Biographie

Kindermann, Adolf

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Weihbischof, Kirchenrechtler
* 8. August 1899 in Neu-Grafenwalde/ Nordböhmen
† 23. Oktober 1974 in Frankfurt/ Main

Auf der Inschrift des Denkmals für die drei Königsteiner Kirchenväter, das Josef Kardinal Meisner am 1. September 2011 in Königstein für Bischof Kaller, Weihbischof Kindermann und Pater Werenfried einweihte, lesen wir über Weihbischof Kindermann:

Titularbischof von Utimira
Weihbischof von Hildesheim
Theologieprofessor und Kirchenrechtler in Rom, Prag und Königstein
Rektor des Deutschen Seminars in Prag
Weitblickender Helfer der sudetendeutschen Vertriebenen
Gründer und Leiter des Albertus Magnus Kollegs in Königstein
Prophezeite seit 1950 den Untergang des Eisernen Vorhangs und des Ostblocks
Vorkämpfer der Aussöhnung mit den Völkern des Ostens.

Adolf Kindermann wurde am 8. August 1899 in Neu-Grafen­walde bei Schluckenau in Nordböhmen in der Diözese Leitmeritz geboren. Schon früh zeigte sich bei ihm ein großes Interesse für die Schule und später für die Wissenschaft. Kindermanns Weg führte dabei zunächst über das klassisch-humanis­tische Jesuitengymnasium in Mariaschein nach Leitmeritz an das Priesterseminar, wo er sein theologisches Studium begann. Als österreichischer Soldat war er im Ersten Weltkrieg an der italienischen Front. Nach Kriegsende schickte ihn Bischof Groß 1920 zum Weiterstudium nach Rom, wo Kindermann an der Propaganda-Universität in den Fächern Philosophie und Theologie mit dem Doktorat abschloss. 1924 beendete er seine Studien auch mit dem Doktorat in beiden Rechten („doctor quadruplex“). Im gleichen Jahr wurde er zum Priester geweiht und feierte die Heimatprimiz in Schluckenau. Sodann trat er eine Kaplanstelle in Dux in der Diözese Leitmeritz an. Es folgte noch eine Tätigkeit als Katechet in Aussig, ehe er als Professor für Kirchenrecht seine akademische Lehrtätigkeit aufnahm, zuerst an der Theologischen Hochschule des Priesterseminars in Leitmeritz, später an der Theologischen Fakultät der Deutschen Universität in Prag. 1938 mussten die sudetendeutschen Seminaristen das gemeinsame Priesterseminar in Prag verlassen, in dem weiterhin die Priesteramtskandidaten beider Volks­gruppen gewohnt hatten, als die Karlsuniversität in eine tschechische und eine deutsche Universität geteilt worden war. Kindermann baute 1939 ein deutsches Priesterseminar und führte es durch alle Kriegswirren bis 1945. Seit 1940 konnte er dort auch ukrainischen und litauischen Studenten Studienpläne schaffen. Schikaniert von zahlreichen Verhören durch die Gestapo in Prag und nach Kriegsende als Sudetendeutscher rechtlos, musste er letztendlich wie alle Sudetendeutschen die Tschechoslowakei verlassen und erhielt 1946 den Ruf nach Königstein im Taunus durch den Vertriebenenbischof Maximilian Kaller. In diesen Königsteiner Anstalten als Sammelbegriff für das „Vaterhaus der Vertriebenen“ entstand ein Gymnasium, eine Philosophisch-Theologische Hochschule und ein Priesterseminar, verschiedene Institute und Publikationsorgane und auch das Institut für Kirchengeschichte von Böhmen, Mähren, Schlesien. 1959 wurde Kindermann von Rom mit der Seelsorge der Sudetendeutschen betraut, 1962 folgten die Ernennung zum Apostolischen Pronotar und 1966 zum Weihbischof von Hildesheim mit Sitz in Königstein.

