Biographie

Jokostra, Peter

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 5. Mai 1912 in Dresden-Trachau
† 21. Januar 2007 in Berlin

Der Schriftsteller Peter Jokostra, der mit richtigem Namen Heinrich Knolle hieß, wurde am 5. Mai 1912 in Dresden-Tra­chau geboren und starb am 21. Januar 2007 in einem Berliner Altersheim. Aufgewachsen ist er in Spremberg/Nieder­lausitz, wo sein Vater Stadtapotheker war. Da er sorbische Verwandte hatte, nannte er Spremberg gelegentlich Grodk, wie die Stadt in niedersorbischer Sprache heißt. Während seine Lehrer am Spremberger Realgymnasium seine künstlerischen Neigungen durchaus erkannten und förderten, zeigten seine Eltern wenig Verständnis. Nach dem Abitur studierte er Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie bei Max Horkheimer, Paul Tillich und Martin Buber in Frankfurt am Main, München und Berlin. Während dieser Zeit veröffentlichte er erste Gedichte und wurde Mitglied im „Roten Studentenbund“. Nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 gab er sein Studium auf und wurde für zwei Jahre Landarbeiter im südlichen Ostpreußen, über diese Zeit hat er 50 Jahre später in seinem Buch Heimweh nach Masuren. Jugendjahre in Ostpreußen (1982) berichtet. Diese Flucht in die Provinz Ostpreußen war der Versuch eines jungen Mannes, fernab von der hektischen Reichshauptstadt Berlin, wo jetzt die Nationalsozialisten herrschten, zur inneren Ruhe zu finden. Da er das ostpreußische Landleben, die Gutsherren, die Landarbeiter, die Instleute in aller Drastik geschildert hatte, wurde er von der Landsmannschaft Ostpreußen angezeigt und musste sich vor Gericht verantworten. Die Taschenbuch-Version (1985) seines Masurenbuches erschien dann als „korrigierte Ausgabe“.

Im Jahr 1935 übernahm er als Landwirt einen Bauernhof in Mecklenburg, wurde aber 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Über diese sechs Jahre veröffentlichte er fast 60 Jahre später das Buch Damals in Mecklenburg (1993). Während der Winterschlacht vor Moskau, die am 8. Dezember 1941 begonnen hatte, beschloss er, sich dem Kriegseinsatz zu entziehen und eine Krankheit vorzutäuschen. Er floh von der Front nach Ostpreußen, wo er sich verstecken wollte, wurde aber verraten und vor ein Kriegsgericht gestellt, nur der rasante Vormarsch der „Roten Armee“ rettete ihn vor der Verurteilung. In seinem autobiografischen Roman Das große Gelächter (1974) hat er über seine Zeit als Deserteur berichtet.

Aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen, wurde er Mitglied der westdeutschen KPD und kehrte 1946 nach Spremberg zurück, wo er als Lehrer, Kreisschulrat, Verlagslektor und Re­fe­­rent des 1945 gegründeten „Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ arbeitete. In diesen Jahren entstand seine Freundschaft mit dem gleichaltrigen, in Spremberg geborenen Erwin Strittmatter (1912-1994), die Annette Leo in ihrem Buch Erwin Strittmatter (2012) eindringlich beschrieben hat.

Nach der Veröffentlichung seines Gedichtbandes An der besonnten Mauer (1958) im „Mitteldeutschen Verlag“ in Halle wurde er von parteiamtlicher Seite heftig kritisiert und als „dekadenter Autor“ bezeichnet, weshalb er, die drohende Verhaftung fürchtend, mit Annemarie Cibulka (1920-2004), der Ehefrau des aus Jägerndorf/Böhmen stammenden Lyrikers Hanns Cibulka (1920-2004), nach Südfrankreich floh. Über diese französischen Jahre berichtete er in seinem Tagebuch Die Zeit hat keine Ufer (1963). Die überarbeitete Fassung erschien unter dem Titel Südfrankreich! (1989).

Später kam er in die Bundesrepublik Deutschland und ließ sich in Kasbach/Linz am Rhein nieder, wo sich bereits andere DDR-Emigranten wie Joseph Scholmer (1913-1995) und Ger-hard Zwerenz (1925) angesiedelt hatten. Von dort aus versuchte er 1962, die westdeutsche Werkausgabe der DDR-Schrift-stellerin Anna Seghers (1900-1983) zu verhindern, die im Luchterhand-Verlag in Neuwied am Rhein angekündigt war und mit dem ersten Band Das siebte Kreuz (1963) eröffnet wurde. Sein Buch über den aus Tilsit in Ostpreußen stammenden Lyriker Johannes Bo­browski (1917-1965) erschien unter dem Titel Bobrowski und andere. Die Chronik des Peter Jokostra (1967). Die Korrespondenz beider Dichter wurde unter dem Titel Johannes Bobrowski – Peter Jokostra. Ein Briefwechsel 1959 (2008) ver­öffentlicht. Ein weiterer Briefwechsel mit der aus Czerno­witz im Buchenland (Bukowina) stammenden Lyrikerin Rose Ausländer (1901-1988) erschien 2011 unter dem Titel Lieber Jokostromo – Liebe Immerda-Rose.

Bild: Lutz Frömbgen 1992.

Jörg Bernhard Bilke