Biographie

Karsch, Anna Louisa (geb. Dürbach)

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Dichterin
* 1. Dezember 1722 in Meierhof Hammer/Schwiebus
† 12. Oktober 1791 in Berlin

Die Biographie dieser aus einfachen (und dazu bildungsfeindlichen) Verhältnissen stammenden, immer wieder mit widrigen Umständen aller Art konfrontierten außergewöhnlichen Frau mutet wie die Parodie auf einen kitschigen Schicksalsroman an.

Der frühe Tod des Vaters, eines Gasthofpächters, beendet vier glück­liche Jahre (1728 bis 1732), die das Kind in dem damals zu Polen gehörenden Städtchen Tirschtiegel (Kr. Meseritz/Posen) bei einem verwitweten anhanglosen Großonkel zubringt, von dem es lesen und schreiben gelernt hat Denn nach baldiger Wiederverheiratung holt die Mutter die Zehnjährige zurück, die nach einem Intermezzo als Magd bei einem nach Polen verheirateten Bürgermädchen fortan bei den sich einstellenden Halbgeschwistern als Kinderwärterin fungieren muß, nach Übersiedlung auf ein Vorwerk bei Tirschtiegel auch als Hirtin. Durch einen Hütejungen gerät sie an Lektüre: Robinson, Märchen, erbauende Schriften.

1738 wird sie an den geizig-amusischen Tuchmacher Hirsekorn ver­heiratet, nach der von ihm gewollten Scheidung (der ersten Eheschei­dung in Preußen) 1749 zur Ehe mit dem trunksüchtig-haltlosen Wan­derschneider Karsch gedrängt. Mit ihm lebt sie zunächst im damals noch polnischen Fraustadt (Posen), ab 1755 im schlesischen Glogau. 1760 wird Karsch zum Militärdienst herangezogen, den er als Deser­teur quittiert und nach Polen geht. In die von ihm wegen beabsichtigter Wiederverehelichung erbetene Scheidung willigt die Verlassene, wie sie später ihrem Idol, Preußens Friedrich II., in Privataudienz mitteilen wird, wegen ausbleibender Unterhaltsmittel nicht ein. Was diese Frau das Martyrium zweier unglücklicher Ehen, aus der sieben Kinder hervorgingen, und ein oft unter kümmerlichsten Bedin­gungen mehr schlecht als recht gefristetes Leben durchstehen ließ, war die von früh an mit Hilfe von Zufallslektüre autodidaktisch entwickelte Fähigkeit, Verse zu machen. In einem der ihren Lebenslauf schildern­den Briefe von 1762 an den Berliner Ästhetik-Professor Sulzer schreibt sie: „Ich ergriff jede Gelegenheit, Verse zu machen.“ Es sind Gelegen­heitsgedichte, die sie verfertigt, Gedichte auf Ereignisse und Gestalten des privaten wie auch des politischen Bereichs (Siebenjähriger Krieg, Fridericus Rex), die ihr langsam einen Namen machen. Sie dichtet auf Bestellung, gegen zumeist aus Naturalien bestehende Honorare, und ruft durch ihr bestehendes Improvisationstalent Erstaunen hervor, was ihr gewisse Förderung verschafft.

Die entscheidende Wende ihres Lebens kommt, als 1760 ein Freiherr von Kottwitz auf sie aufmerksam wird, ein von ihrem Können sehr angetaner edler Gönner, der sie 1761 nach Berlin bringt. Dort wird sie von den literarischen Zeitgrößen als „Wunderfrau“, als „außerordent­liche Erscheinung“ empfangen, erlangt Zugang zum Hof und zu den höheren Gesellschaftskreisen. Auch zu einer Audienz bei Friedrich II. kommt es (in Potsdam), der aber sein Versprechen, für die „Poetin“ sorgen zu wollen, nicht wahr macht. Erst sein Nachfolger schenkt ihr am Hackeschen Markt in Berlin ein Haus, das sie 1789 beziehen kann. Tatkräftig nimmt sich ihrer der anakreontische Lyriker Gleim in Hal­berstadt an, zeitlebens ein hilfreicher Unterstützer junger Talente. Er gibt, auf Subskription, Auserlesene Gedichte der von ihm als „deut­sche Sappho“ Gefeierten heraus (Berlin 1764; Faksimile-Nachdruck Stuttgart 1966), die ihr 2000 Taler einbringen. Nun ist sie „die Kar­schin“, von der Sulzer in Gleims Ausgabe ihrer Gedichte sagt: „Ohne Vorsatz, ohne Kunst und Unterricht sehen wir sie unter den besten Dichtern ihren Platz behaupten.“ Dieser weitgehenden Überschätzung zu ihrer Zeit stehen jedoch auch (einzelne) kritische Stimmen gegenüber. So gesteht ihr Moses Mendelssohn zwar „eine ungemeine Fertigkeit zu reimen“ zu, meint aber: „Man hätte ihr die Kunst beibringen sollen, weniger zu dichten und mehr zu prüfen …“

