Biographie

Jesser, Franz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Publizist, Volkstumspfleger
* 1. Juli 1869 in Zwittau/Mähren
† 16. März 1954 in Frankfurt/Main

Der Sohn eines Kaufmanns besuchte die Volksschule in Zwittau, das Untergymnasium in Mährisch-Schönberg und das Obergymnasium in Mährisch-Trübau. Anschließend studierte er ab dem WS 1888/89 an der Deutschen Universität Prag Germanistik, Geschichte und Geographie. Vom 1. Oktober 1892 bis 30. September 1893 war er Einjährig-Freiwilliger im Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 16 in Krakau. Er führte sein Studium nicht zu Ende und war anschließend als Schriftsteller tätig. 1898-1904 war er Wanderlehrer des Bundes der Deutschen in Böhmen. 1902 wiederentdeckte bzw. verbreitete er die Bezeichnung „sudetendeutsch“ im modernen politischen Sinn. 1904 arbeitete er kurzzeitig für die Deutsche Volkspartei in Wien. 1905-1907 war er Sekretär der Deutschen Agrarpartei in Böhmen. Am Aufbau dieser Partei war er wesentlich beteiligt. Daneben war er Redakteur des Deutschen Agrarblatts. Am 23. Mai 1907 wurde er als Abgeordneter des Landwahlkreises Dux-Bilin-Oberleutensdorf-Katharinenberg in Stichwahl als parteiloser, nationaler Kompromisskandidat der Deutschen Agrarpartei in Böhmen und der Freialldeutschen Partei in den Reichsrat gewählt. Am 13. Juni 1911 wurde er im Stadtwahlkreis Mährisch-Schönberg für die Deutsche Volkspartei bis 1918 in den Reichsrat wiedergewählt. Im Reichsrat war er im parlamentarischen Ausschuss zur Durchführung einer Sozialversicherung tätig. Er trat für eine Sozialpolitik auf nationaler Grundlage ein. Hierfür trat er im Parlament zeitweise auch in scharfen Gegensatz zum deutschnationalen Lager. 1907-1914 war er als Schriftleiter und Vorstandsmitglied der Deutschnationalen Geschäftsstelle in Wien tätig. 1911-1919 war er daneben Herausgeber der „Deutschen sozialen Rundschau“ (später: „Deutsch-Österreich“) in Wien und Mitglied des Sozialausschusses des Reichsrats. Er publizierte daneben unter anderem auch in der „Österreichischen Rundschau“, im „Kunstwart“, in der „Deutschen Politik“ Rohrbachs, im „Archiv für innere Kolonisation“ sowie in der „Zeitschrift für öffentliche und private Versicherungen“. 1911-1919 war er Mitglied des Kuratoriums der Ottendorfer-Volksbibliothek. Bei Kriegsbeginn 1914 wurde er als Landsturmleutnant d.R. zu einer Ersatzeinheit einberufen. Wegen eines Nierenleidens wurde er aber zunächst zum Kanzleidienst beordert und schließlich entlassen. 1918-1920 war er als politischer Schriftsteller in Zwittau tätig. Daneben war er 1919-1939 Mitglied des Bücherrats der Ottendorfer-Volksbibliothek. 1918/19 war er Abgeordneter der Provisorischen Nationalversammlung Deutschösterreichs. 1920-1933 war er für den Wahlkreis Mährisch-Ostrau Senator der Deutschen National-sozialistischen Arbeiterpartei der Tsche­cho­slowakei (DNSAP) im tschechischen Parlament. Daneben war er Vorstandsmitglied des Deutschpolitischen Arbeitsamts in Prag und 1925-1933 Leiter der Zentralstelle zur Vorbereitung einer Volksorganisation der Sudetendeutschen. Am 3. Januar 1926 verlieh ihm die Deutsche Universität Prag den Ehrendoktor. 1929 wurde er Obmann des Klubs der DNSAP-Senatoren. Im selben Jahr scheiterte die Aktivitas des Vereins Deutscher Studenten (VDSt) Prag – Jesser war wenige Jahre zuvor zum Alten Herren ernannt worden – mit ihrem Plan, Jesser zum Ehrenmitglied zu ernennen am Widerspruch anderer Bünde. Diese waren der Ansicht, dass ein ordentlicher Alter Herr nicht zum Ehrenmitglied ernannt werden könne. Dies sei bereits die höchste Ehre im VDSt und ein anderes Vorgehen unüblich. 1930-1932 war er Herausgeber der Zeitschrift „Der Weg“. Jesser gründete die Sudetendeutsche Pestalozzi-Gesellschaft und die Deutsche Pädagogische Akademie in Prag. Daneben war er Mitglied des Mährischen Landesschulrats und des Europäischen Nationalitätenkongresses sowie korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft zur Förderung der deutschen Wissenschaft, Kunst und Literatur in Prag. Am 4. Oktober 1933 trat er aus Protest gegen deren Selbstauflösung aus der DNSAP aus und legte sein Senatsmandat nieder. Obgleich ihn seine Gegner als „Nestor des Nationalsozialismus“ in der Tschechoslowakei bezeichneten, war er laut Heinrich Kuhn auf nationalen Ausgleich bedacht. Demnach habe er den reichsdeutschen Nationalsozialismus abgelehnt. 1933-1945 war er Ehrenkurator der Ottendorfer Volksbücherei in Zwittau. Ab 1941 übernahm er auch deren Verwaltung. Nach seiner Vertreibung aus der Tschechoslowakei am 1. Mai 1946 ließ er sich in Untersöchering bei Weilheim in Oberbayern nieder. Dort war er Mitarbeiter der Ackermann-Gemeinde, daneben war er als Schriftsteller tätig.

