Adolf Jensen, dessen kompositorisches Talent von seinen großen Zeitgenossen von Bülow, Brahms, Cornelius, Berlioz u.a. durchaus anerkannt war, hinterließ 176 Gedichtvertonungen und zahlreiche Klavierwerke. Während seiner Königsberger Zeit (1860 bis 1866) prägte er das dortige lebendige Musikleben nachhaltig.
Adolf Jensen, der am 12. Januar 1837 in Königsberg geboren wurde, entstammte einer musikalischen Familie. Sein Großvater, Wilhelm Martin Jensen, Schüler von Hasse und Graun, war Universitätslehrer, Organist, Orgelinspektor, Musikdirektor und Herausgeber eines Choralbuches in Königsberg. Sein Onkel Eduard war Berufssänger, während sein Vater Julius als Klavier-Lehrer, -Stimmer und Notenkopist in Königsberg tätig war. Sein jüngerer Bruder Gustav (1843-1895) wirkte als Geiger, Komponist und Lehrer des Kontrapunktes am Kölner Konservatorium.
Adolf Jensens eigener musikalischer Bildungsweg war nicht konsequent angelegt. So erhielt er nur kurzfristig, mit Unterbrechungen, Unterricht durch den Kapellmeister Sobolewski, Louis Ehlert, den ausgezeichneten Pädagogen Louis Köhler, Friedrich Marpurg und Franz Liszt. Von 1852 an, als Adolf Jensen die Schule mit der Sekundarreife verließ, war er auf eigene Studien angewiesen. Seine beruflichen Tätigkeiten führten ihn jeweils nur für wenige Jahre an verschiedene Wirkungsstätten: 1856 nahm er in Grodno, im Haus des russischen Gouverneurs, eine gut bezahlte Stellung als Musiklehrer an, 1857/58 wirkte er als Theaterkapellmeister in Posen, Bromberg und Kopenhagen. In dieser Zeit förderte ihn auch Niels Wilhelm Gade. Bis 1860 gab er als Pianist in Skandinavien Konzerte, u.a. mit dem Cellisten Ch. Kellermann.
Zwischen 1860 und 1866 verbrachte Adolf Jensen glückliche und kompositorisch schöpferische Jahre in seiner Heimatstadt Königsberg. Der als liebenswürdiger und feinfühliger Mensch geschätzte Jensen war 1861/62 Dirigent der Musikalischen Akademie Königsberg und außerdem als Lehrer und Pianist, u. a. zusammen mit Anton G. Rubinstein und Clara Schumann, tätig. 1863 heiratete er Friederike Bornträger, die ihm durch ihr ererbtes Vermögen zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhalf. Der Königsberger Zeit folgte eine Klavierlehrer-Tätigkeit in Berlin (Mitarbeit an Tausigs Schule für das höhere Klavierspiel) und Dresden. Die letzten zehn Jahre seines Lebens verbrachte er in großer Zurückgezogenheit in Meran, Graz und Baden-Baden. Er litt zunehmend an einer Lungenkrankheit, die kaum noch fruchtbares Schaffen zuließ. Jedoch riß der Kontakt zu Musikern wie von Bülow, Brahms und Cornelius bis zu seinem Tod 1879 nicht ab.
Der Liederkomponist Adolf Jensen kann als Erbe Schumanns bezeichnet werden, doch finden sich in seinem Klaviersatz auch Anklänge an Liszt und Chopin. Voller poetischer Empfindungen steigern sich seine Klavierlieder gelegentlich in ihrem Ausdruck bis zum Salonhaften, werden jedoch nie trivial. Viele Lieder bilden Zyklen mit gemeinsamen Titeln wie „Dolorosa“ (Chamissos „Tränen“) op. 30, „Gaudeamus“ (12 Lieder von Scheffel) op. 40, Romanzen und Balladen op. 14. Viele seiner Klavierkompositionen sind Schumannschen Stimmungsbildern ähnlich, etwa seine „Wanderbilder“ op. 17 und „Idyllen“ op. 43. Auch die Form der Oper fehlt nicht in seinem Schaffen. Das einzige vollendete Werk, „Turandot“, zu dem er das Libretto selbst schrieb, wurde jedoch nie aufgeführt. An größeren Werken sind die Kantate „Jephtas Tochter“ und das Berlioz gewidmete Orchesterstück „Der Gang nach Emmaus“ zu nennen, beide führte er in seiner Königsberger Zeit auf.
Lit.: Musik in Geschichte und Gegenwart, Allgemeine Enzyklopädie der Musik, hrsg. von Friedrich Blume, Bd. 7, Kassel/Basel/London/New York 1958, Sp. 1-5; Erwin Kroll, Musikstadt Königsberg, Freiburg/Zürich 1966, 204-206; A. Niggli, A. Jensen, biograph.-krit. Essay, Zürich 1895.