Biographie

Kuhnert, Wilhelm

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Tiermaler, Zoologe
* 28. September 1865 in Oppeln
† 11. Februar 1926 in Flims/Graubünden

Wilhelm Kuhnert, Sohn eines Beamten, sollte eine kaufmännische Lehre machen, die er jedoch abbrach. Er ging mit 16 Jahren nach Berlin, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten wie Por­trätieren und Gebrauchsgraphik durchschlug. Um ein Stipendium an der Kgl. Akademie für bildende Künste in Berlin zu erhalten, beteiligte er sich an einem Preisausschreiben. Ohne je vorher eine künstlerische Ausbildung erhalten zu haben, gehörte er zu den Gewinnern und konnte dann 1883 bis 1887 studieren. In Ferdinand Bellermann und Paul Meyerheim fand er Lehrer, die wohl ganz seinem Talent und seiner Neigung entsprachen. Bellermann, der mehrere Jahre in Südamerika im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. tropische Landschaften studierte und mehrere Reise­erinnerungen illustrierte, sowie Meyerheim, welcher besonders als Tiermaler erfolgreich war. Über Paul Meyerheim kam er mit Adolph Menzel in Kontakt, der seine Freundschaft mit Vater Eduard Meyerheim auf den Sohn Paul über­tragen hatte. Menzels Kinderalbum mit seinen lebenswahren Tierbildern, aber auch dessen zeichnerisches Werk überhaupt, werden für Kuhnert ein Maßstab seines künstlerischen Strebens gewesen sein. Wenngleich er andere Wege gegangen ist, sind lobende Äußerungen Menzels überliefert. Kuhnert hatte früh sein Thema, die Tiermalerei gefunden und zeichnete viel im Berliner Zoo. Auffallend war sein unglaublich schnelles und sicheres Arbeiten, das sich mit immenser, zielgerichteter Auffassungsgabe verband.

Erste Veröffentlichungen seiner Zeichnungen erfolgten. Durch die Vermittlung von Zoodirektor Prof. Ludwig Heck machte er die Bekanntschaft mit Hans Meyer, Teilhaber des Bibliographischen Instituts Leipzig. Dadurch bekam Kuhnert Möglichkeit, ausgreifender zu wirken. Meyer beauftragte ihn u.a. mit den Farbtafeln für die 3. Auflage des berühmten Standardwerks Brehms Tierleben von 1890 (4. Auflage 1912/1916).

Studien im Zoo genügten Kuhnert nicht mehr und mit Abenteuer- und Reiselust rüstete er mit 26 Jahren eine Expedition aus, die ihn über Ägypten nach Ost­afrika führte, was ihm die Aufträge Meyers ermöglichten. Dort studierte, malte und zeichnete er 1891/92 die Tierwelt in freier Natur. Manches gefährliche Abenteuer war zu bestehen. 1893 stellte er seinen künstlerischen Ertrag bei der Großen Berliner Kunstausstellung aus, für den er eine „Ehrende Anerkennung“ erhielt. Seine Arbeiten wurden geschätzt und fanden den Weg in mehrere, be­sonders zoologisch ausgerichtete Bücher und Zeitschriften, zunehmend auch in ausländische Publikationen. Andererseits war er mit freien Arbeiten erfolg­reich. Sein erster Löwe entstand bereits zu Beginn der Studienzeit. Zwar ist er mit Löwen als „Löwen-Kuhnert“ berühmt geworden und noch heute bekannt und gesucht, aber sein Repertoire reichte vom Elefanten bis zur Elefantenspitz­maus, um die brillanten Zeichnungen von Kleintieren nicht zu vergessen, auch Vogeldarstellungen sind nicht selten. Kuhnert hatte bereits 1893 Die Schöpfung der Tierwelt des Zoologen Wilhelm Haacke illustriert. Aus der Zusammenar­beit entstand dann das dreibändige Werk Das Thierleben der Erde (Berlin 1901).

