Biographie

Kokoschka, Oskar

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Maler, Schriftsteller
* 1. März 1886 in Pöchlarn, Donau/Niederösterreich
† 22. Februar 1980 in Villeneuve/VD

Oskar Kokoschka gehört, auch im internationalen Ansehen, zu den hervorragendsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Dem Maler war nie Theorie, künstlerische oder politische Ideologie, modernistische Ansprüchlichkeit zu eigen, wohl aber ein individueller, humanistisch geprägter, kompromißloser Stil, der viele zunächst befremdete, ja abstieß, bis sich die Faszination seiner revolutionär wirkenden, doch aus großer Tradition kommenden ästhetischen Botschaft durchsetzte. Aus Altersweisheit und der Kompetenz des kritischen Abstands schrieb Max Liebermann 1931 – den übrigens Kokoschka seinerseits hoch achtete –: „Kokoschka ist der geborene Maler!“ Und in einem fingierten „Brief an einen Nachahmer“ (Max O. – es dürftesich um Max Oppenheimer handeln) formulierte die genialische Else Lasker-Schüler (Kokoschka hat sie wie eine Reihe anderer Künstler-Genossen für die Zeitschrift „Der Sturm“ ihres Gatten Herwarth Waiden porträtiert): „Kokoschka ist ein alter Meister, später geboren, ein furchtbares Wunder.“ Der in Pöchlarn als Sproß eines Prager Goldschmiedegeschlechts geborene wird vom zeitgenössischen Wien in der Breite und Tiefe seiner Erscheinungen geprägt – vom Meister Gustav Klimt, den über die „Secession“ vermittelten Maßstäben des Jugendstils, den Bildern van Goghs, ostasiatischen Elementen, der Pychoanalyse Sigmund Freuds. In der „Wiener Werkstätte“ findet er erste Betätigung. Erste dramatische Versuche und der Geniestreich der Farblithos zu seiner eigenen Dichtung „Die Träumenden Knaben“ stehen am Anfang seines expressiven Schaffens. Er wird von dem Architekten Adolf Loos gefördert, dem er wie dem Sprachkritiker und scharfzüngigen Moralisten Karl Kraus die bedeutendsten seiner frühen Porträts widmet, Werke, denen man so etwas wie eine seelische Röntgenologie zuschreiben kann, ganz abgesehen von ihrer ästhetischen, farbintensiven Wirkung. Die Jahre vor dem Krieg, einschließlich eines Schweizer Aufenthalts, stehen im Zeichen einer Reihe gemalter, gezeichneter und lithographierter Bildnisse, die allein schon Kokoschkas Weltruhm rechtfertigen. Unter den Dichtungen jener Zeit ist das unter allen Begleitumständen eines Skandals uraufgeführte expressionistische Drama „Mörder, Hoffnung der Frauen“ die berühmteste. Im Jahr 1913 setzt die ekstatische und apokalyptische Landschaftsmalerei („Tre Croci“) ein. Es entstehen die ersten großen Lithographiereihen („Die chinesische Mauer“, zu Karl Kraus, „Der gefesselte Kolumbus“, zur eigenen Dichtung), 1914 folgt die „Bachkantate“. Der Krise nach der Trennung von Alma Mahler, die er u. a. in einem Doppelselbstbildnis festgehalten hat, folgt die lange, sich schöpferisch auswirkende Krise aus der Verwundung, die der Kriegsfreiwillige 1915 erlitt (Kopfschuß und Lungenverletzung). Im Jahr darauf kommt es zu Begegnungen mit Dichtern wie Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal. Er malt großartige Frauenporträts, u.a. das der Schriftstellerin Mechtild Fürstin von Lichnowsky, der Gattin des deutschen Botschafters in London bis zum Kriegsausbruch.

Nach der Rekonvaleszentenzeit bleibt Kokoschka in Dresden, hat dort Umgang mit bedeutenden Dichtern (Hasenclever), Schauspielerinnen (Käthe Richter), die er porträtiert. Während seiner Akademieprofessur von 1919 bis 1924 (er verläßt die Schule, um ganz seinem Werk zu leben) erwachsen neben Bildnissen (darunter eines der fulminantesten Selbstbildnisse) Dresden- und Elblandschaften. In den folgenden Jahren ist er zumeist unterwegs, schafft im Frankreich, London, Berlin, Nordafrika, Irland, dazwischen in der Pariser Wohnung, eine Reihe von Städteporträts, Landschaftsbildern, Bildnissen, Figuralem.

1934 folgt die erste Emigration (Kokoschka wollte mit Diktaturen, gleich welcher Art, keine Kompromisse schließen) aus Wien nach der Väterheimat Prag, wo er seine spätere Gattin Olda Palkovská kennenlernt, und die in der nächsten Emigration London (1938 bis l952) fortgesetzte Reihe der expressiven Prager Stadtlandschaften malt – ein danach in England entstandenes Gemälde heißt „Prague-Nostalgia“ – und sich besonders in Wort und Bild mit dem Humanisten und Pädagogen, dem Exulanten Comenius (Comensky) beschäftigt. Er engagiert sich als Schreibender, Maier und Zeichnender ebenso für die spanischen Sozialisten und die deutschen Emigranten wie 1945 für die hungernden Kinder von Wien – wie später für die Budapester Freiheitskämpfer von 1956. 1947 wird er britischer Staatsbürger, übersiedelt aber nach Österreich und in die Schweiz, wo er sich bis zu seinem Tode in Villeneuve am Genfer See niederläßt.

Die 1956 gegründete „Schule des Sehens“ zog jeden Sommer unter seiner Leitung künstlerische Lehrer-Prominenz und viele, zumeist junge Schüler, darunter aber auch gestandene Künstler, auf die Festung Hohensalzburg. Einmonatige Kurse erhalten da den Rang von Akademie-Jahrgängen.

Kaum überschaubar ist das mittlere und das Spätwerk, auch im Thematischen. Breiten Raum nehmen Zeichnungen, Aquarelle, Lithographiefolgen ein (z.B. aus dem antiken Bereich, Früchte einer Griechenlandreise, großformatige Bilder zur Olympiade). Begehrter sind die Städteporträts (Berlin bis Wien, Hamburg bis Stuttgart). Kokoschka kann sich der Aufträge kaum erwehren, das gilt auch für die Prominentenporträts (Bundespräsident Körner, Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Max Brauer, Ludwig Erhard). Theodor Heuss hat Kokoschka in den wieder installierten Orden „pour le mérite“ berufen. Viele internationale Auszeichnungen werden dem streitbaren, gegen Despotie und gegen Kunstdiktatur, gleich welcher Art, ankämpfenden Maler, Schriftsteller und Moralisten zuteil.Er gibt Beispiel und ist für sich eine künstlerische, geistige und ethische Macht. So bekennen sich auch die Künstler aus seiner Herkunftslandschaft und aus dem ganzen Osten zu ihm, als sie ihm 1970 den Lovis-Corinth-Preis verleihen. Er nimmt ihn zustimmend an und gibt die Summe – wie er es bei verschiedenen Anlässen aus gleicher Gesinnung ähnlich getan hat – der Amnesty International.

Abb.: Selbstbildnis 1914 (Lithographie)

Ernst Schremmer