Wie zwei seiner Brüder wurde auch Hans Jeschonnek, Sohn eines Studienrats, Berufsoffizier im kaiserlichen Heer. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich mit fünfzehneinhalb Jahren von der Kadettenanstalt Lichterfelde an die Front und wechselte schon 1917 als junger Leutnant zur Fliegerwaffe über. Trotz des verlorenen Krieges blieb er, der mit Leib und Seele Soldat gewesen war, seinem Beruf treu, beteiligte sich – nun allerdings fern der durch den Versailler Vertrag verbotenen Fliegerei – an den Grenzkämpfen gegen die Polen in Oberschlesien und fand nach kurzem Dienst in einem Reiterregiment früh im Stabsdienst Verwendung. Unter dem späteren Fallschirmjägergeneral Student studierte er im Heereswaffenamt die Entwicklung der ausländischen Luftwaffen. Die Generalstabsausbildung beendete er als Jahrgangsbester. Nach mehrjähriger Tätigkeit in der für die geheime Luftrüstung zuständigen Abteilung des Reichswehrministeriums wurde er 1933 zum Adjutanten des Staatssekretärs im neugeschaffenen Reichsluftfahrtministerium, des späteren Generalfeldmarschalls Milch, ernannt. 1936 erhielt er als Gruppenkommodore im Lehrgeschwader der Luftwaffe noch einmal ein Truppenkommando, das er als Kommandeur des Geschwaders beendete. Im Umgang mit begabten und begeisterungsfähigen jungen Fliegern verlebte er die ihn am meisten befriedigenden Jahre seines Lebens, hier fand er auch die wenigen wirklichen Freunde seiner äußerlich so erfolgreichen Karriere. Jeschonnek gab sich betont soldatisch, preußisch-knapp, auf Gleichaltrige und Ältere wirkte er dabei eher herausfordernd kühl, während er sich Jüngeren leichter erschloß. Bei allem Ehrgeiz schonte er sich selbst am wenigsten. Das Familienleben mit Frau und Tochter mußte dafür zunehmend hinter dem Beruflichen zurückstehen. Freilich blieb der Erfolg nicht aus. Bereits im Oktober 1937 war Jeschonnek als Abteilungsleiter wieder in das Reichsluftfahrtministerium zurückgekehrt, wurde im Februar 1938 mit 38 Jahren zum Chef des Luftwaffenführungsstabes und als Oberst, genau ein Jahr später, zum Generalstabschef der Luftwaffe ernannt. Jeschonnek genoß nicht nur das Vertrauen seines Oberbefehlshabers Göring, der von dem wesentlich Jüngeren einerseits wenig Widerspruch erwartete, ihn andererseits mit burschikoser Herablassung behandelte, die auf den sensiblen Generalstabschef häufig verletzend wirken mußte. Jeschonnek konnte sich lange Zeit und länger als sein Oberbefehlshaber auch der Gunst Hitlers erfreuen, dessen riskantes Konzept des Blitzkrieges er unter anderem mit seinem hartnäckigen Eintreten für den Sturzkampfbomber vorbehaltlos unterstützte.
Beeindruckt von der Überzeugungskraft und dem Durchsetzungsvermögen Hitlers machte er sich allerdings auch dessen Voluntarismus zu eigen und ersetzte nüchternes Kalkül durch den Glauben an die Kraft des in seinen Augen genialen Staatenlenkers und Feldherrn. Als Hitler Ende 1938, wenige Wochen nach dem Münchner Abkommen, eine erhebliche Verstärkung der Luftstreitkräfte und der Luftrüstung forderte und die von Göring zusammengerufenen Amtschefs der Luftwaffe Hitlers Rüstungspläne allein schon wegen der hohen Kosten von 60 Milliarden Mark als unerfüllbar erklärten, war es Jeschonnek, damals noch Chef des Luftwaffenführungsstabs, der gegen seinen Generalstabschef und die übrigen Amtschefs ein auf zwei Drittel geschrumpftes hauseigenes Rüstungsprogramm ablehnte und für das völlig illusorische Hitler-Programm eintrat. Als Göring, solchermaßen beraten, es nicht riskierte, Hitler ein verkleinertes Programm vorzuschlagen, bat der zuständige Referent – es war der spätere Bundeswehrgeneral Kammhuber – um seine Versetzung, der Generalstabschef Stumpff ließ sich ablösen.
