Biographie

Kotzebue, Wilhelm von

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Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Schriftsteller, Diplomat
* 10. März 1813 in Reval/Estland
† 5. November 1887 in Reval/Estland

Sieht man von wenigen Ausnahmen ab (Franz Bornmüller: Biographisches Schriftsteller-Lexikon der Gegenwart, Leipzig, 1882), dann ist die literarische Tätigkeit Wilhelms von Kotzebue im deutschen Sprachgebiet wenig bekannt, obwohl der Sohn des berüchtigteren Vaters (August von Kotzebue, 1762-1819) oft genug in Periodika und in Buchausgaben zu lesen war. Demgegenüber ist die numerische und qualitative Rezeption seines Schaffens in Rumänien erstaunlich. Persönlichkeiten von Rang (Titu Maiorescu, Nicolae Iorga, Nicolae Cartojan) analysierten die Werke von Kotzebue, und für den Germanisten Patrascanu ist der deutsche Estländer sogar ein „Tacitus Rumäniens“. In der Literaturwissenschaft hat man auch in Deutschland immer wieder Wilhelm von Kotzebue Beachtung geschenkt (zuletzt Schroeder, 1971, und Heitmann, 1986). Dabei wurde vor allem seine Vermittlerrolle zwischen der deutschen und der rumänischen Kultur hervorgehoben. Wie sein älterer Bruder Karl wählte Wilhelm zunächst den Beruf eines Diplomaten. Beide Brüder traten in die Fußstapfen des Vaters, der für Rußland auf das politische Parkett getreten war. Als Attaché beim Generalgouverneur in Kiew begann Wilhelm von Kotzebue seine Laufbahn. 1840 wird er Sekretär der russischen Gesandtschaft in Karlsruhe, von wo er sich zehn Jahre lang beurlauben läßt, um auf den Gütern seiner Frau in der Moldau zu leben. 1857 kehrt er nach Karlsruhe zurück, 1869-1879 ist er Gesandter in Dresden. Seinen Lebensabend verbringt Kotzebue in Dresden und auf seinem Gut Orrenhof bei Reval.

Von Bedeutung waren die zehn Jahre in der Moldau. 1847 kam Kotzebue hier an, erlebte die 48er Revolution an Ort und Stelle und begann auf seinem Gut in Balusesti bei Roman literarische Produktivität zu erproben. Seine dramatischen Erstlinge („Ein unbarmherziger Freund“,„Zwei Sünderinnen“) waren in den späten dreißiger Jahren erfolglos geblieben, seine Übersetzung aus dem Russischen (1841) ist auch heute nur Fachleuten bekannt. Aber dann publizierte Kotzebue 1841 Reiseeindrücke aus der Moldau, und Reisebilder und ein Roman gehören zu dem Besten, was seine „Rumäniendichtung“ (Karl Kurt Klein) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffen hat. Auch ist Kotzebue die erste Anthologie rumänischer Volkspoesie und Kunstdichtung in Deutschland zu verdanken. Seine deutschen Nachdichtungen erschienen 1857 in Berlin.

Auf die rumänische Literatur hat Wilhelm von Kotzebue eingewirkt: Der Entwicklungsroman mit zeitkritischer Tendenz ist von ihm mitgeprägt worden. Nicolae Filimon und Duiliu Zamfirescu stehen im Schatten von Kotzebues Roman „Laskar Vioresku“ (1863). Und auch seine Reisebilder blieben nicht unvermerkt. Sie haben die Verquickung ethnographischer Sachinformation mit Fiktionen begünstigt, die Bestrebungen, Lokalkolorit durch Dokumentation und Einfühlsamkeit zu entdecken. Es ist kein Zufall, daß noch 1920 Übersetzungen der Werke von Wilhelm von Kotzebue erschienen, er als 41. Mitglied in die Rumänische Akademie (1884) aufgenommen wurde. Sein Brückenschlag zwischen zwei Sprachen und Kulturen hat ein Echo gefunden. An die Schwierigkeiten bei der Findung einer gemeinsamen Sprache: der Poesie oder der Wissenschaft, ist heute zu denken, wenn man sich an den deutschen Estländer erinnert.

Werke: Wilhelm von Kotzebue: „Zwei Sünderinnen“, 1838; Rumänische Volkspoesie, 1857; Aus der Moldau. Bilder und Skizzen, 1860; Laskar Vioresku, 1863; Kleine Geschichten aus der großen Welt, 1863; Baron Fritz von Reckensteg, 1885.

Lit.: N. Gr. Stetcu: Anmerkungen über W. v. Kotzebue; C. Turcu: Ein deutscher Reisender im vorigen Jahrhundert im Kreis Neamt, 1942; K. H. Schroeder: Ein unbekannter Bericht von W. v.K. über die Unruhen 1848 in der Moldau; H. Fassel: Ein „Tacitus Rumäniens“, Neuer Weg, Bukarest, 1976.