Biographie

Karsch (Karschin), Anna Louisa

Herkunft: Ostbrandenburg
Beruf: Dichterin
* 1. Dezember 1722 in Meierhof Hammer/Schwiebus
† 12. Oktober 1791 in Berlin

Anna Louisa Karsch geborene Dürbach ist nie ganz aus dem literarischen Bewusstsein verschwunden, wie viele andere Dichterinnen und Künstlerinnen, vielleicht weil sie eine der ganz wenigen Frauen war, die Friedrich II. empfangen hat.

Der Alte Fritz, so im Volksmund genannt, war nicht nur kein Freund der Frauen, er lehnte auch komfortable Straßen ab, die erst sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. bauen ließ, die sogenannte Steinbahn, weil Friedrich vermutete, dass dann der Feind das ausnutzen würde und zu schnell vorwärtskäme. Nichtsdestotrotz ist es dem Kutscher gelungen, die achtundreißigjährige Karschin, wie man früher die Frauen in der weiblichen Namensform zu nennen pflegte, und ihre zehnjährige Tochter sicher aus dem fernen Schlesien nach Berlin zu bringen. Über Kontakte war es ihr gelungen, ihren gewalttätigen Ehemann bei der Armee unterzubringen und damit loszuwerden. Friedrich II. führte bereits den Dritten Schlesischen, den Siebenjährigen Krieg.

Sie kommt also am 25. Januar 1761 in Berlin an und wohnt die erste Zeit im Haus des Grafen Gustav Adolph von Gotter (1692-1762), wo auch Baron von Kottwitz logiert. Dieser ist ein früher Förderer, sie dichtet (Anna Louisa Karsch: Auserlesene Ge-dichte, herausgegeben von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, George Ludewig Winter, Berlin, 1764, Seite III.):

„Der mich aus unanständigen Geschäften,
Aus einem pöbelhaften Leben ohne Ruh,
Herausgerissen mit aus Menschenfreundes Kräften
Mein treuer Kottwitz! Der bist du.“

Der Karschin ging ein Ruf von Berühmtheit wegen ihrer Dichtkunst voraus. Ihr Ruf war der einer Berufsdichterin, der ersten überhaupt, die gegen Honorar auf ein paar Stichworte hin zu verschiedenen, auch alltäglichen Anlässen, Hochzeiten, Trauer perfekte Gedichte schrieb oder rezitierte. Sie hatte mit dem Dichten ihre Familie ernährt, auch das ist ungewöhnlich für die Zeit.

Sie wuchs im Kreis Lebus jenseits der Oder auf, musste ihrer Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters bald schon wieder heiratete, als Kindermädchen für die Stiefgeschwister und als Kuhmagd dienen. Aber ein Onkel brachte ihr Lesen und Schreiben und ein wenig Latein bei. Welch ein Erbe, das sie zu nutzen weiß, in diesem Elend, denn auch sie wird verheiratet und hat aus dieser Ehe Kinder. Interessant ist, dass der Mann sich scheiden lässt, es ist die erste Ehescheidung, 1745, überhaupt, der Mann kriegt die Kinder, sie die Schande.

Mit dem zweiten Ehemann, einem Säufer, zieht sie nach Glogau, wo es ihr sehr schlecht geht, weil nur durch ihre Dichtung die Familie überleben kann: „Ich ergriff jede Gelegenheit, Verse zu machen.“

Mittlerweile war in ganz Schlesien ihr Ruf verbreitet, eine talentierte Poetin zu sein, sie bekam eine Vielzahl von Aufträgen, nicht nur zu familiären Anlässen zu dichten, sondern auch Loblieder, z.B. zu Friedrich II., zu verfassen …

Die nach dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges (Dritter Schlesischer Krieg) von ihr gedichteten Lobeshymnen auf Friedrich II. und Preußen fanden auf Flugschriften im ganzen Land Verbreitung und machten sie so auch in Berlin bekannt.

Als sie hier ankam, hatte sie bereits ein kampferprobtes Leben hinter sich, aber auch Freunde gefunden, die ihr den Einstieg in die aufklärerische Berliner Geisteswelt ermöglichten. Selbst Goethe interessierte sich für sie. Er mahnte sie mehrmals, ihm was zu schicken. „Schicken Sie mir doch auch manchmal was aus dem Stegreife, mir ist alles lieb und wert, was treu und stark aus dem Herzen kommt…“ (August 1775) (Karschin, Reclam, S. 200).

Und tatsächlich am 27. Mai 1778 schreiben sowohl die Karschin selbst als auch ihre Tochter Caroline an Gleim, dass Goethe sie in Berlin besucht habe.

Der Dichter Wilhelm Ludwig Gleim (* 2. April 1719 in Ermsleben; † 18. Februar 1803 in Halberstadt) war der wesentliche Freund und Unterstützer, der ihr in Berlin und Halberstadt zur Seite stand. Mit dem Dichter Karl Wilhelm Ramler schaffen sie eine Subskription von über 400 Interessenten, was die Karschin in ganz Deutschland bekannt macht. Von den 1764 erschienenen ‚Auserlesenen Gedichten‘ hat sie einen Reingewinn von 2.000 Talern, die sie anlegt, die aber trotzdem nicht ausreichen für den Lebensunterhalt als alleinerziehende Mutter, also macht sie weiter Gelegenheitsdichtung.

Bereits 1761 hatte Johann Wilhelm Ludwig Gleim sie zur deutschen Sappho erklärt und ihre feierliche Dichterkrönung in Halberstadt vorbereitet; ab 1785 las er dann selbst Gedichte von ihr in der Literarischen Gesellschaft Halberstadt.