Wenige Wochen später wurde Jeschonnek Stumpffs Nachfolger. Das Rüstungsprogramm, das mit den vorhandenen Finanzmitteln und Rohstoffressourcen schließlich zu realisieren war, blieb weit hinter den Hitlerschen Vorgaben zurück. Die Diskrepanz zwischen den gewollten Zielen und den erreichbaren Ergebnissen, an der Jeschonnek vor allem in den Kriegsjahren nicht unschuldig war, markierte damit auch im Bereich der Luftwaffe den Lauf der Dinge. Der unverbraucht-jugendliche Generalstabschef blieb bis in die Anfänge des Rußlandfeldzuges – den er begeistert begrüßte – von den Möglichkeiten und der Stärke seiner Waffe so überzeugt, daß ihn hierbei selbst der im Bramarbasieren kaum zu übertreffende Göring kritisierte.
Die Erfolge des Polen- und Frankreichfeldzuges, die nicht zuletzt der Schlagkraft der Luftwaffe zu verdanken waren, stärkten naturgemäß auch das hohe Ansehen ihres Generalstabschefs, nicht zuletzt bei Hitler. Als nach der verlorenen Schlacht um England, nach dem Verschleiß der Luftwaffe im Rußlandfeldzug, nach der Niederlage in Afrika und ihrem Versagen bei der Versorgung Stalingrads das Prestige Görings bei Hitler auf den Nullpunkt gesunken war, sah dieser in Jeschonnek noch den einzig Zuverlässigen der ganzen Waffe. Erst mit den nicht mehr zu bewältigenden Problemen des Luftkrieges seit dem Beginn der amerikansichen Tagesangriffe auf Deutschland, die Jeschonnek als Verfechter des kurzen Krieges durch mangelnde Vorsorge bei der Ausbildung, der Treibstoffversorgung und durch wenig durchdachte Vorgaben bei der Entwicklung neuer Flugzeugtypen mit zu verantworten hatte, wurde er bei Hitler immer mehr zum Sündenbock für die Luftwaffe.
Der nach außen so kühl und beherrscht wirkende General, der in Göring den eigentlich Schuldigen am Niedergang der Luftwaffe sah, litt mehr unter dieser Kritik, als er erkennen ließ. Seit Mitte 1942 wurde er, der zudem chronisch überarbeitet war, von Magengeschwüren geplagt. Die schnellen Beförderungen bis zum Generalobersten (März 1942) waren keine rechten Trostpflaster mehr. Nach dem schweren Angriff auf Hamburg Anfang August 1943 diskutierte man in den Führungsgremien der Luftwaffe sowohl die Ablösung Görings wie die Jeschonneks. Nach der Zerstörung der Flugzeugwerke in Wiener Neustadt durch einen amerikanischen Tagesangriff am 13. August 1943 kanzelte Hitler den zutiefst getroffenen General stellvertretend für die ganze Luftwaffe und ihren Oberbefehlshaber ab. In diesen Tagen muß Jeschonnek seinen Selbstmord geplant haben. Er hoffte, Hitler mit einer Denkschrift vom Versagen Görings und der notwendigen Änderung in der Luftwaffenführung überzeugen zu können. Zugleich glaubte er wohl, mit seinem Freitod vor allem für Göring ein Fanal setzen zu können. Am Morgen des 18. August 1943 erschoß er sich. Göring ließ die für Hitler bestimmte Denkschrift vernichten und das Todesdatum auf den 19. August verlegen, angeblich, um den möglichen Zusammenhang mit dem britischen Luftangriff vom 17. August auf Peenemünde zu verschleiern. Der Tote wurde im Garten des Luftwaffenhauptquartiers am Goldaper See begraben, sein Grabstein vor dem Einmarsch der Roten Armee entfernt.
Lit.: David Irving: Die Tragödie der Deutschen Luftwaffe. Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Milch, Frankfurt/M., Berlin 1970. – Richard Suchenwirth: Jeschonnek, Manuskript, ungedruckt, Institut für Zeitgeschichte, München.
Bild: Jeschonnek im Feldzug gegen Polen, September 1939, Bildarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz.