Biographie

Kandt, Richard

Herkunft: Posener Land
Beruf: Arzt, Afrikaforscher
* 17. Dezember 1867 in Posen
† 29. April 1918 in Nürnberg

Als Richard Kandt 1898 im heutigen Ruanda die Nilquelle entdeckte und in seinem Buch Caput Nili darüber berichtete, war „das größte geographische Geheimnis nach der Entdeckung Amerikas“ (Harry Johnston) gelöst, ging aber bis heute kaum in die Werke ein, die in verschiedenen Sprachen über die Entdeckung der Nilquelle berichten. Der Anteil von Forschern aus dem deutschen Osten kommt dabei entweder zu kurz oder wird ganz verschwiegen. Dabei war der erste, der nähere Angaben über den genauen Verlauf des oberen Nils machen konnte, Ignaz Palme aus dem nordböhmischen Steinschönau (Kamenický Šenov), der als Kaufmann und Glashändler mehrere Jahre am oberen Nil verbrachte und in seinem 1843 erschienen Buch Beschreibung von Kordofan und einige angrenzenden Ländern darüber berichtete. Eine englische Ausgabe Travels in Kordofan erschien 1844 in London. Noch im Erscheinungsjahr nahm der maltesische Kanoniker Annetto Casolani die Angaben Palmes zum Anlass, eine italienische Zusammenfassung und Auszüge des Buches bei der Propaganda-Kongregation in Rom einzureichen. Sie wurden ein wichtiger Anstoß für die bald einsetzende Mission in Zentralafrika, bei der österreichische Missionare eine große Rolle spielten. Unter ihnen sind der Slowene Ignaz Knoblecher und der Italiener Daniele Comboni, der Begründer der Comboni-Missionare und Comboni-Schwes­tern. Beide waren wie Palme Staatsbürger des Kaiserreiches Österreich.

An Expeditionen und Forschungsreisen in den oberen Nilländern nahmen ostdeutsche Forscher wie der Schlesier Theodor Kotschy teil, Franz Binder aus Siebenbürgen und Martin Ludwig Hansal aus Südmähren, der beim Mahdi-Aufstand in Khartum ermordet wurde. Emin Pascha, der sich damals trotz des Aufstandes südlich des Machtgebietes des Mahdi als ägyptischer Gouverneur in Innerafrika hielt, war ein gebürtiger Schle­sier, Eduard Schnitzer aus Oppeln.

Die Entdeckung der eigentlichen Nilquelle erfolgte erst 1898 durch Richard Kandt aus Posen. Das Deutsche Reich zählte inzwischen auch Deutsch-Ostafrika zu seinen Kolonien. Hier wirkte Richard Kandt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges als deutscher Resident in Ruanda. In seinem Werk Caput Nili. Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils, das in zwei Bänden seit 1904 mehrere Auflagen erlebte, beschreibt er seine Expeditionen, die ihn bis zu den Quellen des Rukarara, des eigentlichen Nilquellflusses, führten.

Kandt wurde als Kantorowicz am 17. Dezember 1867 in einer jüdischen Familie in Posen geboren, ließ sich 1893 taufen und nahm 1894 den Namen Kandt an. Am Kolberger Domgymnasium hatte er 1887 das Abitur gemacht und dann Medizin in München studiert, wo er Mitglied der Burschenschaft Rhenania-München war. Von Beruf war er Nervenarzt und war als solcher zunächst in Bayreuth und München tätig, ehe er sich schon früh Afrika und dem Problem der Nilquellen zuwandte und im Gebiet des Kagera-Nils forschte.

Seine zwei Bände, in denen er Tagebuchnotizen, Briefe, Skizzen und Stimmungsbilder lose vereinte und zusammenfügte, werden als „Zierde des Afrikaschrifttums“ bezeichnet. 1906 wurde er als Kaiserlicher Resident in die neu geschaffene Residentur Ruanda in Kigali im damaligen Deutsch-Ostafrika berufen. Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges weilte er gerade im Heimaturlaub in Deutschland. Da er wegen des Krieges nicht mehr nach Afrika zurückkehren konnte, meldete er sich freiwillig als Arzt an die Ostfront. An der russischen Front wurde er bei einem Gasangriff schwer verwundet, als er einem Verletzten helfen wollte. Nicht mehr fronttauglich, arbeitete er als Arzt in Wolhynien für die ruthenische Landbevölkerung, zog sich eine Tuberkulose zu und starb nach langem Leiden am 29. April 1918 im Reservelazarett in Nürnberg, wo er auch am Friedhof St. Johannis begraben ist, unweit der Ruhestätte von Albrecht Dürer.

Lebendig liest sich noch heute sein Caput Nili. Wir lesen von Sansibar und der Deutsch-Ostafrikanischen Küste, von den großen Karawanenstraßen und der Ugalla-Sindi-Expedition, von seinem Ringmarsch um die Vulkane und erleben dann mit ihm, wie er dem Rukarara immer weiter aufwärts folgt, besessen vom Ziel, die Nilquelle zu finden, die man zu Ende des 19. Jahrhunderts immer noch so suchte wie 2000 Jahre früher, als Kaiser Nero eine militärische Expedition ausschickte, die bis Nubien kam, den heutigen Sudan.

„Es war das Ende eines Tales, das ich Mitte August 1898 mit meiner Karawane erreichte. Nur noch als 30 Zentimeter breites Rinnsal kam hier der Rukarara aus der pfadlosen, mit Wald und üppigster Vegetation erfüllten Schlucht. In diese drang ich am nächsten Tag mit einem Eingeborenen und einigen meiner Leute ein. Es war eine schlimme Arbeit; für je 500 Meter brauchten wir fast eine Stunde. Aber mit Äxten und Haumessern brachen wir uns Bahn, und oft im Morast bis zum Leib versinkend, oft auf allen Vieren in dem eiskalten Bach selbst kriechend, durch Schluchten und Nebenschluchten langsam ansteigend, erreichten wir nach mühevollen Stunden, erschöpft, durchnässt, von oben bis unten besudelt, einen kleinen feuchten Kessel am Ende einer Klamm, aus deren Boden die Quelle nicht sprudelnd, sondern Tropfen für Tropfen drang: Caput Nili.“

Was Jahrhunderte nicht wussten und die Menschen des 19. Jahrhunderts faszinierte wie zuvor nur die Entdeckung Amerikas, war Wirklichkeit: Richard Kandt stand an der Quelle des Nils.

Werke: Caput Nili, 2 Bände, Berlin 1904. – Meine Seele klingt. Nachgelesene Gedichte aus dem Kriege, Berlin 1918.

Lit.: R. Bindseil, Ruanda und Deutschland seit den Tagen Richard Kandts, Berlin 1988. – R. Grulich, Zu den Quellen des Nils, in: „Oh Prag, wir zieh’n in die Weite“. Sudetendeutsche in aller Welt, S. 43-50, Augsburg 1992.

Bild: Richard Kandt 1897, Caput Nili, Berlin 1914.

Rudolf Grulich