Seit 1948, als der später legendäre „Speckpater“ Werenfried van Straaten zum ersten Mal nach Königstein kam, bestand die Zusammenarbeit, ja Freundschaft mit dem Werk der Ostpriesterhilfe, dem heute weltweit wirkenden Werk „Kirche in Not“. Pater Werenfried van Straaten schreibt im Kapitel Das Haus der Verjagten in seiner Autobiographie: „Aber mit Freude und Dankbarkeit gedenken wir der innigen Zusammenarbeit von früher, und unzerbrechlich wird die Freundschaft bleiben, die mich mit dem alten, frommen, unbeugsamen, ewig jungen Kindermann verbindet.“

In diesem Kapitel berichtet er über die Anfänge Königsteins aus seiner Sicht: Über die Trümmerhaufen ganz unterschiedlicher Art, die das Königsteiner Kollegium, aber auch seine Studenten und Seminaristen zu bewältigen hatten; dabei handelte es sich um materielle, aber auch ideelle Trümmerhaufen. Das konnte Kindermann und Werenfried jedoch nicht aufhalten, sich von ihrer Berufung abbringen zu lassen und Pater Werenfried fand auch für dieses Phänomen Worte, die nicht passender sein könnten: „Wie heilige Narren waren sie gekommen. Sie hatten keine Bücher, keine Kleider, kein Geld und kein Essen. Sie hatten nichts als die Flamme ihrer Berufung, die sie durch alle Stürme ihrer wilden Jugend hindurch gehütet hatten.“

In die Sowjetzone und in die Diaspora sollten sie als Priester geschickt werden, um den Glauben zu verkündigen – oft hatten sie als Seelsorger und als Rucksackpriester zu Fuß bis zu 150 km wöchentlich zurückzulegen. Und wie erholsam waren dann die Exerzitien an der Hochschule in Königstein in den Semesterferien! Hier fanden die von ihrem „Rucksackpriestertum“ erschöpften Priester Erholung und besonders Menschen, die sie verstanden und mit denen sie über ihre oft traurigen Erfahrungen sprechen konnten. Pater Werenfried schreibt weiter: „Das Herz von Königstein war Prälat Kindermann, der zäh und mit ungestümem Gottvertrauen die Königsteiner Anstalten geschaffen hat.“

Mit diesen Ideen hat Kindermann auch die Entwicklung der Ostpriesterhilfe stark beeinflusst, eine Ostpriesterhilfe war daher ohne Königstein, dem „Vaterhaus der Vertriebenen“ nicht vorstellbar und umgekehrt ebenso.

Daneben zählen zu weiteren Gründungen in Königstein durch Kindermann Einrichtungen wie das Haus der Begegnung, das jahrelang für Tagungen und Kongresse (auch für Kongresse von „Kirche in Not“ genutzt wurde), die Kollegskirche, eine ehemalige Lagerhalle, die von Theologiestudenten unter harter Mühsal zu einem Gotteshaus hergerichtet wurde, und das Priesterreferat. Nicht nur in Form von Gebäuden gab Kindermann eine Richtung an – auch in geistiger Hinsicht war er der Architekt von Königstein. Ab 1947 wurden vom Priesterreferat die Mitteilungen für die heimatvertriebenen Priester aus dem Osten herausgegeben, welchen ab 1956 eine wissenschaftliche Beilage, die Königsteiner Blätter, folgte. Später sollten sie als Königsteiner Studien bekannt werden.

Das weltweite Hilfswerk „Kirche in Not“, das im Zuge der Ostpriesterhilfe 1947 von Pater Werenfried gegründet worden ist, hilft heute Millionen von Christen auf dem ganzen Globus. Die Internationale Zentrale von KIN ist heute die einzige Institution der Königsteiner Anstalten auf dem ehemaligen Gelände in Königstein, die im Geiste von Pater Werenfried und Weihbischof Kindermann der Kirche dient.

