Biographie

Lauterbach, Samuel Friedrich

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien), Posener Land
Beruf: Theologe, Historiker
* 30. Oktober 1662 in Fraustadt
† 25. Juni 1728 in Fraustadt

Unter den Fraustädter Pastoren nimmt Samuel Friedrich Lauterbach eine Sonderstellung ein: Keiner seiner Vorgänger oder Nachfolger hat eine so ungewöhnliche Doppelkarriere hingelegt: Vom Landpastor zum ranghöchsten Vertreter der lutherischen Kirche in Polen auf der einen und vom Fraustädter Lokalhistoriker über den Regionalhistoriker zum polnischen Nationalhistoriker auf der anderen Seite. Die Frage stellt sich: Wer war dieser Mann und was wollte er?

Geboren wurde Lauterbach am 30. Oktober 1662 in Fraustadt, das, hart an der Grenze zu Schlesien gelegen, seit 1343 zum Königreich Polen gehörte. Der Vater, Kaspar Lauterbach (1611-1695), war Schuhmacher, die Mutter, Anna geborene von Troy (1624-1709), stammte aus einer ursprünglich pommerschen Familie. Die Lateinschule besuchte Samuel Friedrich in Fraustadt, ab 1679 in Thorn. 1681 wechselte er auf das Gymnasium St. Maria Magdalena zu Breslau. Ab 28. April 1683 studierte er in Wittenberg. Nach dem Studium wurde er Auditor bei dem Theologen Johann Fabricius in Magdeburg. Nach Fraustadt zurückgerufen, erhielt er in seiner Heimatstadt 1687 die Stelle des Auditors, 1688 des Baccalaureus an der Lateinschule, am 14. Dezember 1691 die Pfarrstelle in Röhrs­dorf bei Fraustadt. Nachdem die Kirche in Röhrsdorf 1699 rekatholisiert worden war und Lauterbach seine Gemeinde verlassen musste, wurde er im Jahr 1700 Substitut des Diakonus Melchior Schön in Fraustadt, 1701 dessen Nachfolger, 1709 Pastor an der Kirche „Kripplein Christi“, 1717 Kreissenior, 1727 Generalsenior der lutherischen Kirchen in Großpolen. Wegen seiner altersbedingten Kränklichkeit hat er in diesem Amt allerdings nicht mehr sehr viel tun können. Am 24. Juni 1728 ist Samuel Friedrich Lauterbach in Fraustadt gestorben. Bei seinem Tod soll er 5.275 Predigten und 1.659 Begräbnis-Parentationen hinterlassen haben.

Verheiratet war Lauterbach in erster Ehe mit Anna Barbara Prüfer. Sie starb 1717. Der Sohn Johannes, der aus dieser Ehe hervorging, wurde am 17. Juni 1693 geboren. Er starb am 20. November 1758 als Diakonus in Zduny. Die zweite Ehe mit der Witwe Rosina Hoffmann geb. Kaerger, geschlossen am 21. November 1719, blieb kinderlos.

Von den Zeitgenossen, über Fraustadt und Polen hinaus, wurde Lauterbach vor allem wegen seiner historischen Arbeiten geschätzt. Und das wiederum besonders wegen seines Alterswerkes Pohlnische Chronicke, Oder Historische Nachricht von dem Leben und Thaten aller Hertzoge und Könige in Pohlen …, Franckfurth und Leipzig 1727, 796 Seiten. Sehr ungewöhnlich ist, dass es ein deutsch sprechender und schreibender Lutheraner war, der sich aufgerufen fühlte, eine polnische, ja, die erste Nationalgeschichte Polens überhaupt zu verfassen. Die im „Eingang“ des Werkes gegebene Begründung macht deutlich, dass Lauterbach als polnischer Patriot deutscher Sprache anzusehen ist. Es kränkt ihn, dass die Nachbarvölker, allen voran die Deutschen, auf die Polen hochmütig herabsehen und sehr viel Falsches und Ungerechtes über sie kolportieren. Demgegenüber möchte er sich zum Fürsprecher für seine Landsleute machen und als Einheimischer, Kenner und Nutznießer diesen Verächtern im übrigen Europa die Stärken und die Vorzüge der polnischen Geschichte und Wesensart vorstellen. Gleichzeitig macht er seinen eigenen Landsleuten klar, dass er vieles in ihrer Geschichte selbst sehr kritisch sieht. Unrecht, Blutvergießen, Verrat, Gewalttätigkeiten haben eine dunkle Spur in der polnischen Geschichte hinterlassen und sind aktuell wieder so allgegenwärtig präsent, dass man sich um Polen ernsthaft Sorgen machen muss. „GOtt verhüte nur […], dass (diese Dinge) […] nicht einmahl dem Fasse den Boden ausstoßen“. Noch ist es nicht zu spät. Noch kann sich Polen besinnen und zu seinen alten großen Tugenden zurückfinden. Darauf hofft Lauterbach und dazu will er mit der Pohlnischen Chronicke einen Beitrag leisten.

