Biographie

Koeppen, Wolfgang

Herkunft: Pommern
Beruf: Schriftsteller
* 23. Juni 1906 in Greifswald
† 15. März 1996 in München

Der Ruhm, den der Schriftsteller Wolfgang Koeppen in Deutschland genießt, ist beständig, doch vergleichsweise bescheiden und steht in keinem Verhältnis zur immensen Bedeutung, die sein Schaffen für die deutsche Nachkriegsliteratur besitzt. Anders als Heinrich Böll oder Günter Grass, die sich stets auch als Figuren des öffentlichen Lebens begriffen haben und mit politischen Äußerungen hervorgetreten sind, hat Wolfgang Koeppen sich auf das Feld der Literatur beschränkt und ist als Person für Außenstehende fast völlig hinter seinen Romanen, Reiseberichten, Erzählungen, Aufsätzen und Skizzen verschwunden. Sein entschiedener, dabei ganz unprätentiöser Individualismus bedeutete in der Konsequenz einen Affront gegenüber marktüblichen PR-Mechanismen und erklärte damit zum Teil seine eingeschränkte Popularität. Diese Haltung ist indes in seiner Herkunft und Biographie begründet.

Koeppens Wiege stand in der vorpommerschen Universitätsstadt Greifswald, die zum Zeitpunkt seiner Geburt etwa 25.000 Einwohner zählte. Er war das uneheliche Kind einer Frau, die aus einer deklassierten Gutsbesitzerfamilie stammte, und eines Augenarztes. "Ich hatte kein richtiges Elternhaus", lautet Koeppens knappe Mitteilung.

1908 kam er mit seiner Mutter in das Haus seines Onkels, eines Baurats, zuerst im westpreußischen Thorn, dann im ostpreußischen Ortelsburg. Während seine Mutter spottete: "Wo sich aufhört das Kultur, da sich anfängt das Masur", begann der Achtjährige hier seine "Laufbahn als Zeitungsleser". Die umfangreiche Bibliothek des Onkels weckte sein Interesse. Er begab sich in die Welt der Bücher, der Literatur, der Bibliotheken  Roman –  die einzige Welt vermutlich, in der er sich Zeit seines Lebens wirklich zu Hause gefühlt hat. Wie sehr ihn die stimmungsvolle Atmosphäre Ostpreußens prägte und in ihm lebendig geblieben ist, erfährt man aus dem kleinen, 1991 erschienenen ErinnerungsbuchEs war einmal in Masuren: "Viele Landschaften führen nach Ortelsburg oder von Ortelsburg weg. Es sind Alleen alter Bäume, Traumpfade, Wälder und Seen aus dem Märchenbuch, jetzt für mich."

1919 kehrte Koeppen nach Greifswald zurück, riß zwei Jahre später von zu Hause aus und heuerte in Stettin als Schiffskoch auf einem Dampfer an. Nach dem Tod der Mutter 1925 arbeitete er als Hilfsarbeiter am Würzburger Theater. Sein eigentliches Ziel aber hieß Berlin, das damals eine Kulturmetropole von europäischem Rang war. 1928 erfüllte sich sein Wunsch: "… und als ich mich zugesellte, das gelobte Land erreichte vom pommerschen Acker her, vierter Klasse, mit Milchkannen und Kartoffelsäcken, und vom Stettiner Bahnhof nach dem Stadtplan zu Fuß, auf dem Weg nach Eden, da schien mir der Tempel zu strahlen, wie mein Verlangen es mir verkündet hatte, ich lauschte den Dichtern und Philosophen, hörte den Malern und Schauspielern zu, begegnete den klugen Herren der großen und mächtigen Zeitungen…", heißt es imRomanischen Café.

Durch Vermittlung Herbert Iherings wurde Koeppen Feuilleton-Redakteur des Berliner Börsen-Courier, wo er ab 1933 literarische Texte publizierte. 1934 reiste er nach Italien. Besonders Venedig beeindruckte ihn und wurde zum Schauplatz seines RomanerstlingsEine unglückliche Liebe. 1980 wurde ein Venedig-Film mit Wolfgang Koeppen gedreht, in dem der Autor sich an seinen ersten Aufenthalt in der Lagungenstadt erinnerte: Es war eine Flucht aus der Zeit, aus der Hitler-Zeit. Noch 1934 folgte er emigrierten jüdischen Freunden in die Niederlande, wo er einen weiteren Roman mit dem Titel Die Mauer schwankt schrieb. Seine Bücher wurden von nicht-nazistischen Rezensenten begeistert aufgenommen. Wie wenig sie den Vorstellungen der NS-Ideologie entsprachen, zeigt die Bemerkung eines Nazi-Kritikers, der den Autor einem Arbeitslager anempfahl. Als der Zweite Weltkrieg immer näher rückte und der Aufenthalt in den Niederlanden schwierig wurde, kehrte er nach Deutschland zurück. Dem 1940 erfolgten Einberufungsbefehl konnte Koeppen sich mit Hinweis auf seine literarische Arbeit und seine körperliche Verfassung entziehen. 1943 tauchte er in Bayern unter. In dieser Zeit der illegalen Existenz lernte er seine 23 Jahre jüngere Frau kennen, die er nach dem Krieg heiratete und die 1984 starb.