Kindermanns Leben war von Unermüdlichkeit und permanentem Einsatz für die Vertriebenen und die alte Heimat geprägt. So engagierte er sich unter anderem im Rahmen des Seligsprechungsprozess des Böhmerwaldsohnes und späteren Bischofs von Philadelphia, Johann Nepomuk Neumann (1811-1860) für eine Anhörung vor Papst Johannes XXIII. Nach der Veröffentlichung des „packend geschriebenen Lebensbilds“ Neumanns durch P. Augustin Reimann (Böhmerwaldsohn und Bischof von Philadelphia) wurde von Kindermann eine Unterschriften-Sammlung zur Förderung der Seligsprechung eingeleitet. 1962 flog eine zehnköpfige Abordnung unter Kindermann mit den gesammelten 111.000 Unterschriften in 10 Bänden nach Rom, um Johannes XXIII. die Unterschriften in einer Papst-Audienz selbst zu überbringen. Wegen eines hohen politischen Besuches jedoch kam es nicht dazu und so wurde die geplante Ansprache von Kindermann brieflich nach Rom übersandt. Die bewegende Rede ist ein Spiegelbild seiner Zeit – und vor allem ein Spiegelbild vom Wirken Kindermanns. In seiner Rede bzw. seinem Brief betonte er, dass gerade die Deutschen aus dem Osten während und nach der Vertreibung Trost und Beistand im Andenken an die Heiligen der Heimat fanden, so auch in Neumann. „111.000 Unterschriften sind von Männern und Frauen, Priestern und Laien, jungen und alten, von gebildeten und einfachen Menschen gegeben worden, aber alle vereint in der Liebe und Verehrung zu Johann Nepomuk Neumann.“ 1963 wurde Neumann selig gesprochen. Nach dem Tode von Papst Johannes XXIII. wurde Neumann durch Papst Paul VI. 1977 heiliggesprochen. Kindermann war es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vergönnt, die Heiligsprechung Neumanns zu erleben, er starb 1974 nach einem erfüllten Leben voller Hingabe für die Vertriebenenseelsorge.

Viel haben die Heimatvertriebenen Prälat Adolf Kindermann zu verdanken. Ohne sein Eintreten und sein selbstloses Wirken ist es wohl fraglich, ob eine Vertriebenenseelsorge in der neuen Heimat unmittelbar nach der Vertreibung hätte fruchtbar werden können. Mit dem geistigen Gut und dem Glauben, mit dem die Menschen aufgewachsen waren, war es bis in die heutige Zeit hinein möglich, das religiöse und kulturelle Erbe, das die Heimatvertriebenen mitgebracht hatten, zu pflegen. Denn: „Glaube verbindet“ und insofern stellt die Figur Prälat Kindermanns eine Art von Brückenbauer für den Glauben und die Heimat dar.

Getreu seinem Wahlspruch „Contra spem in spem“ (Hoffnung wider alle Hoffnung) hat Kindermann in all der Hoffnungslosigkeit und dem Elend nach der Vertreibung sein ganzes Tun und Handeln in die Seelsorge der Heimatvertriebenen, aber auch in die Ausbildung des Priesternachwuchses gelegt. Den Heimatvertriebenen war bewusst, dass am 23. Oktober 1974 eine große Königsteiner Persönlichkeit verstarb, die vielen Gläubigen gerade in der Zeit unmittelbar nach der Vertreibung Mut und Trost gespendet hat und für viele zu einem großen Vorbild wurde. Bereits kurze Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er infolge seines seelsorglichen Dienstes in den Prager Lagern und Spitälern nicht umsonst den Titel „Engel der Verfolgten“. Auf dem Friedhof an der Marienkirche in Königstein fand er neben Bischof Maximilian Kaller seine letzte Ruhestätte. Seit 2011 erinnert ein Denkmal auf dem Werenfried-Platz in Königstein, das ihn mit Bischof Kaller und Pater Werenfried darstellt, an ihn.

Jene herausragende Persönlichkeit unter den heimatvertriebenen Geistlichen sollte keinesfalls je in Vergessenheit geraten. Dieser Meinung waren auch seine Mitbrüder, Mitarbeiter und Freunde, die nur wenige Jahre nach seinem Tod ein „Gedächtnisbuch“ (Weihbischof Dr. Adolf Kindermann, Leben, Werk und Wirken) für ihn verfassten und den folgenden Widmungsspruch wählten: „In dankbarem Gedenken an den Gründer der Königsteiner Anstalten allen Wohltätern und Freunden gewidmet.“

Werke: Das landesfürstliche Ernennungsrecht, Warnsdorf 1933. – De Statu ecclesiastico-civili in Republica Cecoslovacha, in: Acta Gongressus Iuridici Internationalis, Rom 1937. – Die kirchenrechtliche Stellung systematisierter Katecheten in der ČSR, Warnsdorf 1937. – Kirche im Sudetenland, Prag 1939. – Kirche in Not. Königstein/Taunus 1951. – Die Weihe der aus den deutschen Ostegebieten vertriebenen Theologen (Ost-Theologen), in: Königsteiner Blätter 2 (1956), S. 10-21. – Religiöse Wandlungen und Probleme im katholischen Bereich, in: Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben. Hrsg. v. Eugen Lemberg u.a. Kiel 1953. S. 92-158.

Bild: Kirche in Not.

Julia Nagel