Biographie

Kossmann, Eugen Oskar

Herkunft: Zentralpolen (Weichsel-Warthe)
Beruf: Historiker, Geograph
* 16. Dezember 1904 in Ruda Bugaj/Lodz
† 20. Februar 1998 in Marburg/Lahn

In dem 1782 gegründeten deutschen Dorf Ruda Bugaj bei Alexandrow – unweit von Lodz – geboren, war Eugen Oskar Kossmann schon von seinem Elternhaus und der Dorfgemeinschaft her mit der Siedlungsgeschichte der deutschen Einwanderer in Polen eng verbunden. Sein Vater Leo Kossmann war im Jahre 1908 als Lehrer einem Ruf nach Lodz gefolgt, als hier die ersten städtischen deutschen Schulen eingerichtet wurden. Bis zum Zweiten Weltkrieg erfüllte Leo Kossmann als Rektor einer deutschen Volksschule in Lodz mit Besonnenheit und Umsicht die verdienstvolle Aufgabe der Erziehung deutscher Kinder in polnischen Land.

Eugen Otto Kossmanns Lebensweg war bis zum Jahre 1914 durch die russische, von 1915 bis 1918 durch die deutsche und danach durch die polnische Verwaltung in allen Phasen seiner Entwicklung als Knabe, Student und junger Wissenschaftler schicksalshaft geprägt. Insbesondere bestimmten Kossmanns Wesen eine zurückhaltend geübte, aber feste Verankerung im deutschen Volkstum wie auch das Wissen um die Grenzen deutschen nationalen Lebens und Wollens in Polen. Zu dem vom Elternhaus vorgezeichneten Bildungsweg gesellte sich ein in späterer Zeit hervorgetretenes Bemühen Kossmanns, es nicht bei der Erforschung deutschen Lebens in Polen bewenden zu lassen, sondern auch der polnischen Wissenschaft durch eigene Forschung im Bereich des Landes zu dienen.

Nach dem bestandenen Abitur am Lodzer Deutschen Gymnasium 1922 studierte Kossmann Geschichte und Geographie an den Universitäten Tübingen, Krakau, Warschau und Wien. Mit seiner an der Universität Krakau eingereichten Dissertation „Geographie der Stadt Lodz“ (Geografia miasta Łodzi) promovierte er im Jahre 1932.

Einen Höhepunkt in der bis dahin unproblematischen Entwicklung der fast gleichermaßen in der deutschen wie in der polnischen Sprache schreibenden Wissenschaftlers bedeutete für Kossmann die Anstellung als Geographielehrer am Lodzer Deutschen Gymnasium im Jahre 1928. Doch jetzt geriet er zwischen die durch Zwangsmaßnahmen polnischer Stellen gegen deutsche Einrichtungen entstandenen politischen Mühlsteine. Zusammen mit vier anderen Lehrern des Gymnasiums wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen. Als Grund wurde sein Studium an deutschen Universitäten angegeben. Damit hatte Kossmann die Existenzgrundlage in Polen verloren. Er siedelte nach Deutschland über.

Schon seit Mitte der 20er Jahre trat der junge Forscher mit zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte der Fabrikstadt Lodz und ihrer Einwohner hervor. Auch beschäftigte ihn schon damals die Frage nach der Heimat im allgemeinen, die er u.a. in Aufsätzen in der Lodzer „Freien Presse“ im April 1928 behandelte. Neuland auf dem Gebiet der deutschen Siedlungsforschung in Polen betrat Kossmann, als er die Eigenarten der in Polen seßhaft gewordenen Stammesgruppen aufspürte und dabei auch bisher nicht bekannt gewordene Gruppen, so die hessischen Siedler bei Lodz, entdeckte.

Wie kein anderer deutscher Geschichtsforscher aus Mittelpolen, war der aus dem Lodzer Raum stammende Historiker und Geograph prädestiniert, die im 19. Jahrhundert so besonders geprägten Mittelpolen, aber auch das sich daraus ergebende Zusammenleben von Deutschen und Polen darzustellen. Daß Kossmann zudem die Geschichte des Landes unter dem Aspekt seines Studienfaches als Geograph untersuchte, erhöht die Bedeutung seiner Arbeit besonders.

Seine siedlungsgeschichtlichen Forschungen dehnte Kossmann bald über den Lodzer Raum hinaus auf das ganze Gebiet Mittelpolens aus. Zunächst behandelte er im Jahre 1935 in einem in der „Deutschen wissenschaftlichen Zeitschrift für Polen“ abgedruckten Beitrag den Siedlungsgang im Lodzer Urwald. 1938 erschien bei S. Hirzel in Leipzig in der Reihe der Ostdeutschen Forschungen das grundlegende Werk „Die deutschrechtliche Siedlung in Polen, dargestellt am Lodzer Raum“.

Bereits in den 20er Jahren trat Kossmann mit Aufsätzen auch in derpolnischen Fachliteratur hervor. Die Zeitschrift „Czasopismo Przyrodnicze“ (Naturkundliche Zeitschrift) in Lodz brachte in den Jahren 1929 bis 1934 in großer Zahl seiner Beiträge, u.a. über die Bebauung der Stadt Lodz in landeskundlicher Hinsicht, geographische Skizzen der Umgebung von Lodz, über geographische Ursachen der Entstehung der Textilindustrie in Lodz. 1926 legte Kossmann im Geographischen Institut der Universität Warschau eine Arbeit zur Entstehung der Lodzer Textilindustrie vor. Weitere Autographien in polnischer Sprache in jener Zeit waren u.a. die Karte „Łódź-Stara Wieś, Widzew, Zarzew i Wólka“ im Jahre 1929 und die Broschüre „Śladami dawnej Łódźi“ (Auf den Spuren des alten Lodz) 1934.

