Biographie

Kutschera, Engelbert

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Opernsänger
* 6. August 1930 in Gleiwitz/Oberschlesien
† 1. November 2013 in Bielefeld

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Schon im frühen Kindesalter wurde Engelbert Kutschera als überdurchschnittlich musikalisch veranlagt beurteilt. Er zeichnete sich insbesondere durch eine schöne, hellklingende Knaben- bzw. Sopranstimme aus.

Als er 10 Jahre alt war, kaufte der Vater trotz bescheidener finanzieller Mittel für ihn ein Hohner-Club-Akkordeon und sorgte für einen gewissenhaften Unterricht an einer renommierten Musikschule in Gleiwitz. Fleißiges Üben folgte und so konnte Engelbert Kutschera sich schon mit 14 Jahren in öffentlichen Konzerten solistisch beweisen.

In einer Weihnachtsveranstaltung für schwerstverwundete Soldaten im Dezember 1944 trat Engelbert Kutschera sowohl als Instrumental- als auch Gesangssolist auf. Im ersten Teil sang er das Lied “Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein” mit der bekannten Sängerknaben-Koloratur und im zweiten Teil “Wovon kann der Landser denn schon träumen”, ein von dem damals populären Wunschkonzert-Sänger Wilhelm Strienz oft zu hörendes Lied. Dieser mühelose Übergang vom Sopran zum Bass machte auf den anwesenden Musikdirektor des Gleiwitzer Theaters einen solchen Eindruck, dass er sich anbot, für eine baldige musikalische Gesamtausbildung des Jungen bei den Regensburger Domspatzen Sorge zu tragen.

Doch schon drei Wochen später, als die Russen mit dem Einmarsch in Gleiwitz erstmals deutschen Boden in Schlesien eroberten, geriet der Lebensweg von Engelbert Kutschera aus der Bahn. Bereits ab 1943 zwangsweise zum Sanitätshelfer und Polizeimelder ausgebildet, kam er in dramatischer Folge in russische und polnische Gefangenschaft und erlebte dort entwürdigende Demütigungen sowie Kälte und Hunger, auch die zügellose Vergewaltigung von Frauen und Mädchen. Durch eine riskante Flucht konnte er  schließlich entkommen und war danach ein halbes Jahr lang nur nachts in westlicher Richtung unterwegs, bis er endlich durch glückliche Umstände sicheres Terrain erreichte.

Doch noch ein weiteres Jahr sollte vergehen, bis er dank der Hilfe eines Pfarrers in Bielefeld-Brackwede Aufnahme in einer Pflegefamilie fand und dann nach körperlicher und seelischer Wiedererstarkung die sich ihm bietende Möglichkeit nutzte, eine Ausbildung mit dem Ziel des Innenarchitekturstudiums zu beginnen.

Schon bald ergaben sich am neuen Wohnsitz erste Kontakte zu vertriebenen Künstlern. Dabei nahm die aus Breslau stammende Konzertpianistin Wally Büttner einen herausgehobenen Platz für den Heranwachsenden ein. Sie war ihm mütterliche Freundin und zugleich Mittlerin künstlerischer Werte. Als ausgezeichnete Klavierpädagogin und Liedbegleiterin hatte sie wesentlichen Anteil daran, dass ihr Schützling nach all seinen traumatischen Erlebnissen wieder Freude am Singen gewann.

Bei einem Freizeitbummel durch Bielefeld entdeckte Engelbert Kutschera eines Tages ein Plakat mit dem Hinweis: “Musikalische Sänger und Sängerinnen für ein Ensemble gesucht.” Das weckte sein Interesse und er meldete sich bei dem am Theater verpflichteten Heldenbariton Kurt Theo Ritzhaupt, der ihn nach einem Vorsingen sofort in den Kreis seiner Gesangschüler aufnahm.

Nur drei Monate später fand die erste Bühneneignungsprüfung nach dem Kriege am Bielefelder Theater stattt. Obwohl 1 ½ Jahre Gesangunterricht die Vorbedingung für ein Vorsingen waren und die meisten Anwärter infolge der Kriegsjahre eine viel längere Zeit Unterricht erhalten hatten, wurde Engelbert Kutschera von seinem Gesanglehrer versuchsweise mit angemeldet. 27 Personen sangen vor, drei bestanden und von diesen schnitt Engelbert Kutschera am besten ab. Der die Prüfung leitende Musikdirektor Prof. Hans Hoffmann unterzog ihn am folgenden Tag musikalisch und sängerisch nochmals einer eingehenden Beurteilung und riet ihm abschließend zur künstlerischen Ausbildung. Diesen Schritt allerdings überlegte Engelbert Kutschera sich reiflich und erst, nachdem er seine Befähigung durch weitere Gesangspädagogen bestätigt erhalten hatte, folgte er den Empfehlungen.

