Biographie

Kunitzer, Friedrich

Herkunft: Zentralpolen (Weichsel-Warthe)
Beruf: Maler, Grafiker, Schriftsteller
* 9. Februar 1907 in Przedecz, Kr. Konin
† 14. März 1998 in Kördorf/Taunus

Friedrich Kunitzer, am 9. Februar 1907 in Przedecz/Krs. Konin im damaligen Russisch-Polen geboren, stellte ein Multitalent dar, weil er Maler, Grafiker, Schriftsteller und Organisator zugleich war. Seine Kindheit verbrachte er vor allem in Jaroslawl in Nordrußland, wo sein Vater seit 1909 als Deutschlehrer beim zaristischen Kadettencorps unterrichtete. Die russische Revolution verschlug die Familie Kunitzer 1918 nach Lodz, wo Friedrich das Deutsche Gymnasium besuchte.

Der begabte junge Mensch ging 1926 nach Krakau, wo ihn das Studium an der Akademie der bildenden Künste bei F. Pautsch und W. Jaraocki dem Spätimpressionismus der national gesinnten polnischen Künstler nahebrachte. Es folgten 1929 ein kurzesStudium an der Berliner Akademie für freie und angewandte Kunst, ein längerer Aufenthalt in der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen und 1930 ein Studium in Paris an der dortigen Filiale der Krakauer Akademie bei J. Pankiewicz. Seinen Pflichtdienst leistete er 1932 beim polnischen Militär in Wolhynien. 1933 stellte er seine ersten Bilder in Posen, Lodz, Bromberg und Kattowitz aus. Seit 1935 studierte er mit einem Stipendium des VDA an der Münchener Akademie und war Meisterschüler Prof. Karl Caspars. 1937 bildete er in München eine Ateliergemeinschaft mit Eugen Nell.

Zwischendurch malte er eifrig in den deutschen Siedlungsgebieten Mittel- und Ostpolens und in der Weichselniederung. Dabei drang er tief in die Seele sowohl seiner Landsleute als auch der Slawen jenes Mischgebiets von Polen, Ukrainern und Weißrussen ein und erlebte die vielfältige kulturelle Situation des ostmitteleuropäischen Raumes.

1942 wurde Kunitzer Soldat und erlebte den Krieg in den Weiten Russlands. Zeichenfeder und Papier waren immer griffbereit. Und so entstanden hunderte von Zeichnungen, von denen ein Teil den Krieg überstanden hat. Aus der Fülle dieser Zeichnungen schuf Kunitzer auf Anraten und Drängen seiner späteren Frau seine erste Nachkriegsveröffentlichung, der er den Titel Ikonen im Pulverrauch. Eine Zeichenfeder erlebt den Russlandfeldzug gab. Mit knappen Texten erläutert der Künstler seine etwa 80 Federstrichzeichnungen, die er retten konnte.

Bereits in der Heimat, vor allem im Lodzer Deutschen Schul- und Bildungsverein, hatte Kunitzer großartige Ölbilder ausgestellt, die das Leben deutscher Bauern in Mittelpolen darstellten. Die meisten dieser Bilder sind in Polen geblieben, lediglich eine Mappe mit 12 Reproduktionen aus jener Zeit hat sich bis in unsere Tage in wenigen Exemplaren erhalten. Gleichfalls vorhanden sind – als kleine Kostbarkeit von ihren Besitzern gehütet – Briefe mit Randillustrationen, die Kunitzer einst von Reisen an seine Freunde und Bekannten zu senden pflegte und die – zusammen mit den Texten – eine großartige Dokumentation deutschen Volkslebens und zugleich guten nachbarlichen Zusammenlebens mit anderen Völkern darstellen.

In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs verwundet, kehrte Kunitzer 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück und fand Aufnahme in Alsfeld/Oberhessen, wo er 1947 im benachbarten Lauterbach den Berufsverband Bildender Künstler mitbegründete und ausstellte. 1949 zog er zu seiner Schwester, einer Chemikerin, nach Wiesbaden. Kunitzer und seine spätere Frau Tamara Weiland, die er in der hessischen Landeshauptstadt kennenlernte, schlossen sich früh der Wiesbadener Kreisgruppe der Landsmannschaft Weichsel-Warthe an und bereicherten das kulturelle Leben der monatlichen Zusammenkünfte und viele festliche Veranstaltungen.

In Wiesbaden beteiligte sich Kunitzer an zahlreichen Ausstellungen oder stellte selbst, insbesondere im Haus der Heimat, aus. Hier hat er im Großen Saal auch ein Wandfries mit acht deutschen Trachtenpaaren aus Mittel- und Osteuropa geschaffen. Auch in der ersten Dauerausstellung über die Heimatvertriebenen im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach/ Taunus waren zwei seiner Werke vertreten, die das Bundesinnenministerium in Bonn zu diesem Zwecke ankaufte.

