Biographie

Katharina II. die Große, (russ. Jekaterina II. Alexejewna)

Herkunft: Pommern, Rußland (Wolga- u. Schwarzmeer)
Beruf: russische Zarin
* 2. Mai 1729 in Stettin/Pommern
† 17. November 1796 in Zarskoje Selo/Puschkin

Das Bild der anhaltinischen Prinzessin, die in ihrem vierunddreißigsten Lebensjahr als  Katharina II. den russischen Thron bestieg, zeigt in der Geschichtsschreibung bis zur Gegenwart starke Schwankungen. Es verwundert kaum, daß die Kaiserin, die Rußland bis zu ihrem Tode 1796 zur Hegemonialmacht, den Petersburger Hof zu einem kulturellen Mittelpunkt in Europa und sich selbst zur Schiedsrichterin in der kontinentaleuropäischen Politik machte, ebenso leidenschaftlich geliebt wie abgründig gehaßt wurde. Mit ihrem umfangreichen schriftstellerischen Werk war Katharina II. dabei selbst die beste Interpretin ihrer Absichten in Rußland und in Europa. In ihren Memoiren, deren Abfassung sie seit ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr im ganzen neunmal in Angriff nahm, steht allerdings nicht das Wirken als Kaiserin, sondern der persönliche Werdegang in der ersten Lebenshälfte im Vordergrund.

Sophie Friederike, die älteste Tochter des in preußischen Militärdiensten stehenden Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst und seiner Gemahlin Johanna Elisabeth, wuchs in bescheidenen, beinahe bürgerlichen Verhältnissen auf. Der ehrgeizigen Mutter, einer geborenen Herzogin von Holstein-Gottorp, gelang es jedoch über das weitgespannte Netz ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen, die Verheiratung ihrer Tochter mit Herzog Karl Peter von Holstein zu betreiben. Dieser war seit 1739 als Erbe seines Vaters, des Herzogs Karl Friedrich von Holstein (durch dessen schwedische Mutter und durch seine russische Gattin Anna, eine Tochter Peters des Großen) Anwärter auf den schwedischen und auf den russischen Thron. Um die Nachfolge sicherzustellen, hatte Kaiserin Elisabeth I. den vierzehnjährigen Karl Peter (seither Pjotr Feodorowitsch) sofort nach ihrem Regierungsantritt 1741 aus Holstein nach Petersburg kommen lassen. Als seine künftige Gemahlin wählte sie die anhaltinische Prinzessin aus. Am 28. Juni 1744 (nach russischem Stil), nur ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft in Rußland, trat Sophie Friederike bereits zur griechisch-orthodoxen Kirche über. Seither hieß sie Jekaterina Alexejewna und führte den Titel Kaiserliche Hoheit. Die Vermählung mit dem Thronfolger fand im August 1745 in Petersburg statt.

Während Elisabeth I. in den kommenden Jahren ihren Nachfolger auf sein Amt vorzubereiten suchte, erkundete die junge Großfürstin auf ausgedehnten Reisen das Land, erlernte die russische Sprache und entwickelte eine persönliche, nicht durch die höfische Welt vorgeprägte Beziehung zu ihren Untertanen und deren religiösen und kulturellen Traditionen. Das Verhältnis zu ihrem Gatten, dessen unzulängliche geistige und charakterliche Fähigkeiten die Überlegenheit Katharinas nur noch mehr betonten, verschlechterte sich zusehends. Spätestens mit der Übernahme der Verwaltung der Holsteinischen Angelegenheiten 1755 verbindet sich Katharinas endgültiger Eintritt in die Politik, der sie sich mit gleicher Hingabe widmete wie ihren ungezählten Liebhabern am Hofe. Für den Vater ihres 1754 geborenen Sohnes Paul wurde allgemein Graf Saltykow gehalten, doch bestand Peter auf seiner Vaterschaft. Daß dieser infantile, kränkliche und seiner russischen Umgebung vollständig fremd gegenüberstehende Mann nach dem Tode Elisabeths I. 1761 mit 34 Jahren als Peter III. widerspruchslos zur Regierung kam, war nicht vorherzusehen gewesen. Katharina benötigte jedoch nur ein halbes Jahr, um die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu wenden. „Les esprits des gardes étaient préparés“, hieß es später in ihren Memoiren im Zusammenhang mit dem Staatsstreich vom 28. Juni 1762, als die Garderegimenter die Kaiserin „dans une fureur de joie“ als Selbstherrscherin proklamierten. Peter III., der sofort interniert worden war, kam acht Tage später unter noch immer ungeklärten Umständen ums Leben.