Das Schauspiel- und Musikstudium begann zunächst in Essen, wurde kurzzeitig in Hannover fortgesetzt. Es  folgte in Hamburg die mehrjährige breitgefächerte Ausbildung bei dem ehemals ersten Helden-Bariton der Semper-Oper in Dresden, Herrn Ks. Dr. Waldemar Staegemann. Das Geld für das Studium musste Engelbert Kutschera allerdings allein verdienen, selbst Arbeiten in einer Ziegelei und am Hafen gehörten dazu, bevor er für die Hörerforschung tätig wurde und es dort bis zum Chefinterviewer brachte.

Schon während des Studiums ergaben sich erste Verpflichtungen für Kirchenkonzerte, Oratorien und Liederabende. Nach erfolgreicher Abschlussprüfung zur Bühnenreife an der Staatsoper in Hamburg setzte Engelbert Kutschera dennoch seine Studien bei Herrn Dr. Staegemann fort, um allen Erfordernissen einer Sängerlaufbahn für Lied, Oratorium und Oper gerecht zu werden, dies auch eingedenk der durch Herrn Dr. Staegemann vermittelten klassischen italienischen Gesangsmethode und -ausbildung, die eine Lehrzeit von mindestens 6 Jahren vorsieht.

Erste Gehversuche auf der Bühne wurden durch Verpflichtungen am Operettenhaus in Hamburg gefördert und in einem Fernsehwettbewerb “Wer will, der kann” wurde Engelbert Kutschera erster Preisträger.

EK König PhilippNach Abschluss des Studiums folgten Engagements an Theatern des In- und Auslandes als 1. seriöser Bass und 1. Bassbuffo, so in Krefeld-Mönchengladbach, Koblenz, Detmold, Wuppertal, Zürich, Gelsenkirchen, Saarbrücken, Bielefeld.  Nur einige seiner Partien seien hier genannt: “König Philipp II.” in Don Carlos/G. Verdi, “Figaro” in Figaros Hochzeit/W.A. Mozart, “Osmin” in der Entführung aus dem Serail/W.A. Mozart, “Sarastro” in der Zauberflöte/W.A. Mozart, “Fürst Gremin” in Eugen Onegin/P. Tschaikowsky, “Kaiser Valentiniano” in Ezio/G.F. Händel. In zahlreichen Kritiken lobten begeisterte Rezensenten die außergewöhnliche stimmliche Präsenz und Ausdrucksstärke sowie das schauspielerische Element von Engelbert Kutschera.

Auch die Konzerttätigkeit mit dem gesamten Spektrum der Oratorien, Passionen, Bach-Kantaten uvm. sowie anspruchsvolle Liederabende nahmen einen bedeutenden Raum ein.

Zahlreiche Lied- und Konzertaufnahmen auf Tonträgern sowie Mitschnitte von Opern entstanden im Verlauf der Jahre. Die enge Verbindung zur schlesischen Heimat und damit zur Kultur des ehemals deutschen Ostens allgemein spielte bei der Auswahl von Lied- und Konzertprogrammen für Engelbert Kutschera häufig eine wesentliche Rolle, siehe dazu die homepage des Künstlers, in der nachzulesen ist, dass u.a. zu dem im oberschlesischen Lubowitz geborenen Dichter Joseph von Eichendorff 39 Liedaufnahmen vorhanden sind.

Eine künstlerisch besonders prägende Zeit von mehr als 8 Jahren waren die Liedeinspielungen in London mit Graham Johnson am Flügel, einem Begleiter von Weltrang. Dabei fanden vor allem Gedichtvertonungen der Komponisten Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms, Ludwig van Beethoven, Hugo Wolf, Gustav Mahler und Richard Strauss Berücksichtigung.

Dass das Ehepaar Kutschera als festen Wohnsitz Bielefeld wählte, war letztlich eine Folge des nach dem Kriege in Bielefeld-Brackwede positiv Erlebten.

Die Stiftung des Ehepaares Engelbert und Winifried Kutschera dient dem Ziel der Pflege des deutschen Liedes sowie der Musik und Kunst allgemein.

Abb: Porträt und Engelbert Kutschera als König Philipp II. in der Oper „Don Carlos“/G. Verdi (Privatbesitz)

Elisabeth von Milow