Am 11. August 1763 war es der Karschin tatsächlich gelungen, dass Friedrich II. sie in Potsdam, nachmittags um 5 Uhr, zu einer Audienz empfing. Sie trug ihm nicht nur Gedichte vor, sie hatte keine Hemmung, ihm ihre persönliche Notlage zu schildern. Sie bat um ein eigenes Haus, da sie bedrängt wohnte; was er auch zusagte, aber nie einhielt. Sie jedoch wäre nicht die Karschin, würde sie seine kleineren Überweisungen nicht mit Spottgedichten an ihn wieder zurückschicken (Karschin, ebd., S. 196).

„Zwei Taler gibt kein großer König,
Ein solch Geschenk vergrößert nicht mein Glück.
Nein, es erniedrigt mich ein wenig,
Drum geb ich es zurück.“

Dieses Spiel wiederholte sich alle paar Jahre.

Die Karschin lernte auch Friedrichs Gattin, Königin Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern, kennen, die in Nieder-schönhausen auf dem Barnim, weit weg von den Tücken des Hofes in Berlin ihre Sommer verbrachte, wo auch Amalie von Preußen, die jüngste Schwester von Friedrich II, verkehrte. Die Karschin wusste mit ihren Gedichten die Damen zu erheitern. Zwischenzeitlich war der Königinnenhof vor den Truppen nach Magdeburg geflohen. Mit Amalie dichtete sie Kantaten, die die Prinzessin vertonte. Eine dieser Kantaten avancierte zur Geburtstagskantate für Friedrich II. und wurde am 24. Januar 1762 im Dom zu Magdeburg feierlich aufgeführt.

Aber auch die Alltäglichkeiten, die sie in Berlin auf ihren Spaziergängen beobachtet, schreibt sie in ihren Gedichten nieder, soziale Probleme. Und auch die Feuersbrunst vom 26. August 1787 in Neu-Ruppin lässt sie nicht unerwähnt. Mehr noch mit der Veröffentlichung von Gedichten trägt sie zur Unterstützung armer Familien bei, woran noch hundert Jahre später in der ‚Illustrirten Berliner Wochenschrift Der Bär‘ erinnert wird, der auch immer wieder an die Karschin erinnert (Illustrirte Berliner Wochenschrift Der Bär – Eine Chronik für’s Haus, Jahrgang 13, Ausgabe 50 vom 10. September 1887, Seite 616).

Das versprochene Haus ließ Friedrich II. nie bauen, erst sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. hatte ihr eins am Hackeschen Markt zur Verfügung gestellt. Es soll sich um das hübsche, historisch renovierte Haus an der Neuen Promenade, mit der Hausnummer 5, handeln (Naumann-Beyer, Anna Louise Karsch in Berlin, 2019, Seite 426).

Anna Louisa Karsch stirbt am 12. Oktober 1791. Ihre letzte Ruhe findet sie auf dem Friedhof der Sophienkirche in Berlin-Mitte. „Kennst Du Wanderer sie nicht, so gehe und lerne sie kennen“. Diese Worte auf einer schlichten Begräbnistafel erinnern heute noch an die Dichterin und bezeugen, wie Recht Heinrich Heine hätte, wenn er dichtete: „Unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte.“ Heinrich Heine hat der Karschin in seinem Deutschland ein Wintermärchen ein Denkmal gesetzt. Aus dem Gespräch mit Kaiser Barbarossa (Heinrich Heine: Deutschland ein Wintermärchen, in: Heinrich Heine: Werke und Briefe, Band 1, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, 1972, Seite 474):

„Er frug nach Moses Mendelssohn,
Nach der Karschin, mit Interesse
Frug er nach der Gräfin Dubarry,
Des fünfzehnten Ludwigs Mätresse.
‚Oh Kaiser‘, rief ich, ‚wie bist du zurück!

Der Moses ist längst gestorben,
Nebst seiner Rebekka
, auch Abraham,
Der Sohn, ist gestorben, verdorben.

[…]

Die alte Karschin ist gleichfalls tot,
Auch die Tochter ist tot, die Klenke
;
Helmine Chézy, die Enkelin,
Ist noch am Leben, ich denke.“

Heinrich Heine ist 75 Jahre jünger als die Karschin, welche Welten dazwischen!

Anna Louisa Karschs Tochter Karoline Louise von Klenke wurde ebenfalls Dichterin und die Enkelin, Helmina von Chézy, machte Karriere als Journalistin, Librettistin und Dichterin. Dieser Fundus an Frauenpower müsste heute eigentlich sehr gefragt sein, die Karschin z.B. auf einem Poetry Slam Festival zu ihrem Geburtstag.

In Berlin gibt es eine Anna-Louisa-Karsch-Straße, das muss reichen. In Halberstadt wurde 2022 ihres 300. Geburtstags gedacht.

Lit.: Anna Louisa Karschin, Gedichte und Lebenszeugnisse, hrsg. Alfred Anger, Reclam 1987. – Gerhard Wolf (Hrsg.): O, mir entwischt nicht, was die Menschen fühlen. Gedichte und Briefe, Stimmen von Zeitgenossen. Märkischer Dichtergarten, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1981. – Oden mit welligem Schnitt, Artikel von Michael Bienert, Tagesspiegel 4. August 2022, S. 21. – Interessant ist der Briefwechsel zwischen Gleim und der Karschin, circa 1.500 Briefe Zeitgeschichte, die im Gleimhaus in Halberstadt aufbewahrt sind, erstmalig veröffentlicht: „Mein Bruder in Apoll“. Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim, hrsg. von Ute Pott. Nachwort von Regina Nörtemann, Göttingen, Wallstein-Verlag, 1996.

Bild: Anna Louisa Karsch, gezeichnet von Adam Friedrich Oeser, gestochen von Meil, gemeinfrei

Jenny Schon