Biographie

Kien, Franz Peter

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Bildender Künstler und Dichter
* 1. Januar 1919 in Warnsdorf/ Böhmen
† 16. Oktober 1944 in KZ Auschwitz

Sein Vater war Textilfabrikant in Warnsdorf, einer kleinen Industriestadt nahe der deutsch-tschechischen Grenze. Hier verbrachte Peter (auch František Petr) seine ersten Lebensjahre. Als Peter zehn Jahre alt war, zog die Familie wegen der Weltwirtschaftskrise nach Brünn, wo er das deutsche Realgymnasium besuchte. In seinem Abschlusszeugnis wurde schon damals extra vermerkt, dass er eine bemerkenswerte Begabung zum Zeichnen und Schreiben habe. An dieser Schule freundete er sich mit dem späteren Lyriker Joseph Hahn an, der 1917 in Bergreichenstein geboren worden war. Oft war er besuchsweise in Bisenz, einer kleinen südmährischen Stadt, wo ein Teil seiner frühen Gedichte entstanden sind, die sogar die Verfolgung überstanden haben.

Ab 1936 begann Peter Kien das Studium in Prag an der Akademie der Künste bei dem Maler und Hochschullehrer Prof. Willy Novak und an einer privaten Graphik-Design Schule „Officina Pragensis“ bei Prof. Hugo Steiner. 1937 kam auch Joseph Hahn nach Prag an die Akademie der Künste. In dieser Zeit lernte er auch Peter Weiß, den 1916 bei Potsdam geborenen Maler und späteren Schriftsteller, Grafiker und Filmemacher kennen, der ihn später in zwei seiner Werke, in Abschied von den Eltern (1961) und Fluchtpunkte (1962) erwähnte. Kien verfasste Gedichte, Erzählungen und Drehbücher. Seine Genialität zeigte er auch bei Bleistiftzeichnungen und Porträts in Öl.

Als die Tschechoslowakei 1939 besetzt wurde und die Rassegesetze durchgesetzt wurden, wurden alle jüdischen Studenten der Akademie verwiesen. So auch Peter Kien. Er konnte jedoch weiter an der privaten „Officina Pragenesis“ (Prof. Jaroslav Stab) arbeiten. Daneben gab er in der Weinberg-Synagoge Kindern Zeichenunterricht. Zu seinen Schülern gehörte auch Jan Burka, der auch nach Theresienstadt deportiert wurde und dort bei Peter Kien seine Studien fortsetzen konnte. Bei diesem Unterricht in der Weinbergsynagoge lernte Kien seine spätere Frau Ilse Stransky, die Tochter eines Bankiers, kennen. Sie heirateten 1940 und versuchten, für sich und die Eltern die nötigen Papiere zur Ausreise zu bekommen; so wie es Peter Weiß gelungen war, nach Schweden auszureisen. Er hatte Peter Kien eindringlich empfohlen, zu fliehen. Leider war es dann zu spät.

Mit 1.000 anderen jungen Leuten wurde er am 4. Dezember 1941 zusammen mit seiner Frau Ilse und den Eltern nach Theresienstadt deportiert, wo die Neuankömmlinge die Vorzeigestadt Hitlers ‚einrichten‘ und organisieren sollten. Sie sollten vorgaukeln, dass hier vor allem Künstler freiwillig zusammengekommen waren. Kien arbeitete als Direktor des technischen Zeichenbüros in der jüdischen Selbstverwaltung. Neben dieser Tätigkeit fertigte er mit gestohlenem Papier zahlreiche Porträts, Landschaften, Zeichnungen und Genreskizzen an. Seine Kunstwerke strahlten Licht, Hoffnung und Wärme aus. Er machte auch detaillierte Skizzen über die schlimmen Umstände im Lager und schuf so eine einzigartige Dokumentation des Lebens in Theresienstadt. Sie gehörten mit zu den wichtigsten Werken, die Zeugnis geben von diesen unmenschlichen Bedingungen in dem sogenannten Vorzeigelager. Auch als Verfasser lyrischer Texte und Prosa war Kien vielfältig tätig. Seine Schriften aus dieser Zeit sind meist tragisch und hoffnungslos. Im Herbst 1941 schuf er Die Peststadt, die auch bald ins Tschechische übersetzt wurde und von Gideon Klein vertont wurde. Sie wurde mehrmals von einem tschechischen Ensemble aufgeführt. Die Übersetzung ist verschollen, von dem Originaltext sind nur noch einige Gedichte erhalten. Er schuf auch das Libretto zu der Oper Der Kaiser von Atlantis oder die Todverweigerung. Victor Ullmann, ein Schüler von Arnold Schönberg, komponierte daraus eine Oper. Der Text war eine offensichtliche Kritik an Hitler. Sie wurde einstudiert, aber kurz vor der Aufführung abgesetzt. Die Oper galt als verschollen, bis sie 1974 in London wieder entdeckt wurde und in Amsterdam erstmals aufgeführt wurde und dann einen erfolgreichen Weg durch die Welt machte: Den Haag, Amsterdam, San Francisco, New York, im westdeutschen Fernsehen, Australien und in der Schweiz. Es dürfte wohl das bekannteste Werk sein, das in Theresienstadt entstanden ist. Peter Kiens nazifeindliche Allegorie Marionetten wurde in Theresienstadt mindestens 25 mal aufgeführt.

