Biographie

Kempner, Friederike

Herkunft: Posener Land, Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Dichterin
* 25. Juni 1836 in Opatow/Posen
† 23. Februar 1904 in Friederikenhof bei Reichtal/Schlesien

„Mit Verachtung die Verächter strafe ich der Poesie
Und auf späteste Geschlechter siegreich übermach ich sie.
Freilich macht in heutigen Tagen sich nur Dumm– und Bosheit breit.
Schwere Schuld doch werden tragen, die zu mir nicht hatten Zeit.
Daß nicht wer mein Werk verderbe, leiht drum willig Herz
Nicht enthaltet dieses Erbe euren Nachekommen vor!“

An Selbstbewußtsein fehlte es dem dichtenden Landfräulein keineswegs. „Dämon, Mensch und Dichter – Gedichte der schlesischen Nachtigall“ nannte sie ihre Sammlung des Jahres 1891, auf der Titelseite stand: „Die ganze Welt ist dumm, Doch Dichter– sind nicht stumm!“ Daß F. K. bis 1903 – kurz vor ihrem Tode – acht Auflagen dieses Gedichtbandes erlebte, lag keinesfalls daran, daß ihre Familie mehrfach als Käufer auftrat, vom unbeabsichtigten Lacherfolg ihrer so ernst gemeinten Verse peinlich berührt. Sehr viel früher hatte Paul Lindau in seiner Zeitschrift „Die Gegenwart“ aus einem zunächst im Selbstverlag von K. erschienenen Gedichtband viele Proben veröffentlicht und jeden humorbegabten Leser zum Kauf des Bändchens aufgefordert; allerdings in einer Würdigung, welche die ernstgemeinte Absicht der Dichterin ironisierte! Auch Gerhart H. Mostars DTV–Taschenbuchausgabe erlebte 1965/66 unter dem Titel „Der schlesische Schwan – Das Genie der unfreiwilligen Komik“ rasch hintereinander zwei Auflagen. Eine Neuauflage würde sich lohnen! Friederike K. gehört mit ihren einfältigen, doch aber oft den Kern treffenden und ungewollte Heiterkeit erregenden Versen „durchaus in die Literaturgeschichte des ausgehenden 19. Jh.“, wie ihr Zeitgenosse, der Lyriker Otto Julius Bierbaum aus Grünberg, in einem Essay schrieb. Die Schriftstellerin entstammte einer emanzipierten jüdischen Familie. Ihr Vater war erst Gutspächter, dann Rittergutsbesitzer in Reichtal an der nordschles. Grenze im Kreise Namslau. Friederikearbeitete von 1851-1868 in der Armenfürsorge und Krankenpflege. Danach lebte sie auf ihrem eigenen Besitztum Friederikenhof und widmete sich der Schriftstellerei. Ohne Bedeutung sind ihre Novellen und Schauspiele, soweit man sie nicht mit ihren sozialen Schriften in Verbindung bringt. Diese Schriften sind der Hintergrund, vor dem der hohe Ernst verständlich wird, den ihre Verse beseelen. Sie war eine Frau voller Ideale, herzensgut, mitleidig, hilfsbereit, die für die sittliche Erneuerung der von ihr heißgeliebten Nation kämpfte. Auf einzelnen Gebieten hatte ihr mutiges, unerschütterliches Auftreten auch Erfolg. Eifrig sammelte und veröffentlichte sie Material über Scheintote. Dazu später ihr Vers:

„Stürmisch ist die Nacht, Kind im Grab erwacht:
Mutter, wo bist du?- Überall ist’s zu.
Endlich stirbt das Kind, Froh die Engel sind!“ (gekürzt)

F. machte selbst den Anfang mit dem Bau eines Leichenhauses auf  ihrem Grundstück für die Dorfgemeinde Droschkau, eingeweiht am 31. Juli 1853. 1867 erschien ihre „Denkschrift über die Notwwendigkeit von Leichenhäusern“ bei W. G. Korn in Breslau in 6. Auflage. Das Echo war beachtlich. Zuschriften kamen von gekrönten Häuptern des In- und Auslandes, von geistl. Würdenträgern und von wissenschaftl. Instituten. Kaiser Wilhelm I. bezog sich ausdrücklich auf ihre Denkschrift mit der Anweisung an die Regierungsbehörden, für die Einrichtung von Leichenhäusern Sorge zu tragen. 1871 wurde in Preußen eine Frist von 5 Tagen zwischen Tod und Beerdigung eingeführt. Auch F.’s Proteste gegen die Vivisektion fanden Widerhall: „Ein Mensch mißbrauchend die Gewalt und Stärke, ein lebend Herz zerreißen – wie? Wer gleicht denn hier dem wilden Tiere? Ist es der Mensch, ist es das Vieh?“ 1889 erklärte sie in einer Schrift „Gegen die Einzelhaft oder das Zellengefängnis“: Alleinsein kann nur der Glückliche, der Vorurteilsfreie, ganz allein sein im buchstäblichen Sinne kann niemand, ohne zu verzweifeln oder den Verstand zu verlieren.“ Mit Gedichten und laufenden Eingaben bewirkte sie, daß die bis dahin übliche „Einzelhaft auf Lebenszeit“ für Schwerverbrecher durch Ministerialerlaß abgeschafft und im übrigen auf begründete Fälle eingeschränkt wurde. Zu positiven Ratschlägen für soziale Reformen kommt F. K. in dem „Büchlein von der Menschheit“ (freier Unterricht und freie Berufsausbildung für alle, staatl. Armenfürsorge, Volksküchen u.a.). Damit war sie in vielem ihrer Zeit und ihren Standesgenossinnen voraus!Überlebt haben ihre Verse: „Sonne niedertaucht – In das blaue Meer, Ganz von Glut umhaucht, Anmut hat sie sehr“. Mostar sagt: „Sie macht’s gerade da falsch, wo sie es am mühelosesten richtig machen könnte und wo man es am wenigsten erwartet, und da sie das Falsche wiederum doch nicht „macht“, sondern es ihr „passiert“, ohne ihren Willen, ist sie so irrsinnig komisch!“

Lit.:Walter Meekauer, Die Nachtigall im Tintenfaß – Die Erste Originalgetreue Sammlung Schönster Gedichte Der Schlesischen Nachtigall Friederike Kempner, Berlin/Darmstadt/Wien 1956; Gerhart H. Mostar, Friederike Kempner, Der schlesische Schwan, dtv München, 2. Aufl. 1966; Margot Krohn, London, Friederike Kempner, Die „schlesische Nachtigall“, als Kämpferin für Menschenrecht; Jahrbuch der Schles. Friedrich–Wilhelms–Universität, VII/1962; Arno Lubos, Geschichte der Literatur Schlesiens, Band II, S. 34 ff. (mit Lit. Hin weisen), München 1967; Siegfried Haertel, Die schles. Nachtigall Friederike Kempner, Schles. Rundschau 14. Jg. 1962/63.