Biographie

Jettmar, Rudolf

Herkunft: Galizien u. Bukowina
Beruf: Maler, Akademiedirektor
* 10. September 1869 in Zawodice/ Galizien
† 21. April 1939 in Wien

Er war der Älteste von fünf Kindern eines Gutsverwalters. Nach dem frühen Tod der Mutter und der Wiederverheiratung des Vaters erfolgte die Übersiedlung ins Böhmische, wo er durch mehrere Ortswechsel in Libotschan b. Saaz, Tschischkowitz b. Lobositz und Komotau zur Schule ging. Rudolf Jettmar spielte Geige, Flöte und Orgel und wollte eigentlich Musiker werden, wozu er nach schwerer Erkankung die väterliche Erlaubnis erhielt. Nach der Gymnasialzeit in Böhmisch-Leipa und Eger besuchte er seit 1886 eine Malschule, obwohl er eigentlich „Alles nur nicht Maler“ (Jettmar 1975) werden wollte. Seit 1887 studierte er an der Wiener Akademie. Seine Professoren waren Franz Rump­ler, Christian Griepenkerl und August Eisenmenger. 1890 erhielt er das „Goldstipen­dium“ und 1891 den „Sozialschulpreis“. 1892 wechselte er zu Caspar Ritter nach Karls­ruhe, wo er sich besonders landschaftlichen Studien zuwandte und sich mit dem Schaffen Anselm Feuerbachs, später auch Arnold Böcklins auseinandersetzte. Die Mal­utensilien und die Geige auf dem Rücken machte er sich 1893 zu einer Fußreise über den Schwarzwald und die Schweiz nach Italien auf. 1894 ging er nach Leipzig und 1895 nach Dresden. Als Dekorationsmaler tätig, konnte er im Großflächigen, Bauge­bundenen Erfahrung sammeln, dem in seiner künstlerischen Arbeit auch Bedeutung zukommen sollte. Durch den Gewinn des Rom-Preises hielt er sich 1895/96 in Rom, Neapel, Florenz und Venedig auf. Die alpenländische Gebirgswelt und Italien wurden ihm zur großen Inspiration. 27mal sollte er nach Italien reisen. Die mächtigen Bauwerke mit ihrer abweisenden Festungsarchitektur, die großen Gestalten des italienischen Mittelal­ters und der frühen Renaissance sowie die heroischen Landschaften mit ihren Felsen und Steinbrüchen, einsame Gestade an dunklen Seen, waren ihm Quelle großer Faszination. Dies fand in seinem Werk seinen mythischen Ausdruck in symbolistischer Deutung für Allegorien, antike und biblische Themen, mit einer Palette von differenzierten Hell-Dunkelkontrasten und ausgeprägter Dunkeltönung.

Nach Wien zurückgekehrt studierte er 1897 an der Meisterschule für Graphik bei William Unger, sich auch mit dem Werk Max Klingers beschäftigend. In diesem Jahr erfolgte seine erste Ausstellung. 1898 wurde er eines der ersten Mitglieder der Wiener Secession und Mitarbeiter an der Zeitschrift „Ver sacrum“, wo er sich häufiger gestal­terisch einbrachte. Er war Mitglied im Verein Deutschböhmischer Bildender Künstler sowie beim Deutschböhmischen Künstlerbund. 1902 erhielt er den II. Preis der Prager Vereinigung. Mehrere Ölgemälde kamen in die Moderne Galerie Prag.

Jettmar wurde Lehrer an der Kunstschule für Frauen und Mädchen in Wien. 1907 heiratete er Maria geb. Meyer. Zu einem Aufsehen erregenden Erfolg wurden 1910 seine Herkules-Bilder bei der Internationalen Jagdausstellung in Wien. 1910 bis 1928 war er o. Professor der Akademie der Künste in Wien im Fach Allgemeine Malerschule, 1924/25 folgte die Leitung der Meisterschule und von 1925 bis 1927 war er Leiter der Maler­schule. 1929 übernahm er die Meisterschule für graphische Künste an der Akademie in der Nachfolge von Ferdinand Schmutzer. Durch seine Erkrankung 1934 mit mehreren Operationen erfolgte 1936 der Eintritt in den Ruhestand. Aus diesem Anlass wurde er zum Ehrenmit­glied der Akademie der Bildenden Künste Wien ernannt. Nach seinem Tod erfolgte eine Nachlass-Ausstellung im Secessionsgebäude.