Im Ghetto lernte er auch Helga Wolfenstein kennen, sie wurden ein Paar und ihr übergab er, kurz vor der Deportation, einen Koffer mit Gedichten und über 400 Zeichnungen. Sie wiederum versteckte diesen in der Infektionsbaracke, denn in diese wagten sich die Nazis nicht. So sind viele seiner Werke erhalten geblieben. Am 16. Oktober 1944 wurden er und seine Frau, Eltern und Schwiegereltern nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. In den Unterlagen von Theresienstadt heißt es, dass Peter Kien sich mit seiner Frau Ilse und den Eltern freiwillig zum Transport nach Auschwitz gemeldet hatte.

Helga Wolfenstein überlebte Theresienstadt und damit auch die Zeichnungen. Sie begann in Prag ein Studium, ging aber dann nach England und deponierte den Koffer mit den Zeichnungen bei einer Tante in Brünn. 1971 wurden die Zeichnungen von der CSSR-Regierung beschlagnahmt und in die Gedenkstätte Theresienstadt gebracht.

Im Depot von Theresienstadt liegen hunderte von Zeichnungen, Ölgemälden und Aquarelle von ihm. 2008 wurden sie in Solingen zum ersten Mal in einer Ausstellung gezeigt. Bei der Vorbereitung dazu, geschah es, dass Jan Burka, der überlebt hatte und inzwischen Kunstprofessor war, erzählte, dass er und andere Kinder bei Peter Kien im Ghetto Theresienstadt Zeichenunterricht hatten. Burka erkannte die Bilder von Kien und konnte die gemalten, bislang unbekannten Personen, benennen.

Kien gilt als Universaltalent. Er malte, schrieb und dichtete. In seiner Lyrik komme noch mehr das Grauen des Lagers und dessen bedrückende Situation, immer im Angesicht des Todes, zum Ausdruck. Seine Bilder stellen, neben wunderbaren Porträts, auch das Alltägliche dar.

Er hat die Schrecken des Lagers dargestellt, in Landschaftsbildern der Umgebung“, erläuterte Jessewitsch, der Leiter der Ausstellung von Peter Kiens Bilder in Solingen und fügte hinzu: „Aber er hatte auch eine ganz andere Seite, eine humorvolle Seite. Er hat etwa Personen porträtiert und hat immer ganz klein, meist rechts oben in der Ecke, mit Bleistift den Traum dieser Leute dargestellt.“ So träumte die Krankenschwester bei Kien davon, dass der Chefarzt sie auf den Armen davonträgt. Andere träumen davon, einen Berg zu besteigen, eine Schiffsreise zu machen oder haben Sehnsucht nach ihrem Musikinstrument. Eine Frau träumt vom Künstler, von Peter Kien. Die Frau war seine Freundin.

Lit.: Dokumentation: www.Theresienstadt 1941-1945. – Solingen erinnert an den Künstler Peter Kien in: DW Kultur vom 6.5.2008. – Jürgen Sehrke: „Böhmische Dörfer“, Wanderung durch eine verlassene literarische Landschaft. Wien-Hamburg 1987

Bild: Peter Kien, Selbstporträt, Wikipedia gemeinfrei.

Hildegard Schiebe