Biographie

Kaffka, Johann Christoph

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Schriftsteller, Komponist, Schauspieler, Geiger
* 19. November 1754 in Regensburg
† 29. Januar 1815 in Riga

Er war der Sohn des Geigers Joseph Kaffka, Mitglied der Thurn- und Taxischen Hofkapelle, bei dem er seinen ersten musikalischen Unterricht erhielt. Später wurde der bekannte Musiktheoretiker Joseph Riepel sein Lehrer. Er war auf dem Regensburger Jesuiten-Gymnasium, wo er in geistlichen Schau­­spielen auftrat und früh Neigung zum Theater fasste. In seinen Übungspredigten „webte er ganze Stellen aus Lessings Emili Galotti und anderen Schauspielen ein“ (Re/Na). Nach Aufhebung des Ordens 1773 besuchte er die Schule der Augu­stiner und wurde Novize bei den Zisterziensern in Kaisersheim, trat aber bald aus dem Orden aus. Er war zunächst Praktikant der fürstlichen Kanzlei in Regensburg, dann Geiger bei der Thurn- und Taxischen Kapelle.

Mit der Aufführung seines Singspiels Der verbannte Liebhaber 1775 in Re­gensburg, war die lebenslange Theaterlaufbahn eingeschlagen. Er war als Sänger (Bass), Schauspieler und Tänzer (sehr gut aussehend), Regisseur sowie als Geiger und Dirigent tätig, was er mit seinen Befähigungen als Kompo­nist und Schriftsteller verbinden konnte. Der Thespiskarren führte in quer durch Deutschland und in viele deutschsprachige Theater des Auslands.

Gegen den Wunsch der Eltern ging er 1775 als Musikdirektor an das „Deutsche Theater“ in Prag (Bruniansche Gesellschaft?). 1776/77 war er in Nürnberg bei der Mo­serschen Gesellschaft engagiert, wo sein Lustspiel Der Transport zur Auf­führung kam. Nach einem Engagement bei Marchand in Frankfurt/M. kam er nach Leipzig zur Bondinischen Truppe. Er stand dort mit Christoph Bretzner in Verbindung, der als Li­brettist für ihn Bedeutung hatte. Mit der Gesell­schaft Schopf kam er 1778 nach Regensburg, wo seine Singspiele Lucas und Hann­chen nach Johann Eschenburg und Das Milchmädchen (Christian Schwan nach L’Anseaume) aufgeführt wurden.

1779 bis 1781 war er bei Doebbelin in Berlin engagiert, wo er mit Johann Jakob Engel (Philosoph der Aufklärung, Dichter, Theaterdirektor) arbeitete, der lebhaften Umgang mit Berliner Literaten und Künstlern hatte. 1779 wurden Antonius u. Cleopatra. Ein Duodrama mit Gesang nach d’Arien und 1780 die Oper Der Apfeldieb oder der Schatzgraeber (n. Bretzner) aufgeführt. In Berlin heiratete er die Schauspie­lerin und Tänzerin Therese Rosenberg. Die Untreue und der Leichtsinn seiner Frau, Kaffka war der erste ihrer vier Ehemänner, „trieben ihn nach Prag, Brünn und 1782 nach Breslau“ (Re/Na S. 409).

Besonders erfolgreich waren die Breslauer Jahre, wo er als Glied der Wäser­schen Gesellschaft in gutem Ansehen stand. 1784 erschien bei Wilhelm Gottlieb Korn in Breslau das Melodram Rosemunde. Ein musikalisches Drama von C. F. Bretzner aufs Klavier und zwo begleitenden Violinen eingerichtet „Ihro Königl. Hoheit der Prinzessin von Preußen Friederike Louise allerunterthänigst zuge­eignet“, das in Breslau vierzig Aufführungen erlebte.

