Biographie

Keyserling, Alexander Graf

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Naturforscher, Landespolitiker
* 15. August 1815 in Kabillen/Kurland
† 8. Mai 1891 in Rayküll/Estland

Mit dem Grafen Alexander Keyserling wird eines Mannes gedacht, der sich als Naturforscher und im Dienste seiner baltischen Heimat hervorragende Verdienste erworben hat. Auf dem Gute Kabillen in Kurland als Sohn des Landespolitikers und Grafen von Rautenberg (Ostpreußen), Hein-Graf Keyserling, im Jahre des Wiener Kongresses geboren, genoß er bis zu seinem 19. Lebensjahr Erziehung und Unterricht im Elternhause. Im Jahre 1835 bezog er die Universität in Berlin, wo er zunächst die Rechte, danach Naturwissenschaften studierte. In Berlin knüpfte er mit mehreren Alters- und Studiengenossen Verbindung fürs ganze Leben, so mit Otto von Bismarck, mit dem er die Wohnung teilte, mit Grisemann, dem späteren Pflanzengeographen, und mit Blasius, der bereits 1836 Professor der Naturgeschichte am Collegium Carolinum in Braunschweig wurde und mit dem er eine Arbeit über die Wirbeltiere Europas in Angriff genommen hatte. In Berlin wurde Alexander von Humboldt auf Keyserling aufmerksam; seine Empfehlungen trugen dazu bei, ihm eine wissenschaftliche Berufsstellung in Rußland zu eröffnen. Keyserlings Lehr- und Arbeitsjahre in Berlin dauerten bis 1839. In den beiden folgenden Jahren unternahm er gemeinsam mit Blasius und anderen Wissenschaftlern eine geologische Studienreise nach Rußland, nach deren Beendigung er 1842 den Doktortitel an der Universität Berlin erwarb. Im Jahre 1841 trat Keyserling als Beamter für das gelehrte Bergfach in den russischen Staatsdienst und wurde zum Mitglied einer Expedition der Geologen Murchinson und Verneuil ernannt, deren Aufgabe in der Untersuchung der geognostischen Formen des Übergangsgebirges im Süden und Osten Rußlands bestand, die ihren Niederschlag in einem großen gemeinsamen Reisewerk gefunden hat, das in Frankreich und England bearbeitet wurde. Im Jahre 1843 zum Kammerjunker ernannt, unternahm Keyserling mit Kapitänleutnant Paul von Krusenstjern eine Expedition ins nördliche Rußland zur Erforschung des Petschoragebiets. Er vermählte sich im Jahre 1844 mit einer Tochter des russischen Finanzministers Graf Georg Cancrin und zog sich 1847 auf sein Gut Rayküll in Estland zurück. Im Jahre 1850 schied er aus dem Staatsdienst aus, widmete sich fortan der Landwirtschaft und den Landesinteressen, wurde Präsident des Estländischen Landwirtschaftlichen Vereines, Präses der Estländischen Literarischen Gesellschaft, Kreisdeputierter, Ritterschaftshauptmann (1857-1862) und Estländischer Landrat (1861/62 und 1873-1891), nachdem er in den Jahren 1846/1847 und 1850 als Reisebegleiter der Großfürstin Helene Pawlowna im Ausland geweilt hatte.

Im Jahre 1859 zum Kammerherrn ernannt, unternahm er 1860 mit de Verneuil eine Expedition in die Pyrenäen. Ein neues Gebiet des Wirkens erschloß sich ihm im Jahre 1862 durch seine Ernennung zum Kurator des Dorpater Lehrbezirks. Unter seinem Kuratorium erlebte die Universität Dorpat, wie ihm bescheinigt worden ist, ihre glänzendsten Tage. Er veranlaßte die Berufung Schleidens, des Reformators der botanischen Wissenschaft, nach Dorpat und erwarb sich um die Universität große Verdienste, die ihm die Ernennung zum Oberhofmeister und Wirklichen Geheimen Rat eintrugen, die Ehrenmitgliedschaft der höchsten wissenschaftlichen Institutionen des Russischen Reiches sowie zahlreicher in- und ausländischer Universitäten. Im Jahre 1869 wurde ihm die erbetene Entlassung aus dem Staatsdienst gewährt. Neun Monate vor seinem Tode führte ihn eine Einladung seines einstigen Berliner Stubengenossen, des Fürsten Bismarck, zu einem mehrwöchigen Besuch nach Friedrichsruh. Graf Alexander Keyserling starb 1891 auf seinem Gute Rayküll.

„Durch und durch Aristokrat“, so hieß es in Nachrufen aus Anlaß seines, „in dem edelsten Sinne des Wortes, ein vollendeter Hof- und Weltmann“, sei er frei von jeglichem Standesvorurteil gewesen, schlicht und bescheiden in seinem Wesen wie in seiner äußeren Erscheinung, imponierend durch edle Würde und Vornehmheit.

Zu den Werken des Gelehrten gehören zoologische, botanische, geologische und palaeontologische Abhandlungen. Mit J.H. Blasius verfasste er Die Wirbeltiere Europas (I., 1840), mit R. J. Murchinson und E. de Verneuil The Geology of Russia in Europe and the Ural mountains (1845), mit P. von Krusenstjern Wissenschaftliche Beobachtungen auf einer Reise in das Petschoraland im Jahre 1843 (1846). Ferner erschienenAus den Reisetagebüchern des Grafen Georg Cancrin (1865, 2 Bände). Ein Enkel Keyserlings war der mit der Gräfin Goedela von Bismarck-Schönhausen verheiratete weltberühmte Philosoph Graf Hermann Keyserling (1880-1946), Gründer und Leiter der „Schule der Weisheit“ in Darmstadt.

Otto von Taube: Das Buch der Keyserlinge. Berlin 1937. – Ders.: Im alten Estland. Stuttgart 1949. – Aus den Tagebuchblättern des Grafen Keyserling. Philosophisch religiöse Gedanken mit Zusätzen aus Briefen, hrsg. v. Freifrau H. von Taube von der Issen. Stuttgart 1892. – H elene von Taube v. d. Issen: Graf Alexander Keyserling, Ein Lebensbild. 2 Bände Berlin 1902. – Jacob Freiherr von Uexküll: Niegeschaute Welten. Die Unwelten meiner Freunde. Berlin 1936. – Edmund Russow: Alexander Graf Keyserling, Ein Gedenkblatt. Reval 1892. – Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710-1960. Wien 1970.

Bild: Bildarchiv E. Thomson, Lüneburg.