Biographie

Kerkovius, Ida

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Malerin
* 31. August 1879 in Riga/Livland
† 8. Juni 1970 in Stuttgart

Ida Kerkovius wurde am 31. August 1879 in Riga als viertes von zwölf  Kindern einer wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie zwischen der lettischen Hauptstadt und dem etwa vier Stunden von Riga entfernten Landgut.  Sie wurde zuerst von deutschen Privatlehrern unterrichtet und besuchte dann eine private Mal- und Zeichenschule in Riga. Zwanzigjährig legte sie ihr Diplom ab und erwarb damit die Berechtigung, Kunst zu unterrichten.

Ida Kerkovius begann ihre künstlerische Laufbahn als Porträtmalerin. Als sie von Adolf Hölzels neuer Kunstlehre erfuhr, beschloss sie, im Anschluss an eine Bildungsreise nach Italien, Adolf Hölzel in Dachau zu besuchen. Sie blieb drei Monate in Dachau und lernte „das Flächige Sehen“, wie sie es bezeichnete. Fünf Jahre lebte sie wieder in Riga. 1908 ging sie nach Deutschland, zuerst für kurze Zeit nach Berlin, dann als Meisterschülerin zu Adolf Hölzel nach Stuttgart. 1911 wurde sie Assistentin von Hölzel. 1914 verlor sie ihre Lehrbefugnis, da ihr als Lettin die russische Staatsangehörigkeit aufgezwungen wurde. Sie unterrichte aber weiterhin Ausländer, wie den Schweizer Johannes Itten, in Hölzels Kunsttheorie. 1916 stellte sie in Freiburg in der Ausstellung Hölzel und sein Kreis zusammen mit Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Johannes Itten aus. Erst 1922 erhielt sie die deutsche Staatsangehörigkeit.

Vom Wintersemester 1920/21 bis Wintersemester 1923/24 studierte Ida Kerkovius am Bauhaus in Weimar, „um zu sehen, wie da gelehrt wird“. Sie belegte Kurse bei Walter Gropius, Lothar Schreyer, Johannes Itten, Paul Klee und Georg Muche. Sie erlernte das Weben und bekam 1922 den Auftrag, für den Empfangsraum von Walter Gropius einen Teppich zu weben. Auch Paul Klee bestellte einen Teppich bei ihr.

Angeregt durch die Studien am Bauhaus entwickelte sie einen eigenen Stil und nabelte sich von Hölzels Dominanz ab. Durch den Verkauf des Bodenteppichs Bauhaus, 1923, konnte sie sich einen großen Teppichwebstuhl kaufen und in ihrem Atelier in Stuttgart aufstellen. 1930 hatte sie ihre erste große Einzelausstellung im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart.

1933 malte Ida Kerkovius ihr erstes abstraktes Bild  Abstraktion. Obwohl in der Ausstellung Entartete Kunst 1937 in München ein kleines Bild der Künstlerin aus dem Karlsruher Museum ausgestellt war und bei der Aktion „Säuberung des Kunsttempels“ Bilder aus der Kunsthalle Karlsruhe und aus der Staatsgalerie Stuttgart entfernt wurden, überlebte Ida Kerkovius das Dritte Reich weitgehend unbehelligt. Sie erfuhr kein Ausstellungs- und Berufsverbot. Sie konnte sich durch Privatunterricht und Teppichaufträge über Wasser halten. Zwischen 1935 und 1939 unternahm sie zahlreiche Reisen ins Baltikum, nach Norwegen, Bulgarien und bis nach Istanbul. 1939 erfuhr sie auf der Rückreise von einem Besuch ihrer Geschwister in Riga, von der Okkupation Lettlands durch sowjetische Truppen. Die Familie flüchtete nach Deutschland unter Verlust ihres gesamten Vermögens.

1944 wurde bei einem Bombenangriff auf Stuttgart ihr Atelier total zerstört. Sie verlor Bilder, Möbel und vieles Unersetzliches. Ihr Hochwebstuhl war ausgelagert und blieb dadurch erhalten. Sie fand Unterkunft bei Freunden und konnte durch Teppichweberei ihren Lebensunterhalt sichern.