Am echtesten ist sie in ihren Improvisationen, denen eigenes Erleben zugrunde liegt, und in ihren erfrischend ungezwungenen Briefen. Ihre Versuche nach anakreontischen Mustern sind gehaltlich unbedeutend und formal ohne Profil. Aber sie bleibt bis an ihr Ende eine konstante Größe im Berlin der Aufklärungszeit, dabei im Privaten beständig von Materiellen Sorgen bedrängt und mit familiären Problemen belastet. Auch dem 19. Jahrhundert ist sie präsent. Gut fünfzig Jahre nach ihrem Tode hat sie Heine in Deutschland, ein Wintermärchen (1844) verewigt, in dem Traumgespräch mit Barbarossa (Caput XVI), zusammen mit ihrer Tochter, der Schriftstellerin Karoline Luise von Klen(c)ke, geb. Karsch (1754-1802) und ihrer Enkelin Helmina von Chezy (1783-1856), die das Libretto zu Webers Euryanthe schrieb. Und nochbei Fontäne begegnet man „der Karschin".

Weitere Werke: Idyllen. Dem Herrn Wilhelm Bachmann zugeeignet […]. Halberstadt 1762; Poetische Hinfalle. Erste Sammlung. Berlin 1764; Oden über verschiedene hohe Gegenstände. Berlin 1764; Kleinigkeiten. Berlin 1765; Neue Gedichte. Mitau und Leipzig 1774; Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslauf herausgegeben von Ihrer Tochter C.L. von KI., geb. Karschin. Berlin 1792; 21797.

Neuausgaben: Elisabeth Hausmann (Hg.): Die Karschin. Friedrich des Großen Volksdich­terin. Ein Leben in Briefen. Frankfurt/M.: 1938; – Herybert Menzel (Hg.): Das Lied der Karschin. Die Gedichte […] mit einem Bericht ihres Lebens. Hamburg 1938; – Barbara Beuys (Hg.): Anna Louisa Karsch. Herzgedanken. Das Leben der „deutschen Sappho“, von ihr selbst erzählt. Frankfurt/M. 1981; – Gerhard Wolf (Hg.): O, mir entwischt nicht, was die Menschen fühlen. Gedichte und Briefe von Anna Louisa Karschin. Berlin (Ost) 1981 u. Frankfurt/M. 1982.

Lit.: Moses Mendelssohn: Briefe, die Neuste Literatur betreffend. Berlin 1761 (143. Brief) und 1764 (272.-276. Brief). – Heinrich Wilhelm von Gerstenberg: Briefe über Merkwür­digkeiten der Literatur. 12. Brief, erste und zweite Sammlung. Schleswig und Leipzig 1766. Neudruck in: Deutsche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jhdts., hrsg. von Bernhard Seuffert. Heilbronn 1888. S. 84-94. – Johann Gottfried Herder: Eine Beilage zu den Briefen die Neueste Litteratur betreffend 1767 […] Sappho und Karschin, in: Herder. Sämmtliche Werke. Berlin 1877. Hg. v. Bernhard Suphan. 1. Bd. S. 350-352. – Ders.: Gedichte von Anna Louisa Karschin […], in: Erfurtische Nachrichten. 25. Stück v. 8. 5. 1797. S. 201-207; – ADB. Bd. 15. Leipzig 1882. S. 421f. – Adolf Kohut: Die deutsche Sappho: Anna Luise Karschin […]. Dresden 1887. – Karl Goedecke: Grundriß zur Geschichte der Deutschen Dichtung, 3. Aufl. Bd. IV, I. 1916 (Neudruck 1955), S. 291ff. und S. 1121f. – Anna Valeton: A.L. Karschin, in: Schlesische Lebensbilder IIl. 1928; – NDB. Bd. 11. Berlin 1977. S. 299f. –Gisela Blinker-Gabler: Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1978, S. 135-141. – Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Frankfurt/M. 1979, S. 150-157; – Literatur-Lexika (Kosch, Wilpert u.a.m.).