Die Herrschaft Katharinas II. in Rußland (1762 bis 1796) gilt ebenso wie die Friedrichs II. in Preußen und die Josephs II. in Österreich als repräsentativ für den aufgeklärten Absolutismus. Tatsächlich lassen zahlreiche wohlfahrtsstaatliche Reformen, die Ansätze einer umfassenden Schul- und Bildungsplanung und die Inangriffnahme einer neuen Rechtskodifizierung eine langfristig angelegte Politik erkennen. Die ungewöhnlich belesene Selbstherrscherin, die gelegentlich das Schrifttum von Bayle, Voltaire und Montesquieu als das „Gebetbuch“ für ihr Politikverständnis bezeichnete, betrieb in der Innenpolitik zunächst eine Reorganisation der Zentralbehörden und sorgte für eine genaue Abgrenzung ihrer jeweiligen Kompetenzen. Durch das Manifest vom 15. Dezember 1763, das den Senat durch Einteilung in sechs Departements umgliederte und Verwaltungsbeamten ein größeres Gewicht einräumte, gewann Katharina einen beträchtlichen Spielraum gegenüber den untereinander konkurrierenden Adelsfraktionen. Zwölf Jahre später folgte mit der Gouvernementsreform auch eine Neuordnung der Lokalverwaltung, die 1782 durch die Polizei-Ordnung und 1785 durch die Gnadenurkunden für den Adel und die Städte ergänzt wurden. Zugleich wurde allerdings mit Rücksicht auf den grundbesitzenden Adel die bäuerliche Leibeigenschaft verschärft, deren Regulierung immerhin – im Interesse einer effizienteren Gutswirtschaft –  in der von Katharina 1765 mitgegründeten „Freien Ökonomischen Gesellschaft“ diskutiert wurde. Soziale Reformvorschläge wurden freilich ebenso rigoros unterdrückt wie zahlreiche Bauern- und Kosakenaufstände, die eine Folge der Übertragung der Leibeigenschaft auf die Gebiete der Kosaken und der Angleichung der Ukraine an die großrussische Sozialordnung waren.

Mit dem Ziel, den Reichtum des Staates zu vergrößern, nahm Katharina seit 1762 eine an der westeuropäischen Kameralwissenschaft orientierte großangelegte Kolonisationspolitik in Angriff. „Wenn wir die Ausdehnung der Länder unseres Kaiserthums in Betracht ziehen“, begründete sie ihre bevölkerungspolitischen Überlegungen, „so finden wir unter anderem die vorteilhaftesten, nützlichsten Gegenden zur Besiedlung und Bewohnung durch das menschliche Geschlecht, welche bis jetzt noch brach bleiben, darunter keine geringe Zahl, die in ihrem Innern einen unerschöpflichen Reichtum verschiedener Metalle bergen; und weil der Wälder, Flüsse, Seen und zum Handel geeigneter Meere genug vorhanden sind, so ist auch genügend Gelegenheit geboten zur Vermehrung vieler Manufakturen, Fabriken und anderer Gewerbeanstalten“. Im März 1764 wurden die Ansiedlungspläne für das Wolgagebiet und das Gouvernement Neurußland, die spätere Südukraine, veröffentlicht. Einwanderungswilligen Handwerkern, Kaufleuten und Landwirten wurden Land, Kredite, Vorschüsse zum Bau von Häusern und Kauf von Vieh und Geräten, mehrjährige Abgabefreiheit, freie Religionsausübung und Selbstverwaltung zugesagt. Bis zum Jahre 1775 folgten 30.000 Personen  –  ein großer Teil von ihnen aus Hessen –  der Einladung Katharinas. Die Mehrheit siedelte sich entlang der Wolga an, wo 63 Lokatoren- und 41 Kronsiedlungen gegründet wurden.

Außenpolitisch hielt Katharina am Ende des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763), in dem das militärische Potential Rußlands den Ausschlag gegeben hatte, zunächst am Allianzwechsel Peters III. zugunsten Preußens fest. Ein 1764 erneuertes Bündnis mit Friedrich II. bot das geeignete Instrument, um eine territoriale Expansion auf Kosten Polens durchzusetzen. Hatte der Friede von Teschen, der 1779 den Bayerischen Erbfolgekrieg beendete, bereits deutlich gemacht, daß Katharina in der Rolle des Schiedsrichters („arbiter Germaniae“) die innerdeutschen Rivalitäten in ihrem Sinne zu nutzen gedachte, so ließ sie Preußen und Österreich in den neunziger Jahren in ihrem kräftezehrenden Ringen mit dem revolutionären Frankreich allein und vollendete währenddessen die Aufteilung Polens mit dem Ergebnis eines Gewichtszuwachses Rußlands in Europa.