Im März 1948 fand eine große Einzelausstellung in Frankfurt a.M. statt. Im Mai stellte Ida Kerkovius Gemälde und Teppiche in den repräsentativen Räumen des Stuttgarter Kunstvereins mit großem Erfolg aus. Die Kunstkritik sprach ihr viel Lob aus. Privatsammler im In- und Ausland interessierten sich nun für ihre Arbeiten und kauften sie.

Als eine der wenigen noch lebenden Vertreterinnen der Klassischen Moderne wurde sie aufgefordert, sich schriftlich über ihre Kunst zu äußern. Sie verfasste 1949 den Text: „man will dass ich über mich schreibe“.

1950 wurde Ida Kerkovius Mitglied im Bund Bildender Künstlerinnen Württembergs.

1954 erhielt sie anlässlich der Ausstellung Baden Württembergisches Kunsthandwerk in Baden-Baden den Staatspreis für hervorragende Leistungen und im gleichen Jahr wurde ihr das Bundesverdienstkreuz von Bundespräsident Theodor Heuss überreicht.

1955 veranstaltete der Heidelberger Kunstverein die Ausstellung Ischia im Bild deutscher Maler und lobte einen Kunstpreis aus, verbunden mit einem vierwöchigen Aufenthalt auf der Insel. Ida Kerkovius erhielt den Preis und reiste nach Ischia. Farbenfrohe Pastelle entstanden.

1955 erhielt sie den Auftrag Glasfenster für das Stuttgarter Rathaus zu gestalten. Ausgeführt wurden sie von der ehemals in Breslau beheimateten Firma Saile in Stuttgart. Es folgten Glasfenster für das Sozialamt, 1958 für das Landesgewerbemuseum in Stuttgart und für den Andachtsraum der Universitätsklinik in Tübingen.

1958 wurde ihr der Professorentitel verliehen. 1962 wurde sie Ehrenmitglied der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart und der Künstlergilde Esslingen sowie 1963 Ehrenmitglied des Deutschen Künstlerbundes.

1965 begleitete ein Filmteam des Südwestfunks Ida Kerkovius auf einer Reise zum Gardasee. Es entstand der Film Die Malerin Ida Kerkovius, ein Bericht von Karl Ebert. Dauer ca. 40 Minuten. Im Oktober des Jahres 1965 verlieh der Präsident des Ostdeutschen Kulturrats der Künstlerin die Plakette „In Anerkennung des hervorragenden Beitrags zum ostdeutschen Kulturschaffen“.

Zu Ihrem 90. Geburtstag wurde Ida Kerkovius wiederum mit Ausstellungen gewürdigt. Sie konnte auf mehr als 65 Einzelausstellungen und ebenso viele Gruppenausstellungen zurückblicken.

Am 8. Juni 1970 starb Ida Kerkovius und wurde auf dem Stuttgarter Waldfriedhof beigesetzt.

Ida Kerkovius gehört zu den herausragenden Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie beschritt angeregt durch Adolf Hölzel und das Studium im Bauhaus  eigene Wege, auch durch die Kombination von Malerei und Kunsthandwerk. Sie formulierte 1949: „Mein Schaffen ist von zwei Polen bestimmt: einerseits die Ausdrucksmittel für das innere Erlebnis zu finden, andererseits primär mit dem Spiel der Mittel aus dem Material heraus zu beginnen, daraus entwickelt sich dann der lebendige malerische Organismus, der mich am stärksten in der Polarität von Farbe und Form beschäftigt und mir immer noch die Möglichkeit gibt, mich weiter zu entwickeln.“

Lit.: Ausführliche Literaturangaben und Angaben über Ausstellungen und Aussellungskataloge befinden sich im Katalog zur Ausstellung: Ida Kerkovius (1879-1970) Retrospekive. Bearbeitet von Gerhard Leistner. Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg, 2001.

Bild: Ida Kerkovius Selbstbildnis von 1929, Kunstmuseum Stuttgart.

  Idis B. Hartmann