Koeppen blieb nach Kriegsende in München und veröffentlichte seit 1948 wieder literarische Texte. Zwischen 1951 und 1954 erschienen die drei Romane Tauben im Gras, Das Treibhaus und Der Tod in Rom, ohne die die deutsche Nachkriegsliteratur undenkbar ist. Sie spielen in der Besatzungszeit bzw. in der Frühphase der Adenauer-Ära. Koeppen handhabt virtuos das moderne literarische Instrumentarium, wie es von Joyce und Dos Passos vorgeprägt worden war. So erhob er das deutsche Nachkriegsdasein zum Modellfall moderner Existenz. Zugleich schrieb Koeppen eine wichtige Tradition der deutschen Literatur fort, indem er Außenseiter, Künstler, Flaneure als Hauptfiguren in die Handlung einführte.

Danach verstummte Koeppen als Romancier. 1986 verbat er es sich schließlich, weiter nach einem neuen, öfter auch von ihm selbst angekündigten Roman gefragt zu werden. Er ging auf Reisen: nach Spanien, Italien, Frankreich, in die Sowjetunion und die USA und verfaßte darüber melancholisch eingefärbte Berichte. Im Bewußtsein der Öffentlichkeit setzte er sich erst Anfang der sechziger Jahre durch, nicht zuletzt dank der Bemühungen des rührigen Marcel Reich-Ranicki. 1962 erhielt er den renommierten Büchner-Preis, 1965 den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Vereinzelt nur erschienen schmale Erzählbände, von denen das Romanische Café (1972) undJugend (1976) eine besondere Bekanntheit erlangten.

Koeppen hat nicht nur eine großartige Literatur geschaffen, er hat auch eine literarische Existenz geführt. Das hat ihn vermutlich befähigt, tiefer als die meisten anderen Autoren in menschliche Abgründe zu schauen und –  mit einem sanften Lächeln –  die denkbar entschiedenste Kritik zu formulieren. Auch dadurch hat er Befremden ausgelöst. Über sich selbst hat er gesagt: "Ich liebe es nicht, mich auf den Markt zu begeben und zu reden. Ich bin kein Mann des geselligen Mittelpunkts, ich bin ein Zuschauer, ein stiller Wahrnehmer, ein Schweiger, ein Beobachter, ich scheue die Einsamkeit in der Menge. Ich könnte meinen Nachbarn als Nichtstuer, der Welt als Rentner erscheinen und mir jeden Morgen zurufen: ach, wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß."

Werke:Gesammelte Werke in 6 Bänden. Herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki. 1986.  – Einzelausgaben: Eine unglückliche Liebe, Roman, 1934. –  Die Mauer schwankt, Roman 1935. – Tauben im Gras, Roman, 1951. –  Das Treibhaus, Roman, 1953.  –  Der Tod in Rom, Roman, 1954.  –  Nach Rußland und anderswohin, Reisebuch, 1958.  –  Amerikafahrt, Reisebuch, 1959. – Reisen nach Frankreich, Reisebuch, 1961.  –  Die ernsten Griechen, Essays, 1962. – Die Erben von Salamis, Essay, 1962. –  Gustav Flaubert, Reisetagebuch, 1963.  – Romanisches Café, Prosatexte, 1972. –  Jugend, Erz. 1976. –  Morgenrot, Erz. 1976. – Es war einmal in Masuren, 1991. –  Ich bin gern in Venedig, warum, 1994.

 Lit.: Ulrich Greiner (Hg.): Über Wolfgang Koeppen, 1976. –  Eckart Oehlenschläger: Wolfgang Koeppen, 1987. –  Martin Hielscher: Wolfgang Koeppen, 1988.

Bild: Süddeutscher Verlag München.

 

  Thorsten Hinz