Biographie

Lam, Friedrich

Herkunft: Ungarn
Beruf: Pädagoge, Schriftsteller
* 13. Mai 1881 in Kesmark
† 27. Dezember 1955 in Budapest

Friedrich Lam wurde am 13. Mai 1881 in dem Zipser Städtchen Kesmark als Sohn des Rechtsanwalts Dr. Friedrich Lam geboren. Seine Ahnenreihe läßt sich bis auf Sebastianus Ambrosius Lam (1554-1600) zurückverfolgen, diesen einst berühmten Humanisten im ehemaligen Oberungarn, der nicht so sehr als Verfasser geistlicher Lieder, sondern vielmehr als eifriger Schriftsteller der damaligen theologischen Literaturpolemik im europäischen Blickwinkel stand. Die Vorliebe für wissenschaftliche Forschung, Literatur und alles Schöngeistige hatte Friedrich Lam entschieden seinem Großvater mütterlicherseits, Hugo Payer, zu verdanken. Dieser zunächst Lehrer, später Bankdirektor und Verfasser des gediegenen bibliografischen Werkes „Bibliotheca Carpathica“, genoß großes Ansehen und leitete die Erziehung des früh verwaisten Fritz, wie der Dichter in seiner Kindheit und in Freundeskreisen noch im Alter genannt wurde. Und da der liebe Großvater eine recht beachtliche Bücherei besaß, entwickelte der ihm anvertraute junge Lam sehr bald einen außergewöhnlichen Leseeifer und lieh so manches Buch auch seinen Spielgefährten aus. Was aber Fritz und seine Kameraden an begehrenswertem Lesestoff nicht im Hause des Großvaters vorfanden, stand ihnen gewöhnlich in der reich ausgestatteten Lyzealbibliothek zu Verfügung. Wie sehr Friedrich Lam diese glückliche Zeit schätzte, wie sehr er seinem Großvater für Erziehung, Anregungen und allerlei Erlebnisse zeitlebens dankbar blieb, davon zeugt seine Dichtung auf Schritt und Tritt; in so manchem Gedicht hat er der ehrwürdigen Gestalt des „Großi“ ein poetisches Denkmal gesetzt.

Aus der Stille und Geborgenheit des Elternhauses führte Lams Weg in die Welt hinaus. Nach dem Besuch der Volksschule (1887-1891) und des Gymnasiums der Vaterstadt (1891-1899) widmete sich Lam dem Studium der Philologie auf der Universität in Budapest. In den Jahren 1899 bis 1903 vertiefte er sich in die Geheimnisse und Probleme der Germanistik und Romanistik; besonders die sprachwissenschaftlichen und literaturgeschichtlichen Vorlesungen Gustav Heinrichs vermittelten ihm wertvolle Einsichten und Kenntnisse. Mit der Dissertation „Die Geschichte des deutschen Theaters in Raab (Györ)“ erwarb er summa cum laude den Doktortitel.

Lam übte seinen Lehrberuf als Neuphilologe an mehreren höheren Schulen Ungarns aus: in Fünfkirchen (1904-1906), in Erlau (1907-1908), an einem Gymnasium für Mädchen in Raab (1908-1935) und zuletzt an einer Oberrealschule in Budapest. In den Sommerferien führten ihn Reisen nach Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, nach der Schweiz und immer wieder einmal in seine Zipser Heimat, der seine ganze Liebe gehörte – besonders dem trauten Städtchen Kesmark und den Wäldern und steilen Gipfel der Hohen Tatra. Auch die Vermählung mit einer Berufskollegin, will sagen: der glückliche Ehebund mit seiner Lebensgefährtin, spornte ihn zu immer neuem Schaffen an, was in zahlreichen Anerkennungen seinen überzeugenden Ausdruck fand.

Er wurde Fachberater und später Fachinspektor für Französisch an den höheren Schulen der Hauptstadt, ferner Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Akademien und Kulturinstitute. Als er 1938 in den Ruhestand trat, wurde ihm noch der Amtstitel eines Oberstudiendirektors verliehen. Und er blieb auch weiterhin rastlos tätig, physisch rüstig und geistig regsam, bis er am 27. Dezember 1955 im Alter von 74 Jahren – fern seiner Zipser Heimat, nach der er sich zeitlebens gesehnt und die er 1937 zum letzten Male besucht hatte – plötzlich für immer von uns Abschied nahm.

In fremder Umwelt, aber in dem zu jener Zeit dem Deutschtum zugeneigten und kulturell eng verbundenen Ungarn hatte Friedrich Lam seine Wahlheimat gefunden. Und wie mancher Schweizer oder Elsässer mit zwei Sprachen, der deutschen und französischen, aufwächst, so erscheint es wohl verständlich, daß Lam das Madjarische vollkommen beherrschte und in dieser Sprache gewandt zu schreiben fähig war; seine wissenschaftlichen Studien sind sogar zu größten Teil madjarisch verfaßt. Aber in der Dichtung ist er seiner deutschen Muttersprache treu geblieben.

Die ersten Gedichte Friedrich Lams erschienen in Zeitungen und Zeitschriften, und zwar in der Kesmarker „Karpatenpost“, im „Zipser Boten“ und in der „Zipser Heimat“, aber bald auch in der „Wiener Illustrierten“, im „Sonntagsblatt“, in der „Neuen Post“ und in den einst viel gelesenen Zeitschriften „Stern und Blumen“, „Badenia“, „Moderne Welt“ und anderen.

