Biographie

Kintzi, Gustav

Herkunft: Galizien u. Bukowina
Beruf: Schuldirektor
* 29. März 1880 in Einsiedel/Galizien
† 9. Juli 1942 in Wien

Gewidmet sind diese Zeilen dem verdienstvollen Direktor der ehemaligen deutschsprachigen evangelischen Volksschule in Lemberg/Galizien, meinem ehemaligen Schulleiter, aus Anlass seines 70. Todestages. Die Volksschule entstand bereits 1808 und erfreute sich nach dem Schulneubau 1875 eines zunehmenden Ansehens im Lemberger Bürgertum. Sie stand zu österreichischer Zeit Kindern aller Volks- und Religionszugehörigkeit offen und wurde auch von polnischen, jüdischen und ukrainischen Jugendlichen besucht. 1917/18 betrug die Schülerzahl 821.

Nach dem Ableben des Amtsvorgängers 1919 wurde Gustav Kintzi mit der Leitung dieser Schule betraut, an der er bereits als Lehrer gewirkt hatte. Seine Vorfahren stammen aus dem Züricher Raum, waren seinerzeit als Täufer verfolgt worden und sind deshalb in die Pfalz ausgewandert. Deren Nachkommen folgten dann dem Kolonisationsangebot Kaiser Josef II. und siedelten um 1785 in Galizien in der vom Monarchen gegründeten Kolonie Einsiedel. Gustav Kintzi, in diesem Bauerndorf geboren, blieb trotz seines städtischen Wirkens zeitlebens dem bäuerlichen Leben und der Natur verbunden. In Bielitz besuchte er das evangelische Lehrerseminar – die einzige deutsche Lehrerbildungsanstalt, die in den 70 Jahren ihres Bestehens etwa 1280 Lehrkräfte ausgebildet hatte, darunter 324 Nachkommen der in Galizien angesiedelten deutschen Kolonisten.

Seine Fachlehrerprüfung legte er in Czernowitz ab. 1901 trat er in die Lemberger evangelische Volksschule ein, zunächst als provisorischer, ab 1908 als definitiver Fachlehrer. Er war mit Leib und Seele Schulmann und werkte unermüdlich für „seine“ Schule und das Wohl der Schüler. Darüberhinaus saß er viele Sonntage auf der Empore der Kirche der evangelischen Gemeinde und spielte die Orgel zum Gottesdienst. Wir Schüler verdanken ihm auch, dass er konsequent jedes Jahr Gruppenaufnahmen von jeder Klasse unter Einschluss der Lehrer und seiner eigenen Person anfertigen ließ. Diese Aufnahmen sind in großer Zahl erhalten und letzte Zeugnisse der nach dem Polenkrieg geschlossenen Anstalt. Sie sind in einer DVD-Reihe Das Leben der Lemberger Deutschen in den Jahren 1917-1939 gespeichert und in der Martin Opitz-Bibliothek in Herne einzusehen bzw. als Kopie zu erwerben.

Kintzi übernahm die Schulleitung in einer Zeit schwerer kriegerischer Wirren, gekennzeichnet durch den Zusammenbruch der Habsburger Monarchie, die anschließend ausgebrochenen polnisch-ukrainischen Kämpfe und die Inbesitznahme des Landes durch die Polen. Erst 1921/22 begannen sich die Unterrichtsverhältnisse zu normalisieren. Aber bereits 1923 führte die neue polnische Regierung einen schweren Schlag gegen die privaten Konfessionsschulen: Sie mussten alle „fremden“ Kinder, in Lemberg also die nichtevangelischen Schüler, aus dem Schulverband entlassen und sie in eine polnische Staatsschule überführen. Mit dem Abgang der zahlreichen Kinder des Lemberger jüdischen Bürgertums verlor die auf private Finanzierung angewiesene Schule auch den wohlhabenden Teil ihres Klientels. Nur dank der Opferbereitschaft der Lemberger evangelische Gemeinde und aller davon Betroffenen konnte die Schule als deutsche Lehranstalt überleben. Sie schrumpfte von bislang 14 auf sieben Klassen, musste sich von acht Lehrkräften trennen und die Knaben und Mädchen gemeinsam im Klassenverband unterrichten. Im Laufe der Jahre gelang es Kintzi und seinem Lehrkörper, die Schule weiter zu entwickeln, so auf den Gebieten der Lehrerfortbildung, der Lehrer- und Schülerbibliothek, der Schülervorstellungen, der Anlage eines Schulgartens, der Einrichtung eines Elternbeirats usw. Auch war er Initiator eines Turn- und Spielsaals, der 1932 eingeweiht wurde und eines „Vereins Schulhilfe“, der minderbemittelte Schüler unterstützte. Er verstand es, das hohe Leistungsniveau der Schule zu erhalten, ihren deutschen Charakter zu bewahren und ein auskömmliches Vertrauensverhältnis zur polnischen Schul­behörde herzustellen, so dass der Schule bis 1939 das jährlich neu zu beantragende Öffentlichkeitsrecht gewährt wurde.

Zu Beginn des Polenkriegs brach die Verhaftungswelle auch über die Deutschen in Lemberg herein. Auch Direktor Kintzi wurde verhaftet, aber dank sofortiger Intervention eines ehemaligen polnischen Schülers im Rang eines Hauptmanns vorerst wieder auf freien Fuß gesetzt. Aus Sorge vor erneuter Verhaftung flüchtete er mit Frau und Sohn aufs Land. Aber bald änderte sich die Situation vollständig, als am 22. September 1939 der polnische Stadtkommandant Lemberg der aus dem Osten eingerückten Roten Armee übergab. Auch der Schulbetrieb wurde nach Verhandlungen mit dem sowjetischen Schulkommissariat am 6. Oktober wieder aufgenommen, aber bereits am 8. Dezember endgültig eingestellt: Die deutsche Umsiedlungskommission war eingetroffen und bald begann die Registrierung der umsiedlungswilligen Deutschen. Ab Weihnachten 1939 rollten die Umsiedlerzüge in Richtung Westen.

Neuer Wohnsitz der Kintzis war Wien. Dort wurde Direktor Kintzi im Reichshauptschuldienst reaktiviert, und dort ereilte ihn unerwartet der Herztod – wie berichtet wurde mit den Jahreszeugnissen seiner Schüler in der Hand. Er war verheiratet mit Leopoldine geb. Schenker, die gleichfalls Lehrerin an der Lemberger evangelischen Volksschule war und nach der Eheschließung noch lange Jahre als Aushilfslehrerin, bei Schulveranstaltungen und im Frauenverein mitwirkte.

Bild: Archiv des Verfassers.

Erich Müller