Werke: Verzeichnis empfehlenswerter Bücher für Volks- und Haus-Bibliotheken, Prag 1904. – Die Beziehungen zwischen Heimarbeit und Boden, Prag 1907. – Das Wesen des nationalen Kampfes in den Sudetenländern. Eine kritische Studie, Wien 1912, Sonderdruck, aus: Deutsche soziale Rundschau, 2,7/8. – Innere Kolonisation in den Sudetenländern, Wien 1913, aus: ebenda, Jg. 2 und 3; Wesen und Werden der nationalen Frage, Prag 1913. – Deutscher Imperialismus oder mitteleuropäische Interessengemeinschaft, Prag 1915. – Kriegerheimstätten, Warnsdorf 1916; Aufsätze über Deutsch-Österreich. München o. J.; Nationale und wirtschaftliche Verhältnisse im Schönhengstgau, Wien 1919. – Student und Volk. Eine Rede, gehalten auf der Ferientagung der Vereine Deutscher Studenten am 13. September 1924 zu Mährisch-Schönberg, Marburg 1924. – Das Deutschtum in der Tschechoslowakei, in: Wilhelm Berensmann/ Wolfgang Stahlberg/ Friedrich Koepp, (Hrsg.), Deutsche Politik. Ein völkisches Handbuch, Frankfurt a.M. 1926, Teil 4, 38-45. – mit Franz Hilmer und Erhard Burger, Stimmen zur Schutzarbeit. Vorträge bei einer Schutzvereinstagung, Hohenstadt 1928. – Sudetendeutsche Kultur- und Sozialentwicklung seit 1919, in: Hans-Otto Wagner (Hrsg.), Von Kampf und Arbeit der Sudetendeutschen, Berlin 1930, S. 12-19. – Zur Nationalen Frage, Wien o. J. – Volkstumskampf und Ausgleich im Herzen Europas. Erinnerungen eines sudetendeutschen Politikers. Aufgezeichnet von Arthur Herr, Nürnberg 1983.

Lit.: Brief von Karl Ansorge an den VDSt Marburg vom 6. Juni 1929 (Bundesarchiv Koblenz: R 143/2) . – Erich Riedel, Franz Jesser – Ehrendoktor! Eine bemerkenswerte Promotion an der Prager deutschen Universität, in: Akademische Blätter, 40. Jg. 1925/26, S. 116-118. – Fritz Wertheimer, Von deutschen Parteien und Parteiführern im Ausland, Berlin 1927, S. 124-125. – Hermann Degener, A. L., Degeners Wer ist‛s, 10. Ausgabe, Berlin 1935, S. 750. – Wilhelm Kosch, Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik, 2 Bde., Bern und München 1963, Bd. 1, S. 606. – Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, Bd. 2, München und Wien 1979, S. 46. – Mads Ole Balling, Von Reval bis Bukarest. Statistisch-Biographisches Handbuch der Parlamentarier der deutschen Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1919-1945, 2 Bde., Kopenhagen 1991, Bd. 1, S. 428-429.

Weblink: https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Jesser; https://www.parlament.gv.at/WWER/PARL/J1848/Jesser.shtml.

Bild: Franz Jesser, ca. 1925, Wikipedia gemeinfrei.

Marc Zirlewagen