Gleichzeitig mit diesen polnischen Aufsätzen veröffentlichte Kossmann aber auch siedlungsgeographische Aufsätze in den Zeitschriften der „Historischen Gesellschaft für Posen“, bei deren Jubiläumstagung im Mai 1935 er einen viel beachteten Vortrag hielt. Es war die Zeit der deutsch-polnischen Annäherung. Reichsdeutsche Gäste konnten in größerer Zahl an der Posener Tagung teilnehmen, so daß Kossmanns Arbeiten auch in Berlin bekannt wurden. Die Folge war, daß er 1936 zunächst Stipendiat der „Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft“ in Berlin, dann fester Mitarbeiter der Publikationsstelle beim Preußischen Staatsarchiv wurde, die in engem Kontakt zur NOFG stand. Dieser Zeit entstammen neben seinem ersten großen Buch „Die deutschrechtliche Siedlung in Polen, dargestellt am Lodzer Raum“ (Leipzig 1938) zahlreiche siedlungs-geographische Aufsätze in den Zeitschriften „Jomburg“ und „Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung“, durchweg zur Siedlungsgeschichte der Deutschen in Polen und zu deren geographischen Vorbedingungen.

Die ganze Kriegszeit über war Kossmann, den ein gütiges Schicksal vor Wehrdienst und Gefangenschaft bewahrte, als im Stillen wirkender Mitarbeiter der Publikationsstelle sozusagen der ruhende Pol in der wirren Zeit. Mit Bibliothek und Archiv der Publikationsstelle wurde Kossmann aus Berlin evakuiert, die abenteuerliche Odyssee endete schließlich in Coburg.

Kossmanns Sprach- und Sachkenntnisse ermöglichten ihm sehr bald nach dem Zweiten Weltkrieg eine Mitarbeit im Stuttgarter „Büro für Friedensfragen“, der Keimzelle des Auswärtigen Amtes, in das er 1949 eintrat. Zwanzig Jahre war er nun im diplomatischen Dienst, zunächst in der Ostabteilung in Bonn, dann in Kopenhagen, Wien und seit 1964 in Paris. Auch in dieser Zeit diplomatischer Beanspruchung entstanden weitere Arbeiten, deren Thematik sich nun zunehmend von Lodz und der deutschen Siedlung löste.

Sein besonderes Augenmerk widmete Kossmann zunächst dem Zustand Europas in seiner Gesamtheit: „Warum ist Europa so? – Eine Deutung aus Raum und Zeit“ (Stuttgart 1950) war ein großer Wurf, der leider in der damals noch kaum organisierten deutschen wissenschaftlichen Welt zu wenig beachtet wurde. Doch schon bald wandte er sich wieder seinen alten Themen zu. In dem 1966 erschienenen Buch „Lodz – eine historisch-geographische Analyse“ faßte Kossmann früher erarbeitetes Material zu einer historisch-geographischen Untersuchung der Entstehung und Entwicklung dieser von deutschen Einwanderern so entscheidend geprägten Stadt zusammen. Früher erschienene Zeitungsaufsätze des Forschers wurden in einem Lodzer Heimatbuch abgedruckt.

Zur polnischen Sozialgeschichte des Mittelalters und der Ausdeutung verschiedener sozialgeschichtlicher Begriffe sind von Kossmann zwei bedeutende Werke erschienen: „Polen im Mittelalter. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte“ (Marburg 1971) und „Polen im Mittelalter. Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im Bannkreis des Westens“ (Marburg 1985).

Außerdem ist Kossmann, angeregt durch den Fund verloren geglaubter Abschriften aus Warschauer Archiven, auch in der Forschung zu seinem alten Thema, der deutschen Siedlung in Polen, zurückgekehrt, gelegentlich auch über Mittelpolen hinausgreifend. Ergebnis dieser Arbeiten ist das dritte große Buch: „Die Deutschen in Polen seit der Reformation. Historisch-geographische Skizzen“ (Marburg 1978).

Dr. Eugen Kossmann war nicht nur der hervorragende und verdienstvolle Forscher auf dem Gebiet der deutschen Siedlungsgeschichte in Mittelpolen. In gleichem Maße hat er sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen um Fragen der Landeskunde Mittelpolens verdient gemacht.

Werke: (Auswahl): Śladami dawnej Łodzi (Auf den Spuren des alten Lodz), 1934. – Die deutschrechtliche Siedlung in Mittelpolen. Dargestellt am Lodzer Raum, 1938. – Die Anfänge des Deutschtums im Litzmannstädter Raum. Hauländer und Schwabensiedlungen im östlichen Wartheland, 1942. – Warum ist Europa so? Eine Deutung aus Raum und Zeit, 1950. – Lodz – eine historisch-geographische Analyse, 1966. – Ein Lodzer Heimatbuch. Geschichte und Geschichten aus Stadt und Land, 1967/1995. – Polen im Mittelalter. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte, 1971. – Die Deutschen in Polen seit der Reformation. Historisch-geographische Skizzen. Siedlung, Sozialstruktur, Wirtschaft, 1978. – Polen im Mittelalter. Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im Bannkreis des Westens, 1985. – Deutsche mitten in Polen. Unsere Vorfahren am Webstuhl der Geschichte, 1985. – Es begann in Polen. Erinnerungen eines Diplomaten und Ostforschers, 1995. – Deutsche in Polen. Siedlungsurkunden 16.-19. Jahrhundert, 1996. – Das Ostdeutsche Jahrtausend, 1997. – Das neue Polen. Seine Wirtschaft nach dem I. und II. Weltkrieg, 1997.

Bild:Archiv der Deutschen aus Mittelpolen und Wolhynien

Edmund Effenberger