Biographie

Kempner, Friederike

Herkunft: Posener Land, Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Dichterin
* 25. Juni 1836 in Opatow/Posen
† 23. Februar 1904 in Friederikenhof bei Reichtal/Schlesien

„Der müde Wandrer sitzt am Steg / Vorüber eilt der Fluß. / Am Ufer lehnend, die Hände gekreuzt / Und badet den müden Fuß. / Die Hände so braun und so braun ist der Fuß / Noch brauner ist das Gesicht. / Wo kam er nur her, der müde Gesell? – / Wahrhaftig, ich weiß es nicht.“ Hier philosophiert eine Dichterin über das Schicksal eines heimatlosen Vagabunden, über Werden und Vergehen, über das Leben schlechthin. Die Verse haben in ihrer Seele gebrannt, und glühend haben sie sich über das Papier ergossen – wieder einmal war ein großes Werk vollbracht, war Literatur geboren worden: Davon war die Autorin überzeugt. Ernst hat sie ihre Dichtung gemeint, ernst war ihr ganzes Wesen – und wenn die Leser ihre durchlittenen Verse, ihre edle Intention nicht verstanden und schallend über ihre Poesie gelacht haben, so nahm sie das in Würde hin: Friederike Kempner, die sich selbst alles andere als bescheiden die „schlesische Nachtigall“ nannte, war davon überzeugt, eine der ganz Großen in der Reihe der deutschen Dichter zu sein und nannte sich in einem Atemzug mit Goethe und Schiller. Sie brannte darauf, zu schreiben, und der Erfolg schien ihr Recht zu geben: Die Leute rissen sich ihre Gedichtbände aus der Hand – und lachten schallend über das, was sie darin lasen: Ihre Verse, die übertreiben, falschen Pathos oder heiligen Zorn an der unpassendsten Stelle bringen und oftmals einfach daneben zielen, waren Bestseller. Lange vor den Wortspielen von Ringelnatz und Morgenstern schrieb Friederike Kempner in manchmal geradezu dreistem Epigonentum urkomische Verse – allerdings ohne das jemals beabsichtigt zu haben. Über die Art, wie die Leser ihre Dichtung aufnahmen, sah die schlesische Nachtigall großzügig hinweg, konnte sie doch gut vom Erfolg ihrer Bücher leben. Daß der auch darin begründet war, daß die peinlich berührte Verwandtschaft ganze Auflagen aufkaufen ließ, um Friederike nicht völlig der Lächerlichkeit preis zu geben, wußte sie nicht – sie war geschmeichelt und erfreut, daß die Verleger bald darauf neue, größere Auflagen ihrer Werke drucken ließen.

Friederike Kempner wurde am 25. Juni 1836 in Opatow (Provinz Posen) als Tochter emanzipierter jüdischer Eltern geboren, die wenig später mit der Familie auf das Rittergut Droschkau bei Breslau umsiedelten. Friederike und ihre zahlreichen Geschwister konnten dort eine unbeschwerte Kindheit erleben. Mit ihrer Mutter, die sich als Gutsherrin fürsorglich um Arme und Kranke kümmerte, ging Friederike schon im Alter von 15 Jahren in die Häuser der Gutsleute und pflegte sie. Die Armenfürsorge und Krankenpflege lag Friederike sehr am Herzen, und bald kam ein neues Anliegen hinzu: Ihre Sorge, daß Scheintote lebendig begraben werden könnte. Sie hatte als junges Mädchen einen Toten gesehen und fand ihn kaum anders aussehend als schlafend – sein Bild ließ sie nicht mehr los, und engagiert setzte sie sich dafür ein, daß die Toten bis zu ihrer Bestattung lang genug in Leichenhäusern aufgebahrt würden, bis ein Scheintod ausgeschlossen werden könnte. Sie verfaßte eine Denkschrift „Über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Einführung von Leichenhäusern“, die sie an allerhöchste Würdenträger wie Zar Alexander II. von Rußland, Napoleon III. und die englische Queen Victoria sandte, die der Schrift, die 1867 bereits in der sechsten Auflage erschien, große Anerkennung zollten.

Friederikes Leben verlief ruhig. Sie blieb unverheiratet und widmete sich ganz ihrer Kunst: Um 1860 veröffentlichte sie die ersten Gedichte im Eigenverlag und ein nie für möglich gehaltener Erfolg stellte sich ein. Rasch vergriffen sich die ersten Auflagen, und Verleger wurden auf die überaus geschmeichelte Dichterin aufmerksam – die Verwandtschaft, die es gut mit Friederike gemeint hat, konnte nicht mehr verhindern, daß die ungewollt komische Lyrik der „schlesischen Nachtigall“ landauf, landab zur Lachnummer wurde.

Angespornt vom Erfolg, schrieb die Kempner weiter: Sie verfaßte Dramen und Novellen und auch durchaus ernste Denkschriften, die auf soziale Mißstände aufmerksam machten. Sie kämpfte erfolgreich gegen jede Art von Vivisektion, gegen Versuche am lebendigen Tier. Sie setzte sich vehement gegen die Todesstrafe und die Einzelhaft in Gefängnissen ein und erzielte mit ihrer Kampagne für Leichenhäuser einen großen Erfolg: 1871 wurde in Preußen die Pflicht zur Errichtung von Leichenhäusern und die Verordnung, Tote mehrere Tage aufzubahren, per Gesetz eingeführt. Friederike arbeitete unermüdlich – ein ganzes Leben investierte sie in ihr literarisches Schaffen.

Friederike Kempner zog sich nach dem Tod ihrer Eltern allein auf ihr Gut Friederikenhof bei Breslau zurück, das sie vom Gewinn aus ihren Büchern gekauft hatte. Sie dichtete weiter – aber immer wieder mußte sie sich über kleine Heftchen ärgern, die anonym erschienen und ihre Lyrik lächerlich zu machen versuchten. Natürlich ging die Parodie der Parodie schief, aber Friederike war doch getroffen und schleuderte literarische Blitze ihrer ganz eigenen Art gegen die Neider, die ihr, der begnadeten Dichterin, den Erfolg nicht gönnten.

Sie starb im Alter von 67 Jahren, am 13. Februar 1904, an einem Gehirnschlag – sie hatte, wie sie meinte, ihr Haus bestellt und sich den Platz unter den bedeutendsten Dichtern für die Ewigkeit gesichert. Und eine Große in ihrem ganz besonderen Genre ist sie auch gewesen – wer wollte das bezweifeln?

Lit.: Ernst Heimeran (Hrsg): Unfreiwilliger Humor. 17. Aufl. München 1936. (Daraus Zitat: „Der müde Wandrer…“) – Friederike Kempner: Die sämtlichen Gedichte der Friederike Kempner. Mit einem Nachwort von Peter Horst Neumann, Bremen 1964. – Margot Krohn: Friederike Kempner, die „schlesische Nachtigall“, als Kämpferin für Menschenrecht, in: Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 7 (1962) S. 233-246. – Arno Lubos: Geschichte der Literatur Schlesiens, 2. Bd., München 1967. – Eva-Susanna Wodarz: Ich will wirken in dieser Zeit. Bedeutende Frauen aus den historischen deutschen Ostgebieten. 52 Kurzbiographien, Bonn 2000.

Bild: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen

Eva Wodarz-Eichner