Biographie

Lasker-Wallfisch, Anita

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Cellistin, KZ-Überlebende
* 17. Juli 1925 in Breslau/ Niederschlesien

Anita Lasker aus Breslau kam im Dezember 1943 als verurteilte „Kriminelle“ ins Konzentrationslager Auschwitz. Dadurch entging sie, wäre sie mit einem jüdischen Sammeltransport eingetroffen, der Selektion an der Rampe und womöglich dem sofortigen Tod. So aber wurde sie dem Auschwitzer Mädchenorchester zugeteilt, wo sie, bis zur Deportation im November 1944 nach Bergen-Belsen, Cello spielte. Das Mädchenorchester war im Juni 1943 gegründet worden. Wer dort aufgenommen wurde, war vor Vernichtung geschützt. Dirigentin war von August 1943 bis zu ihrem Tod im April 1944 die Violinistin Alma Rosé, die eine Nichte des jüdischen Komponisten Gustav Mahler (1860-1911) war. Ihr Vater Arnold Rosé (1863-1946) war Konzertmeister der Wiener Hofoper und Dirigent der Wiener Philharmoniker. Er floh nach der Besetzung Österreichs nach England und starb in London. Das Mädchenorchester spielte bei der Ankunft von Häftlingen, die sofort in die Gaskammer geführt wurden, und beim Aus- und Einmarsch der Arbeitskolonnen.

Anita Lasker und ihre beiden älteren Schwestern Renate (1924-2021) und Marianne (1921-1952) waren Töchter des Breslauer Rechtsanwalts Dr. Alfons Lasker und seiner Ehefrau Edith, gebo­rene Hamburger, einer Violinistin. Die aus dem schlesischen Judentum stammende Familie war assimiliert, bildungsbürgerlich orientiert und areligiös. Die Eltern wurden 1942 nach Polen deportiert und dort umgebracht. Die älteste Tochter Marianne konnte 1939 nach London emigrieren, die beiden jüngeren mussten in einer Breslauer Papierfabrik arbeiten. Sie unternahmen mit gefälschten Papieren einen Fluchtversuch ins Ausland, wurden aber schon auf dem Breslauer Hauptbahnhof gestellt, verhaftet und wegen Urkundenfälschung am 5. Juli 1943 verurteilt.

Anita Lasker wurde im Dezember 1943 aus einem Breslauer Gefängnis nach Auschwitz gebracht, wo sie 1944 ihre Schwester Renate wiedertraf. Als im November 1944 die „Rote Armee“ den Reichsgrenzen bedrohlich nahekam, wurde das Konzentrationslager aufgelöst und die Insassen nach Bergen-Belsen überführt. Dort, wo wenige Wochen zuvor das jüdische Mädchen Anne Frank (1929-1945) an Fleckfieber gestorben war, wurden die beiden Schwestern am 15. April 1945 von britischen Truppen befreit, im Jahr darauf wanderten sie nach England aus, wo ihre Schwester Marianne lebte.

Anita Lasker heiratete später in London den Pianisten Peter Wallfisch (1924-1993), der auch aus Breslau stammte; Renate Lasker arbeitete als Journalistin, heiratete den deutschen Journalisten Klaus Harpprecht (1925-2016) und lebte bis zu ihrem Tod in Frankreich. Sie hat über ihre Erlebnisse den Roman Familienspiele (1972) veröffentlicht, während ihre Schwester Anita ihre Erinnerungen unter dem Titel Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz (1997) niedergeschrieben hat. Sie hielt am 31. Januar 2018 im Deutschen Bundestag in Berlin eine Rede zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und wurde am 3. September 2019 „für ihren Einsatz gegen Judenhass und Ausgrenzung“ von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem „Deutschen Nationalpreis“ ausgezeichnet. Am 15. August 2020 hielt sie auf den „Salzburger Festspielen“ eine Rede über das Jahrhundert. Am 21. Mai 2021 wurde ihr in der Deutschen Botschaft in London das Bundesverdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Ihre 1958 geborene Tochter Maya Lasker-Wallfisch hat in ihrem Buch Briefe nach Breslau die Geschichte der jüdischen Familie Lasker in Schlesien aufgezeichnet.

Bild: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen.

Jörg Bernhard Bilke