Von seinen Gedichtsammlungen ist zunächst „Zipser Treue“ (1921) zu nennen. Das Bändchen enthält lyrische Gedichte, die seine Heimat besingen und die durch die Ereignisse von 1918 veränderten Verhältnisse geißeln, d. h. die tschechische Aggression und den skrupellosen Dünkel der neuen Machthaber anprangern und der Lächerlichkeit preisgeben. Doch finden wir in der ersten poetischen Blütenlese Lams außer den Zeitgedichten auch schon alle jene Motive, die uns in viel stärkerem Maße seine nächste Gedichtsammlung bietet: „Popperwasser“ (Verlag Paul Sauter in Kesmark, 1924). Darin wird vor allem das Bild seiner Vaterstadt in den Blickwinkel gerückt: das 1460-1470 erbaute Thököly-Schloß, das aus dem 16. Jahrhundert stammende Rathaus, die barocke alte Holzkirche, die ehemaligen Lehrer des Gymnasiums, der Schloßberg und Jerusalemberg, die Popper mit ihrem „Fluder“ und der seichte Leibitzbach, der Meesepark und das traditionelle Kesmarker Schützenfest. Viele Gedichte verherrlichen die schöne Landschaft, besonders das schroffe Felsengeklüft der Tatra. Während Balladen düstere Stoffe und Heimatsagen behandeln, erfreuen einige Mundartgedichte durch heitere Episoden. Doch auch subjektive Reflexionen und stimmungsvolle Genrebildchen erlangen überzeugenden Ausdruck. Es ist nicht verwunderlich, daß die Gedichte der Sammlung „Popperwasser“ seinerzeit in der alten Heimat freudigst begrüßt, viel gelesen und sehr geschätzt, vor allem aber bei den verschiedensten Anlässen vorgetragen wurden. Es dürfte kein Zipser Dichter vor Lam jemals so viel Anklang und einen solchen Widerhall bei jung und alt gefunden haben.

Weniger bekannt dagegen wurde sein Bändchen „Marie“ (1925). Mit Unrecht. – Was war denn Ursache der Verkennung? Lag es am Sujet oder an der Form? Oder störte manche Kreise, daß Lam zum katholischen Glauben wechselte? Seine Gedichtsammlung behandelt in 50 Sonetten das Marienleben. Damit weist sich Lam auch als formgewandter religiöser Dichter aus.

Aber mit diesen drei Gedichtsammlungen ist noch lange nicht alles, was der Dichter veröffentlicht hat, genannt; wir müssen uns jedoch mit Andeutungen hier begnügen. Es gibt einige Erzählungen von Lam, deren Handlung in seiner deutschen Heimat spielt, doch überaus groß ist die Anzahl seiner Feuilletons, Buchbesprechungen, literarischen und theatergeschichtlichen Abhandlungen. Er schrieb über Ferdinand Raimunds Bedeutung für das deutsche Theater in Raab, den Romantiker Clemens Brentano, Charles Baudelaires berühmte Gedichtsammlung „Les Fleurs du mal“ (Blumen des Bösen), eine grundlegende Studie über das Schrifttum der Gründler in der Unterzips und den berühmten Röntgenologen Bela Alexander als Zipser Mundartdichter, ferner einen Essay über die Zips im Romanwerk des bekannten ungarischen Schriftstellers Maurus Jókai u. a. m. Und Friedrich Lam war außerdem ein sehr produktiver und gewandter Übersetzer. Hier ist nicht nur an den (mit Heinrich Weißling) ausgezeichnet übersetzten, erst 1958 – somit nach dem Tode des Dichters – in Berlin erschienenen umfangreichen antimilitaristischen Kriegsroman „Die Liebe der Armen“ (Szegények szerelme) von Peter Veres zu denken. Vielmehr gilt es, an seine Übersetzungen aus der ungarischen Lyrik zu erinnern. Lam übersetzte, was Rang und Namen hatte – nach seiner eigenen Angabe rund 1.800 Gedichte.

Im Gedichtband „Unvergessene Heimat“ (1966; Stuttgart) hat Dr. Aurel Emil Emeritzy mit viel Liebe Gedichte aus dem Nachlaß von Friedrich Lam zusammengefaßt, den er sichtete und aus 926 hochdeutschen und 20 mundartlichen Gedichten eine gute Auswahl von 186 Gedichten traf. Nach den Datierungen dürften diese Gedichte von 1933 bis 1939 vom Autor geschrieben worden sein. Es ist anzunehmen, daß in den Bücherschränken vieler Landsleute dieser wertvolle Band zu finden ist.

Ein Zeichen, daß Friedrich Lam heute wieder in seiner Zipser Heimat geachtet wird, ist der Friedrich-Lam-Lesewettbewerb, der seit 1998 vom Karpatendeutschen Verein in der Region Oberzips unter Leitung des Regionalvorsitzenden Bela Wagner durchgeführt wird. Wagner ist selbst Lehrer in Kesmark und läßt jedes Jahr in den Volksschulen in Poprad, Kesmark, Hopgarten und Zipser Neudorf von den Schülern deutsche Texte in Poesie und Prosa in drei Alterskategorien im Wettbewerb vortragen. Es werden Texte aus der heimatlichen und der deutschen Literatur ausgewählt. Die Sieger nehmen dann an einem Bezirkswettbewerb teil. In den letzten Jahren beteiligten sich daran auch die Gymnasien in zwei Kategorien. Die Sieger erhalten ein schönes Diplom mit einem Bild von Friedrich Lam und Buchpreise aus der deutschen Literatur. Dieser Wettbewerb erfreut sich einer immer größer werdenden Beliebtheit, nahmen doch im Jahre 2003 schon über 90 Kinder daran teil. Es ist ein gutes Beispiel, wie an die Überlieferung deutscher Kultur in einer Region angeknüpft werden kann, um im besten Sinne Sprachpflege zu üben.

Bild: Privatarchiv des Autors.

Hans Kobialka