Kaffka äußerte sich zu den Theaterzuständen: „Er bemängelte zunächst die De­korationen. Dann kritisierte er seine Kollegen, den Regisseur Scholz als Dar­steller, Madame Spindler lobte er ebenso wie Madame Wäser, die Chefin, für ihre Jugendrollen. Er wandte sich gegen das Pathos der Mimen und stimmte da­rin wohl mit dem Geschmack des Kritikers der Constantinischen Gesellschaft überein. Der pathetische Schauspieler finde großen Anklang beim Publikum, während der wahre Künstler, der die schwere Arbeit übernimmt, Menschen aus der wirklichen Welt im ächten Conversationston darzustellen, wenig Dank ver­dient und unbemerkt bleibt.“ (Weber S. 92f). Mehrere Aufführungen seiner Theater­stücke und Singspiele sind nachzuweisen: Der Guckkasten 1782, So prellt man alte Füchse, Operette nach Molière von August Meißner 1782, Bitten und Erhörung, ernsthaftes Singspiel nach Christian Berger 1783, die Singspiele Der blinde Ehemann nach Joh. Jünger 1788 und 1789 Der Talismann oder die seltsamen Spiegel nach Bretzner und das Lustspiel Die Rückkehr aus Ostindien. Von 1789 bis 1792 war er in Riga engagiert, wo er 1791 Die Günstlinge, oder: in der Noth lernt man Freunde kennen aufführte (Hartknoch Leipzig 1791). Bemerkenswert seine Schrift Ueber den Werth der theatralischen Rührung. Eine Skizze. „Dem Rigischen Publicum gew., Riga 1792“.

Im Vorwort seiner Sammlung Ruinen der Vorzeit (2 Bde. Breslau/Leipzig 1790 und 1793) schrieb er von einer Art „serapiontischer“ Verbindung: „Einige Freun­de der Wahrheit im romantischen Gewande verbanden sich vor vielen Jahren, eine Sammlung unterhaltender Novellen zu liefern.“ Es folgten Reise­jahre, die eine zunehmende Hinwendung zur Schriftstellerei mit mehr theoreti­schen Ambitionen aufzeigt. 1792 wurde in Augsburg Philemon und Baucis nach Johann Zabuesnig erstmals aufgeführt und 1793 kam er mit der Gesellschaft Schika­neder wieder nach Stuttgart, mit welcher er dort bereits 1778 engagiert gewesen war. Seine Theaterstücke gewannen Verbreitung, auch durch Drucklegung, wie das Schauspiel Die belohnte Vaterlandsliebe, 1794 in Breslau, Hirschberg und Lissa aufgeführt oder Vaterlandsliebe und Bürgertreue (Korn Breslau 1794). Aufführungen seiner Stücke belegen wohl manche seiner Stationen, wie in Magdeburg die Lustspiele 1787 bzw. 1789 Sechs Freyer und keine Braut und Wer ist nun betrogen? nach Voltaire.

Besondere Einsichten geben die Schilderungen von Deutschland. Aus dem Taschenbuch eines Reisenden, voll interessanten Lokal­bemerkungen und Wahrheiten (1798), die auch Rückschlüsse auf den Verfasser ermöglichen. Vielseitig interessiert schildert er Kunstwerke, ökonomische und politische Zustände, das Theaterwesen, Sehenswürdigkeiten u.v.a.m. Sie zeigen einen Menschen von Humanität und großer Bildung, der zu vielen Fragen Stellung bezieht wie Soziales, Umweltprobleme, Judenemanzipation, Fragwür­digkeiten des Klosterlebens etc. Originell und ein Beleg universellen Geistes sind seine Handzeichnungen und Bruchstücke eines Naturmenschen; ein politisches, philosophisches, historisches und satyrisches Gemengsel (2 Bde. Leipzig 1797). Bemerkenswert auch formale Experimente wie z.B. im Roman in dramati­scher Form Die Weisen von Schesian (Leipzig 1797).

In Jena machte er 1794 die Bekanntschaft Goethes, bei dem er 1795 aus Dres­den wegen eines Engagements in Weimar anfragte. 1796 kam in Mann­heim das Trauerspiel Die Tempelherrn zur Aufführung. 1797 heiratete er in Dresden die Schauspielerin Maria Theresia Brandt. Sie wurden nach Königsberg und Dessau engagiert, dann 1799 von Joseph Miré an das Deutsche Hof-Theater St. Petersburg verpflichtet. Einige Monate später verließ ihn seine zweite Frau. Veröffentlicht hat er in St. Petersburg 1801 Die Würde der Bühne und ihre Nützlichkeit. Ein Rückblick in das vergangene Jahr­hundert. Auffallend ist, dass russische Themen und Stoffe im literarischen Schaffen fürderhin eine größere Rolle spielten. 1801 verabschiedete er sich mit der Schrift Den Edlen in St. Petersburg weihet diese Blätter bey seiner Abreise und ging nach Riga. 1812 besuchte er nochmals St. Petersburg.