Jettmar hat in mehreren Gattungen Bedeutendes geschaffen, in der Malerei, der Zeich­nung, den verschiedenen druckgraphischen Techniken. Auffallend ist die ihm ei­gene, unterschiedliche stilistische Verfügbarkeit, die über seine gesamte Schaffenszeit zu erkennen ist. Bereits seine frühen Radierungen zeigen die für Jettmar häufig als Stilmittel angewandte Verundeutlichung, oftmals einem geheimnisvollen Suchbild gleich. Dies zwingt den Betrachter zu einer näheren Auseinandersetzung, jedoch wird er durch die schemen­hafte Darstellung in ungewisser Betroffenheit zurückgelassen, nur auf Atmosphärisches verwiesen. Er schuf neben zahl­reichen Einzel­blättern mehrere graphische Zyklen, welche ihm große Anerkennung einbrachten: Die Stunden der Nacht, 10 Blätter von 1903/04, Acht Radierungen zu Byrons Kain (Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, Wien 1920), Taten des Herkules, 6 Blätter von 1936 und Kreuzerhöhungen von 1936. Gebrauchsraphische Arbeiten und das Ex Libris sind ebenso zu erwähnen wie Plakate.

Wand- und Deckenmalerei wären zu nennen: Durchzug der Kinder Israels durch das Rote Meer 1905 und Apollo Kurhaus Meran 1914. Ebenso Entwürfe für Glasmalerei für Denkmale, Wandteppiche und Mosaiken in der Steinhofkirche. Jettmar beteiligte sich regelmäßig an den großen Ausstellungen in Wien, aber auch im Verein deutscher bildender Künstler in Böhmen.

Seine enge Beziehung zur Musik krönte seine Ernennung zum Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Eine frühe Anekdote ist überliefert: „Er habe ein erlauchtes Gremium vor seiner Tür vergeblich warten lassen, nicht bereit, das einsame Spiel auf seiner Violine zu unterbrechen.“ Jettmar war mit dem Komponisten und Wiener Konservatoriumsprofessor Robert Fuchs näher bekannt, von dem er ein Porträt schuf, und mit dem aus einer bekannten Musikerfamilie stammenden Wiener Philharmoniker Karl Schreinzer befreundet.

Ein eindrucksvolles, visionäres Spätwerk ist Apokalyptisches Pferd über endzeitlicher Landschaft (Kunsthandel) von 1936. Das apokalyptische Pferd flieht fliegend in schmutzigem, dramatisch bewölktem Himmel über einem Schlachtfeld, den Blick in Todesangst zurückwerfend. Das Pferd hat seinen apokalyp­tischen Reiter abgeworfen und die Phalanx hinter sich gelassen. Aus den freien Zügeln führt eine dünne, gerade Linie, einer integrierten Remarque gleich, die sich zu dem Inferno einer entfernten, brennenden Stadt hin auflöst, wohl Symbol eines allerletzten Entrinnens. „Übermächtige Welt der Träume und Vision, die an jene von William Blake, Heinrich Füssli und Gustav Doré erinnern“ (B. Palmbach, Allg. Künstlerlex.).

Sein Lehrer August Eisenmenger gab ihm auf den Weg: „Populär werden Sie nie werden, aber die Besten werden immer an Ihrer Seite sein.“ Der Satz bestätigt sich immer wieder durch Ausstellungen. 1954 wurde die Jettmargasse im 23. Bez. benannt und die Österreichische Post hatte sich seiner zum 50. Todesjahr mit einer Sondermarke erinnert. Zum 100. Geburtstag fand die Ausstellung „Wiener Secession – Rudolf Jettmar“ statt. „Rudolf Jettmar – Ein Symbolist an der Wiener Akademie“ war der Titel der Ausstellung zum 150. Geburtstag, die den reichen Werkbesitz der Wiener Akademie ihres langjährigen Lehrers und Ehrenmitglieds zeigte.

Lit.: Thieme-Becker – Allgemeines Künstlerlexikon Bd. 78, S. 33. – Katalog Rudolf Jettmar 1869-1939, Ostdeutsche Galerie Regensburg 1975. – Rudolf Jettmar, in: Katalog SeelenReich zur Ausstellungsreihe Frankfurt, Birmingham, Stockholm 2000, München usw. 2000.

Bild: Selbstporträt 1896, Symbolismus – The Jack Daulton Collection.

Helmut Scheunchen