauptstadt Mährens, dann beim Wiener Jurastudium bringt ihm das Theater entscheidende Eindrücke. Seine Erstveröffentlichung „Das Burgtheater eines Zwanzigjährigen“ verarbeitet seine Theaterleidenschaft und zeichnet Erlebnisporträts großer Mimen. Sein eigentliches Metier bleibt die Prosa. Die erste Novelle, vielleicht sein stärkstes Werk überhaupt, „Der Bauernrichter“, wird 1924 im Preisausschreiben von Velhagen und Klasing ausgezeichnet. Hier taucht er in seine literarische und menschliche Existenz ein, in die Landschaft Mährens, vor allem der tschechischen Dörfer, mitleidend und mitverstehend zugleich aus der Erfahrung des Juristen. Nicht ohne Grund sind Parallelen zu dem jüdischen Bauerndichter Jakob Julius David (1850 Mährisch-Weißkirchen – 1906 Wien) gezogen worden. Außerordentliche Schicksale in einfacher Welt erreichen, wie Ginzkey richtig feststellt, die „Wucht antiker Dramen“, das gilt für die auch heute noch sehr lesenswerten Novellen „Die Mutter der Neun“, „Der Sohn“, „Valnocha, der Koch“, „Hankas Hochzeit“, „Die Seherin von Daroschitz“ und „Der Freigesprochene“.

Die aus dem Nachlaß veröffentlichten Gedichte und Erzählungen, ein Romanfragment, unaufgeführte und ungedruckte Dramen – zwischen der Sehnsucht nach der Welt der Antike und neuromantischer Lyrik – erweitern das Gesamtbild des Autors wesentlich und sympathisch, erreichen aber insgesamt nicht die Originalität seinerNovellen. Das meiste, was er auch hier geschrieben hat, ist humanes, humanistisches Bekenntnis.

Hervorgehoben werden aber muß das „gesprochene Buch“, „Die Geistes- und Lebenstragödie der Enkel Goethes“. Dieser anrührende Vortrag wurde zunächst an der deutschen Masaryk-Volkshochschule in Brunn, dann mehrfach in Wien, schließlich in der amerikanischen Emigration gehalten. Zur Buchveröffentlichung schrieb der Autor in einer Vorbemerkung: „Das Leben der Schattengänger“ des Namens Goethe wird hier als eine unter einzigartiger Gesetzesgewalt stehende Schicksalseinheit gezeigt und gedeutet.“ Das ist nicht nur geistesgeschichtlich und psychologisch aufschlußreich, sondern auch – bei aller objektivierenden Formulierungskunst – von einer, das ganze Wesen und Schaffen Jellineks durchziehendenMitleidensfähigkeit getragen, die er als „eine alte Hingezogenheit zu Goethes müder Nachhut“ kennzeichnet.

Lit.: Oskar Jellinek: Gesammelte Novellen. Mit einer Einführung von Franz Karl Ginzkey, Wien 1950; Oskar Jellinek: Gedichte und kleine Erzählungen. Mit einem Nachwort von Richard Thieberger, Wien 1952; Oskar Jellinek: Die Geistes- und Lebenstragödie der Enkel Goethes. Ein gesprochenes Buch, Wien 1938 und 1953, Zürich 1938.