1894 heiratete er die 18-jährige Emilie Caroline Herdikerhoff, die ihm eine Tochter schenkte. Die Ehe wurde 1909 geschieden. Kuhnert war weiterhin in Berlin ansässig, aber er war häufiger auf Reisen, zoologische Gärten in mehreren deutschen und europäischen Städten aufsuchend. 1897 unternahm er eine zweimonatige Mittelmeerreise mit längeren Aufenthalten in Süditalien. Seine zweite große Expedition erfolgte 1905/06, die ihn wieder nach Ostafrika und über Indien nach Ceylon führte. 1911/1912 begleitete er König Friedrich August von Sachsen auf dessen Jagd­reise in den Sudan, die Kuhnert allerdings nicht sonderlich befriedigte, da durch seine Aufgabe, die Jagdstücke des Königs zu zeichnen, ihm kaum Zeit für eigene Studien verblieb. So begab er sich wenig später wieder selbstständig auf große Expedition nach Ostafrika. Auf der Rückreise 1912 machte er noch einen Abstecher in die lybische Wüste. Interessante Einblicke geben seine teilweise erhaltenen Tagebücher. Er beschreibt u.a. die Schwierigkeiten bei der Freilichtmalerei in den Tropen, wo die Farben von der Leinwand herunterlaufen oder beim Trocknen sich Ascheregen verklebt. Um dem zu entgehen wandte er einen dünnen Farbauftrag in lasierender Art an. Bilder, die im Atelier und geschützem Raum entstanden, sind so von jenen vor Ort gemalten zu unterscheiden, abgesehen von schlecht zu transportierenden größeren Formaten.

In seinem letzten Atelier, im Berliner Westen Kurfürstenstr. 120 hatte vorher Richard Friese (Gumbinnen 1854-1918 Zwischenahn) gearbeitet. War Frieses Domäne das nordeuropäische Großwild und das Tierleben im nördlichen Eismeer, war Kuhnert für seine Löwenbilder und Darstellungen der Tiere Afrikas und Asiens berühmt, wenngleich sich Friese auch immer wieder der Tierwelt Afrikas und Asiens zugewandte hatte und Kuhnert später jener Nord­europas. Die beiden Künstler waren die Begründer und herausragenden Vertreter realistischer Tier­malerei in Deutschland.

Im Ersten Weltkrieg konnte er 1916 in das polnische Bialowies reisen, sich be­sonders mit dem dort geschützten Wisent beschäftigend. Durch die veränderten politischen Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg, das ehemalige Deutsch-Ostafrika bot nun keine Reisemöglichkeit mehr, musste Kuhnert neue Arbeits­felder suchen. 1920 machte er eine Schwedenreise, wo er intensive Elchstudien betrieb. Im Atelier entstanden in größerer Zahl freie Ölgemälde, während die Illustrationsaufträge für zoologische und populärwissenschaftliche Werke zurückgingen.

Bedeutsam wurde ein neues Arbeitsfeld, die Radierung, zur Blütezeit der Druckgraphik in Deutschland, bis die Kunst als Wertgegenstand mit der Ein­führung der Rentenmark Ende 1923 an Bedeutung einbüßte. 123 Radierungen, zum großen Teil aus Gemälden und Zeichnungen übertragen, erschienen 1925 in Berlin als Reproduktionen in dem Buch Meine Tiere.

Auch mehrere Mappenwerke, zahlreiche Buchillustrationen, weitverbreitete Sammelbilderserien und anschauliche Schulwandtafeln sind zu nennen. Seine Kunst zeugt von seiner umfassenden Tätigkeit mit immensem zoologischem Wissen. Seine Bilder sind von realistischer Genauigkeit, die jedoch auch die Individualität der Tiere schildern: die Erfassung der Lebensweise, den Charak­ter und ihre Bewegungen – abgeschaut und belauscht im Biotop. Aus diesem Zusammenhang entstanden auch seine Bücher, mit dramatischen Episoden im Kampf um Leben und Tod. Sie sind noch heute interessant und lesenswert, wie das beredsame, abenteuerreiche Buch Im Lande meiner Modelle (Leipzig 1918) mit lebendigen Abbildungen, auch Schilderungen „archaischer“ Reisebe­dingungen.

Zu erwähnen wären auch seine charakteristischen Landschaftsdarstellungen, welche bei topographischer Genauigkeit durch klare Lichtführung mit feinen, farblichen Valeurs faszinieren und ebenso auch Darstellungen von Eingeborenen, die besonderen völkerkundlichen Wert haben.