Mit 11 Jahren wurde nun Riga zum längsten Aufenthalt in seinem unsteten Leben. Es war eine fruchtbare Zeit, in welcher er neben reger Konzert- und Theatertätigkeit auch Verleger und Buchhändler mit Leihbibliothek war. Zeit­weise erfolgreich war seine zwischen 1803 und 1809 herausgegebene Drei­mo­nats­schrift Nordisches Archiv mit vielseitigen Beiträgen: Skizzen gesellschaftli­chen Lebens in Riga in Briefen und Hogarthsche Studien für Unerfahrene, Lüsterne und Kenner. Auch Autoren wie den jungen Rigenser August Heinrich von Weyrauch, der Komponisten-Dichter und Graf Ludwig Mellin, Kartograph und Komponist hat er zur Mitarbeit aufgefordert. Kurzlebiger war seine dreimal wöchentlich erscheinende Zeitung Nordische Miszellen.

1805 komponierte er die Oper Ignaz del Monte, die er in Riga aufführte. Das Textbuch erschien in seiner Nordischen Commissionshandlung in Riga und auch in Leipzig, wie die beiden Bän­de seiner Theater-Sammlung Polyhymnia, „der vaterländischen Singbühne gewidmet“, die ihn als Bühnenautor weiter bekannt machten. Ein Beleg lokalgeschichtlicher Anteilnahme ist die 1810 in Mitau erschienene Schrift Jubelfeyer, da Riga nach einer langen Belagerung am 4. July 1710 dem Russischen Scepter unterworfen wurde.

Enge Verbindungen hatte er zum Rigaer Konzertleben, was zahlreiche Aufführungen, besonders seiner geistlichen Werke, belegen. In Folge des Ri­gaer Theaterbankrotts 1812 kam er über Stockholm und Kopenhagen nach Wien, wo er 1813 sein Historisches Schauspiel Michael Romanow oder Die Befrei­ung von Moskau im Jahre 1612 auf die Bühne brachte, um dann ein Engagement als Regisseur in Graz anzutreten. In Graz lebte seine Tochter Aloisia verh. Hysel, die als Sängerin und Schauspielerin am Theater wirkte. Dort konnte er seine Lustspiele Der Traum und Der Westindier sowie die aktuellen Schauspiele Die Bundesschlacht bei Leipzig, Der Brand von Moskau im Jahre 1812 und Die Seg­nungen des Friedens auf die Bühne bringen. Über Frankfurt ging er 1814 nach Riga zurück – vielleicht war die wachsende Kinderschar seiner Tochter, sie hatte zwölf Kinder, mit ein Grund.

Johann Christoph Kaffka starb 1815 den Theatertod – während einer Vorstel­lung am Rigaer Stadttheater in der Rolle des Porths in Rochus Pumpernickel, dem Wiener Lustspiel von Matthaeus Stegmeyer nach Ignaz Seyfried, nachdem er die Arie Der Tod packt mich schon an gesungen hatte.

Die meisten biographischen Fakten stammen aus dem Schriftstellerlexikon Recke-Napiersky (s.a.O.), die aus Kaffkas Manuskript Meine Lebenserfah­rungen. Ein Pendant zu Wilhelm Meisters Lehrjahre zusammengestellt wurden, das sich in Riga befand. Daraus sind auch die zahlreichen anonym erschienenen Werke ermittelt.

Besonderen Erfolg hatte er mit seinen Theaterstücken. Schon die hier genann­ten Titel zeugen von großer Vielseitigkeit – vom Lustspiel und Possen bis zu groß angelegten Trauerspielen und historischen Stücken. Auch Romane und Er­zählerisches sowie Übersetzungen hatte er veröffentlicht. In der Umsetzung seiner rhetorischen Fähigkeiten verfasste er philosophische Abhandlungen und auch Polemiken (August von Kotzebue) sowie kunsttheoretische Schriften, Reiseberichte, Geschichtliches und genanntes Journalistisches.