1954 wurde Kunitzer Mitglied der Künstlergilde Esslingen, einer Selbsthilfeorganisation der geflüchteten und vertriebenen deutschen Künstler. Er und Tamara Weiland beteiligten sich mit zahlreichen Kulturreferenten anderer Landsmannschaften an der kulturellen Lagerbetreuung, die der hessische Landesverband des Bundes der Vertriebenen mit Unterstützung des Hessischen Innenministeriums organisiert hatte. Beide wirkten in zahlreichen Theateraufführungen mit, u.a. auch in dem Märchen von den deutschen Flüssen, gestaltet nach einer Erzählung des schlesischen Dichters Paul Keller.

1957 heirateten Friedrich Kunitzer und Tamara Weiland. Sie zogen ins Jammertal, das Tamara einmal als das Traumtal an der Lahn bezeichnete. Der Künstler fand auch hier zur Bevölkerung und zu den Künstlern dieses Raumes schnell Zugang. 1970 gründete er die KünstlergemeinschaftWesterwald-Taunus-Lahn mit und wurde bereits 1971 für viele Jahre deren erster Vorsitzender. Auf einem Wiesengrundstück mit starker Hanglage, etwa zweihundert Meter von den nächsten Häusern der damals geschlossenen Ortschaft Kördorf entfernt, schufen sich Friedrich und Tamara ein neues Zuhause.

Das unter großen Mühen mit eigener Kraft errichtete Blockhaus nach ostdeutscher Kolonistenart strahlte Wärme und Leben aus. Bei jedem Besuch dort spürte man mehr, wie sich beide in der neuen Umgebung einlebten und neue Freundschaften schlossen mit Menschen und Tieren. Man beobachtete zugleich, dass das Traumtal vor allem Friedrich Kunitzer immer wieder zu neuen Zeichnungen und Bildern anregte.

Nachdem weitere Baulichkeiten errichtet waren und das Ehepaar gemeinsam eine kleine Landwirtschaft mit Vieh- und Fischzucht aufbaute, schuf sich Kunitzer ein eigenes Atelier, das nach und nach erweitert wurde und viele Jahre als ständige Ausstellung für Zeichnungen und Bilder diente. Kunitzer malte alles, was sein waches Auge und Ohr für wichtig erachtete. Seine Freunde und Bekannten besuchten ihn immer häufiger, weil der Lebensstil und die Werke des Künstlers dem aufmerksamen Besucher neue Eindrücke und Einsichten vermittelten. Das einfache Leben, das Kunitzer gewählt hatte, auf Papier bannte und einer künstlerisch interessierten Umwelt mit seinen Augen sichtbar machte, fand immer neue Bewunderer. Einer von ihnen war Peter Nasarski, der darüber berichtete, dass inzwischen in Kunitzers neuer Heimat, bis hin zur hessischen Landeshauptstadt und bis Bonn, wo 1973 in der Parlamentarischen Gesellschaft eine Ausstellung seiner Werke stattfand, immer weitere Kreise auf das „Malerparadies an der Lahn“ aufmerksam geworden waren. Das Blockhaus und Friedrich Kunitzers Atelier, das er zum Heimatmuseum ausgestaltete und das er auch so nannte, wurde zum Anziehungspunkt vieler Kunstfreunde und vieler Landsleute. Rundfunk und Fernsehen haben über Kunitzers Schaffen berichtet, Bundes- und Landespolitiker dankten ihm für die oft in unglaublich kurzer Zeit entstandenen Porträts.

Der Künstler ist vor allem durch seine schriftstellerische Tätigkeit weit über seine Heimat hinaus bekannt geworden. 1973 veröffentlichte er das Text- und BildwerkWo die Füchse Kaffee kochen, das zuvor ein preisgekröntes Werk eines Wettbewerbs des Ostdeutschen Kulturrates unter dem Motto Fremd in Deutschland? gewesen war. Im Jahre 1983 brachte er im Westkreuz-Verlag Berlin/Bonn ein weiteres Buch über das Leben an der Lahn und im Jammertal mit dem Titel Menschen-Mühlen-Märchen heraus. In annähernd 200 Zeichnungen zeigt der Maler die Menschen und Mühlen vor dem Hintergrund ihrer Schicksale, die an der Lahn oder im mitteleuropäischen Osten ihren Ursprung haben und ihre Fortsetzung finden.

