Biographie

Koebner, Richard

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Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Historiker
* 29. August 1885 in Breslau
† 28. April 1958 in London

Der Arztsohn besuchte das Maria-Magdalenen-Gymnasium seiner Vaterstadt (Abitur 1903) und studierte an der Universität Berlin, Breslau und Genf. Referenten seiner Berliner Dissertation (1910) über die Eheauffassung des ausgehenden deutschen Mittelalters waren M. Tangl und G. Roethe. Seine in der Erstfassung 1919 abgeschlossene Breslauer Habilitationsschrift (veröffentlicht 1922, gewidmet dem Religionsphilosophen Julius Guttmann) behandelte die Anfänge des Gemeinwesens der Stadt Köln, mit dem Untertitel „Zur Entstehung und ältesten Geschichte des deutschen Städtewesens“; sie schöpft aus der reichen Überlieferung der rheinischen Metropole, um in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der grundsätzlichen Nachlaßstudie von Max Weber in individualisierender Untersuchung der Frage nachzugehen, ob die wesentlichen Bestandteile der Stadtverfassung durch einen schöpferischen Akt ins Dasein gerufen worden seien. Die scharfsinnige Auswertung zeitgenössischer literarischer Äußerungen und topographischer Aufschlüsse sollten Kennzeichen auch der späteren Forschungen K’s auf dem Felde der ostdeutsch-ostmitteleuropäischen Siedlungsgeschichte sein. Schon während der Beschäftigung mit der großen Kölner Monographie konnte er zu einer neuen Würdigung eines besonders dramatischen Kapitels in der Geschichte seiner Vaterstadt mit dem 1916 erschienen Buche „Der Widerstand Breslaus gegen Georg von Podiebrad“ beitragen. Koebners Vorlesungen als Privatdozent (1920) und a.o. Prof. (1924, dazu in den drei Wintern 1930/33 Vertreter des in Kairo als Gastprofessor wirkenden mediävistischen Ordinarius Hermann Aubin trugen schon früh ein interdisziplinäres Gepräge; zu seinen Seminaren gehörten Interpretationen des hl. Thomas (zusammen mit dem juristischen Privatdozenten Prausnitz) und die Erarbeitung einer historischen Städtekarte für Schlesien; mit dem Slawisten Paul Diels erstellte er die 1935 veröffentlichte Studie über das „Zaudengericht in Böhmen, Mähren und Schlesien“. Trotz seiner Entlassung am 29. April 1933 auf Grund des NS-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ließ man amtlicherseits seine Mitreise in der deutschen Delegation zum Warschauer Internationalen Historiker-Kongreß (29. Juni – 2. Juli 1933) noch zu. Dann fiel er unter die volle Schwere des neuen Gesetzes.

Seine Berufung auf den Lehrstuhl für neue Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem stellte seine bisher dem Mittelalter gewidmete akademische Lehrtätigkeit naturgemäß vor neue Aufgaben, doch ermöglichte seine nunmehrig britische Staatsbürgerschaft ihm mehrfach noch private Reisen in das schmerzlich sich wandelnde Vorkriegsdeutschland und damit die Fortführung mancher begonnener Studien. Seine Veröffentlichungen galten sowohl der europäischen Siedlungs- und Kolonisationsgeschichte (im Rahmen der Cambridge Economic History) wie dem Fragenkreis des Imperialismus. In deutscher Sprache erschien noch ein Jahr vor seinem Tode das mit seiner Frau Gertrud gemeinsam verfaßte Werk „Vom Schönen und seiner Wahrheit. Eine Analyse ästhetischer Erlebnisse“ (Berlin 1957). Die letzten drei Jahre nach Eintritt in den Ruhestand (1954) verbrachte er in Großbritannien.

Im März 1981 richtete die Universität Jerusalem einen Lehrstuhl für deutsche Geschichte ein, welcher den Namen Koebners trägt, um damit (dpa) einen Wissenschaftler zu ehren, „der in Deutschland und Israel durch seine semantischen Untersuchungen politischer Begriffe im Laufe der Geschichte internationale Beachtung gefunden hat“.

Lit.: Hermann Aubin, Die letzte Historikergeneration an der Universität Breslau. Erinnerungen. Vierteljahresschrift Schlesien 8.1961, S. 133-138 und 191. – Richard Koebner and Helmut Dan Schmidt, Imperialism.The Story and Significance of a Political Word 1840-1960. Cambridge 1964 (ebd. Vorspann von Herbert Butterfield: „Richard Koebner“). – Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 1928/29, Sp. 1198. – Publications of the Leo Baeck Institute of Jews from Germany, Year Book III, London 1958 (Foto Richard Koebners ebd. nach S. XVIII).