Kaffka war ein erfahrener Komponist: Zahlreiche Singspiele und Opern, mehrere Sinfonien, oratorische Werke wie Der Tod Ludwig’s XVI und Jesu lei­dend und sterbend, Messen und ein Requiem, Ballette und kleinere Werke. Mit seinen vielseitigen Fähigkeiten setzte er sich für das deutsche Singspiel ein, vom Kammersingspiel bis zu mehraktigen, personenreichen Werken.

Mag der rastlose Lebensgang Kaffkas für einen Menschen, der lebenslang vor den Thespiskarren gespannt ist, nicht ungewöhnlich sein, ebenso wie die Vereinigung mehrerer Bühnenberufe auf eine Person, aber die riesige Spann­weite seines Schaffens, auch ex officio am Theater, ist wohl von Einmaligkeit, sowohl im Dichterischen als auch im Kompositorischen. Ein Hauptwerk hat sich nicht herauskristallisiert, wenngleich seine Stücke an verschiedenen Orten aufgeführt wurden. Durch die geringe Rezeption lässt sich auch kein herausra­gendes Gebiet erkennen. Von Zeitgenossen wurde bemängelt, dass er in seinen Schauspielen gerne Passagen anderer Autoren eingeflochten hatte und in musikalischen Bühnenwerken über das übliche Pasticcio hinaus Musik von Komponisten „entliehen“ hatte, etwas, das durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart (Etikettenschwindel) am Theater häufig ist. Dies lässt Kaffka auch als ausgefuchsten Praktiker erkennen.

Ein Gebot wären Sammelausgaben der verstreuten Schriften und des komposi­torischen Schaffens. Eine gute Internet-Prä­senz mit einigen Digitalisaten und erste Neuausgaben sind zu bemerken. Das Erarbeiten einer umfassenderen Biographie wäre ein ausgreifender Gewinn. Auch eine Verfilmung seines Lebens trüge zu einer anregenden Popularisierung dieser vielfach interessanten Persönlichkeit der Goethe-Zeit bei.

Lit.: Div. Musik- u. Literaturlexika u. Internetlisten. – Johann Friedr. v. Recke/Karl Ed. Napiersky, hier Re/Na, Allgemeines Schriftsteller u. Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland, Esthland u. Kurland. Bd. 2 Mitau 1829, ND Berlin 1966, S. 408ff. – Moritz Rudolph, Rigaer Theater u. Tonkünstler Lexikon, Riga 1890, ND Han.-Döhren 1975, S. 113. – May Redlich, Lexikon deutsch­baltischer Literatur, Köln 1989 Georg-Dehio-Gesellschaft, S. 162ff (WÜ). – Helmut Scheunchen, Lexikon deutschbaltischer Musik, Wedemark-Elze 2002, Georg-Dehio-Gesellschaft, S. 121ff (WÜ). – Carola L. Gottz­mann/Petra Hörner, Lexikon der deutschsprachigen Literatur des Baltikums und St. Peters­burgs, Berlin 2007, Bd. 1, S. 401ff (WÜ). – Karl Weber, Geschichte des Theaterwesens in Schle­sien, Dortmund 1980, S. 74, 92f. – Janis Torgans, Johann Christoph Kaffka (1754-1815) und das Ri­gaer Kulturleben seiner Zeit, in: Musica Baltica Konferenzbericht 1993, Sankt Augu­stin 1996, S. 183 ff. – Dieter Haberl, Das Regensburgische Diarium (Intelligenzblatt) als musikhistorische Quelle. Erschließung und Kom­mentar der Jahrgänge 1760-1810, Regensburger Studien 19, Regensburg 2012, diverse S.

Bild: Silhouettenzeichnung auf Titelblatt von Johann Christoph Kaffka, Der Äpfeldieb oder der Schatzgräber. Eine Operette in einem Akte, 1776/1800.

Helmut Scheunchen, 2017