Nachdem es Katharina gelungen war, den Status quo auch gegenüber Schweden zu behaupten, hatte die durch ihre außenpolitischen Ambitionen und mehr noch durch ihre außenpolitischen Erfolge isolierte Kaiserin die in ihren Schriften als „historische Ziele“ bezeichneten territorialen Erwerbungen Rußlands im Westen weitgehend erreicht. Noch eindeutiger äußerte sich ihr unmißverständlicher Expansionswille in der Auseinandersetzung mit den Türken. Es gelang Katharina, sich in zwei Kriegen 1768 bis 1774 und 1787 bis 1792 gegenüber dem Osmanischen Reich durchzusetzen und dabei Zugang zum Schwarzen Meer und zur Krim zu erlangen. Ihre hegemonialen Ansprüche gegenüber der Türkei gipfelten im sogenannten Griechischen Projekt, dem Versuch, die ungläubigen Türken ganz aus Europa zu vertreiben und das oströmische Kaiserreich unter Führung Rußlands wiederzuerrichten.

Katharina II., die 1744 als anhaltinische Prinzessin nach Petersburg kam, hat in den gut drei Jahrzehnten ihrer Selbstherrschaft die Weltgeltung Rußlands und des Russischen in erstaunlichem Maße erhöht. Eine abschließende Bewertung ihrer Politik im einzelnen hängt dabei in hohem Maße von dem jeweiligen Blickwinkel ab. Außenpolitisch ungemein erfolgreich, blieb die Kaiserin, die eine ausgedehnte Korrespondenz mit führenden Staatsmännern und Schriftstellern Europas führte, einem rationalen Aufklärungs- und Zweckmäßigkeitsdenken verpflichtet war und ihren Absolutismus mit philosophischen Überlegungen zu untermauern verstand, im Innern doch eine Gefangene der Adelsinteressen und ihrer eigenen Leidenschaften.

Quellen: Briefwechsel zwischen Heinrich Prinz von Preußen und Katharina II. von Rußland. Hrsg. v. R. Krauel, Berlin 1903 (= Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hauses Hohenzollern, Bd. VIII/1). –  Diderot et Catherine II. Hrsg. v. M. Tourneux, Paris 1899. –  Joseph II. und Katharina II. von Rußland. Ihr Briefwechsel. Hrsg. v. A. Ritter v. Arneth, Wien 1869. – Katharina II. von Russland in Augenzeugenberichten. Hrsg. v. H. Jessen, München 1978. -Katharina II. in ihren Memoiren. Hrsg. v. H. Fleischhacker, Frankfurt am Main 1972. –  Voltaires Briefwechsel mit Friedrich dem Großen und Katharina II. Hrsg. v. W. Mönch, Berlin 1944. –

Lit.: J.T. Alexander: Catherine the Great. Life and Legend, New York/Oxford 1989.  –  A. Bode: Die Flottenpolitik Katharinas II. und die Konflikte mit Schweden und der Türkei (1768-1792), Wiesbaden 1979 (= Veröffentlichungen des Osteuropa-Institutes München, Bd. 48). –  E.W. Bornträger: Katharina II. – die „Selbstherrscherin aller Russen“. Das Bild der Zarin und ihrer Außenpolitik in der westlichen Geschichtsschreibung, Freiburg (Schweiz) 1991 (= Historische Schriften der Universität Freiburg, Bd. 13). –  A. Brückner: Katharina die Zweite, Berlin 1883 (= Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, Bd. III/10). –  V. Cronin: Catherine, Empress of all the Russias, London 1978. –  G.K. Epp: The Educational Policies of Catherine II. The Era of Enlightenment in Russia, Frankfurt am Main (u. a.) 1984 (= European University Studies, Bd. III/209). –  J. v. Flocken: Katharina II. Zarin von Rußland. Biografie, Berlin 1991. – H. Fleischhacker: Mit Feder und Zepter. Katharina II. als Autorin, Stuttgart 1978. -I. v. Glasenapp: Staat, Gesellschaft und Opposition in Rußland im Zeitalter Katharinas der Großen, München 1964. – H. Jessen: Katharina II. von Rußland. Im Spiegel der Zeitgenossen, Düsseldorf 1970. –  H. Neuschäffer: Katharina II. und die baltischen Provinzen, Hannover-Döhren 1975 (= Beiträge zur baltischen Geschichte, Bd. 2). –  H. v. Rimscha: Katharina II. Von der preußischen Generalstochter zur Kaiserin von Rußland, Göttingen (u. a.) 1961 (= Persönlichkeit und Geschichte, Bd. 24). –  G. Stökl: Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart41983.

 

Joachim Bahlcke