1987 wurde Kunitzer der Dr. Kurt-Lück-Preis, der Kulturpreis der Landsmannschaft Weichsel-Warthe, verliehen. Im gleichen Jahr erschien ebenfalls im Westkreuz-Verlag, für den er in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zahlreiche Aufträge ausführte, sein Band Unterwegs – am Rande unseres Jahrhunderts. Hier schreibt er über seine Zeit in Wolhynien:„Während einigen meiner Skizzen und Illustrationsreihen aus der Zwischenkriegszeit erst kürzlich in Erzähler- und Bildbänden – so in Hilda Brost-Kliners ‚Geschichten – wie aus einer anderen Welt‘ und in einem Dokumentationswerk ‚Zwischen Ostsee und Waldkarpaten‘ – zu einem für mich unerwarteten Wiederauferstehen verholfen werden konnte, fanden meine Kreuz- und Querfahrten durch Wolhynien in einem Sammelband ‚Wege zum Nachbarn‘ einen Niederschlag eigener Art. Ich hatte vorher im Rahmen eines Erzählerwettbewerbs des ‚Ostdeutschen Kulturrats‘ und dann auch in einer Rundfunksendung über meine Wanderungen durch Ostpolen berichtet. Hatte geschildert, wie die einfachen Menschen dieses Raumes gute und böse Zeiten erlebt hatten. Und so sehr gerade auch die Deutschen unter ihnen von harten Schicksalsschlägen betroffen worden waren, so wenig gaben sie es auf, den Gesetzen ihrer Nachbarschaft auch Russen, Ukrainern, Polen und Juden gegenüber treu zu bleiben.“

1989 war Kunitzer ein zweites Mal in Worpswede. Hier gelang es ihm, einige seiner Bilder zurückzukaufen, die den Krieg überlebt hatten und die er viele Jahre vorher aus finanziellen Gründen hatte veräußern müssen.

Kunitzer fand in seinen letzten Lebensjahren in Kuno Kallnbach einen Förderer seiner Kunst. Dieser erwarb 150 Bilder des Künstlers und stellt diese seither in seiner nach der Wende erworbenen Hotelanlage in Engelsbach bei Friedrichroda aus. Bei der Eröffnung dieser Ausstellung betonte der Marburger Kunsthistoriker Dr. Rainer Zimmermann, dass Friedrich Kunitzer zu den hervorragenden Vertretern der „heute weitgehend verschollenen Generation des expressiven Realismus“ gehöre.

Zimmermann war es auch, der das Vorwort zu einem 1996 im Worpsweder Verlag von Bernd Küster herausgegebenen und weitgehend von Kuno Kallnbach finanzierten Buch mit dem Titel Friedrich Kunitzer – Der Maler und sein Werk mit den Lebensdaten und zahlreichen, meist farbigen Bildern geschrieben hat.

Am 28. Februar 1998 – als öffentliche Geburtstagsfeier für den damals 91-jährigen – hatte die Tochter Barbara noch eine kleine Ausstellung seiner restlichen Ölbilder, Aquarelle und Zeichnungen im Seniorenstift in Katzenelnbogen ausgerichtet, wo der Künstler nach dem Tode seiner Frau Tamara im Herbst 1996 lebte. Vierzehn Tage später – am 14. März 1998 – verstarb der Künstler in diesem Seniorenstift und mit ihm versiegte eine Quelle, die einen unerschöpflichen Erzählungsfluss und einen malerischen Erinnerungsdrang besaß. Eine große Trauergemeinde erwies Friedrich Kunitzer die letzte Ehre.

Lit.: Außer den bereits genannten Veröffentlichungen zahlreiche Beiträge in den „Jahrbüchern Weichsel-Warthe“, so Friedrich Kunitzer, ein Grimmelshausen unserer Tage (Peter Nasarski, Jahrbuch 1974). – Mein Weg in ein Traumtal an der Lahn (Tamara Kunitzer/Jahrbuch 1980). – Friedrich Kunitzer stellt in Baku aus (Jahrbuch 1985). – Ergebnisse einer Skizzensammlung (Friedrich Kunitzer/Jahrbuch 1993). – Friedrich Kunitzer ein Denkmal gesetzt/Gemäldesammlung aus Kördorf jetzt in Thüringen (Karl Bauer/Jahrbuch 1995). – Eines Malers Weg in die Vergangenheit/Zur Kunst Friedrich Kunitzers (Rainer Zimmermann/Jahrbuch 1997). – Von mir über mich (Friedrich Kunitzer/Jahrbuch 1997). – Abschied von Friedrich Kunitzer – Ein Leben im Dienste der Kunst (Peter Nasarski/Jahrbuch 1999), Dem Strom der Geschichte eine Insel abgetrotzt – Eine Würdigung zum 100. Geburtstag von Friedrich Kunitzer (Karl Bauer/Jahrbuch 2007).

Bild:Privatarchiv des Autors.