1913 heiratete er Gerda von Jankowski, die an seinem 60. Geburtstag verstarb. Sein großer Lebensmut war erloschen. Eine Lungenentzündung machte seinem Leben bei einem Erholungsaufenthalt in Flims ein Ende.

Auktionspreise, die seit den 1990er Jahren für Hauptwerke vereinzelt bis in mittlere sechsstellige Bereiche, besonders in angelsächsischen Ländern reichen, zeigen, dass Kuhnert sich bis in die Gegenwart unter „Sammlern und Jägern“ großer Wertschätzung erfreut, dies gilt auch für die brillanten Zeichnungen und Radierungen. Aus dem großen Umfang seines qualitätvollen Schaffens resultiert eine gute Auktionspräsenz und es ist anzunehmen, dass sich auch hin und wieder Einzelausstellungen ergeben, woraus dann wieder Publikationen entstehen, die sein Œuvre weiterhin bekannt machen.

Kuhnert beteiligte sich von 1890 bis zu seinem Tod an der Großen Berliner Kunstausstellung sowie an Ausstellungen in zahlreichen Städten, auch im Ausland. 1927 wurde eine Gedächtnisausstellung im Berliner Zoo gezeigt, aber auch später fanden immer wieder Einzelausstellungen statt, u.a. 1955 in Köln und Hamburg, in London 1973 sowie umfassend 2011 im Museum Knauf Ipfhofen 4 x Afrika und zurück.

Kuhnerts Werke finden sich in mehreren Museen u.a. in Berlin, Wuppertal, Hannover, Zwickau, Ostdeutsche Galerie Regensburg, Tryon Gallery London, Naturhistorisches Museum Leiden, Rijksmuseum Enschede (Kat. 1972), British Museum of Natural History London, Kirk Johnson Collection Forth Worth (Kat. 1959).

War es zunächst besonders die Mentalität der Jäger aus dem wohlhabenden Bürgertum und der Aristokratie, denen seine Ölgemälde entsprachen, hat sich inzwischen allgemeiner die Erkenntnis des künstlerischen Anteils in seinem Werk zu einer Achtung seines Schaffens eingestellt. Dies war ihm als Spezialist lange verwehrt, trotz großen Erfolges und später hoher Auktionspreise. 2015 hat die Alte Nationalgalerie Berlin mit der Ausstellung „Der Löwen-Kuhnert. Wilhelm Kuhnert zum 150. Geburtstag“ seiner mit Gemälden und Zeichnungen aus eigenem Bestand gedacht und so ist er verdientermaßen auch in den Parnass der Kunstrezeption eingereiht worden.

Lit.: Boetticher. – Thieme-Becker, Großer Brockhaus 1908, Bd. 17. – Wilhelm Kuhnert, Im Lande meiner Modelle, Leipzig 1923. – Angelika Grettmann-Werner, Wilhelm Kuhnert (1865-1926). Tierdarstellung zwischen Wissenschaft und Kunst, Hamburg 1981. – Kunst in Schlesien – Künstler aus Schlesien, Malerei, Graphik und Pla­stik im 20. Jahrhundert, Würzburg 1985, bearb. Hanna Nogossek, S. 114f. – Irmgard Wirth, Berliner Malerei im 19. Jahrhundert, Berlin 1990, S. 424f. – Hansjörg Werner, Wer war Wilhelm Kuhnert – Möchten Sie ihn kennenlernen? Der große deutsche Tiermaler, on demand 2005. – Ders., Wilhelm Kuhnert – Seine Meisterwerke, Bremen 2006. – Markus Mergenthaler (Hrsg.), 4x Afrika und zurück. Meisterwerke des Tiermalers und Illustrators von Brehms Tierleben Wilhelm Kuhnert, Dettelbach 2011. – Andreas Gautschi, Werner Siemens, Hans Günter Vollmer-Verheyen, Richard Friese. Sein Leben – seine Kunst, Mel­sun­gen 2013, S. 118f. – Philipp Demandt (Hrsg.), Der Löwen-Kuhnert: Afrikas Tierwelt in den Zeichnungen von Wilhelm Kuhnert. Berlin 2015.

Bild: Selbstbildnis 1924, Wikipedia.

Helmut Scheunchen, 2017