Es geht ihm aber auch um die Lutheraner. Lauterbach ist Royalist aus Überzeugung. Er will und fordert, dass der König die ihm zustehende Macht im Gesamtstaat auch wirklich wahrnimmt und sich gegenüber den Einzelinteressen, vor allem der römisch-katholischen Kirche gegenüber, durchsetzt, andererseits aber Minderheiten, wie etwa die Lutheraner, schützt, – ohne die Gewichtungen seines Königtums in Richtung Absolutismus oder absolute Monarchie zu verschieben. Diese Balance eines an die Verfassung gebundenen Königtums ist das Ideal, das Lauterbach vorschwebt. Dass es in der Praxis durchgehalten wird, hängt nicht nur, aber doch sehr stark auch von der Charakterstärke des jeweiligen Amtsinhabers ab.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich Lauterbach bei der Abfassung seiner polnischen Nationalgeschichte an den regierenden Personen orientiert. Angesichts der verfassungsmäßigen Stellung der Regenten bietet sich dieses Verfahren an. Zugleich eröffnet es die Möglichkeit, in jedem einzelnen Fall zu zeigen, wie weit der Herzog oder König der Verantwortung des Amtes gewachsen war oder warum er als Versager eingestuft werden muss. Dazu kommt, dass diese Darstellungsart ohnehin der auf Lebensbilder spezialisierten Arbeitsweise Lauterbachs entsprach. Dabei konnte und wollte er den Pastor nicht verleugnen. Das zeigt sich etwa darin, dass er sich bei seinen Wertungen ausdrücklich an den Zehn Geboten orientierte oder auch daran, dass er die Interessen der Evangelischen, deren offensive Darlegung und Verteidigung, immer im Blick hatte; – nicht isoliert, sondern immer im Rahmen des Gesamtstaates. Diese grundlegenden Absichten des Historikers und Pastors Lauterbach sind zusammengefasst in dem Satz, mit dem er sein Buch endet: „Ich schließe meine Polnische Herzogs- und Königshistorie mit diesem treuen Wunsche: Es gehe Polen wohl!“.

Heute ist Lauterbach nahezu vergessen. Das liegt hauptsächlich daran, dass er im Spätbarock lebte und seine Arbeitsweise dem von der Aufklärung bestimmten historisch-kritischen Denken nicht mehr vermittelt werden konnte. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass Lauterbach als Historiker durchaus ehrenwerte Ziele verfolgte und gerechterweise nicht einfach als „halb erbaulich, halb wissenschaftlich und eigentlich keins von beiden“ oder als „abgeschmackt“, abgetan werden kann, so wie es etwa Karl Völker im Jahr 1910 getan hat. Im Gegenteil, Lauterbach verdient es, trotz seiner Zeitgebundenheit und in seiner Begrenztheit deutlicher gesehen und angemessener gewürdigt zu werden.

Werke: Vita, Fama Et Fata Valerii Herbergeri. Das merckwürdige Leben, guter Nach-Ruhm, und seliger Abschied, Des theuren und um die Kirche GOttes hochverdienten Theologi, Hn. Valerii Herbergers, Weiland Predigers zur Fraustadt in Groß-Polen. Aus allerhand Schrifften und Nachrichten mit Fleiß und Treue aufgesetzt. Leipzig 1708. – Kleine Fraustädtische Pest-Chronika, Oder Kurtze Erzehlung, Alles dessen, was sich in wehrender Contagnion, von An. 1709. den 8. Jun. an, biß An. 1710. den 8. Febr. an diesem Orte zugetragen, aus eigener Anmerckung treulich beschrieben. Leipzig 1710 [polnisch u. d. T.: Mala wschowska kronika zarazy albo Krótkie streszczenie wszystkiego tego, co sie podczas trwania epidemii poczawszy od Roku Panskiego 1709, dnia 8 czerwca, do roku Panskiego 1710, dnia 8 lutego, w tej miejscowosci zdarzylo, na podstawie wlasnej obserwacji wiernie opisane przez Samuela Fryderyka Lauterbacha, kaznodzieje przy kosciele pw. Zlóbka Chrystusowego. Wschowa 2009]. – Fraustädtisches Zion. Das ist Historische Erzehlung desjenigen, Was sich von An. 1500 biß 1700 im Kirch-Wesen zu Fraustadt in der Cron Pohlen zugetragen, Dabey so wohl fernerer Bericht vom Kripplein Christi und den andern Lutherischen Kirchen allhier, als auch die Lebens-Beschreibungen aller Evangelischen Prediger dieses Ortes, samt denen Schul-Bedienten, und was inzwischen denck- und merckwürdiges vorgefallen, So dass es für den 2. Theil des ausgegangenen Lebens Valerii Herbergers, Welches zugleich umb ein gutes vermehret wird, dienen kan […]. Leipzig 1711. – Ariano-Socinismus olim in Polonia. Der ehemalige Polnische Socinismus, Wie er sich in diesen Landen eingeschlichen und ausgebreitet, welches ihre vornehmsten und bekandtesten Lehrer gewesen, deren 50. an der Zahl nach ihrem Leben und ausgegangenen Schrifften beschrieben werden, und wie er endlich völlig daraus vertilget worden, in einer Historischen Erzehlung gezeuget, dabey zugleich in der Vorrede eine kleine Schrifft, unter dem Nahmen eines Arianers, widerleget wird. Franck­furt/Leipzig 1725. – Pohlnische Chronicke, Oder Historische Nachricht von dem Leben und Thaten aller Hertzoge und Könige in Pohlen, von Lecho an bis auf jetzt glorwürdigst-Regierende Königliche Majestät Augustum II. Nebst ihren eigentlichen Bildnüssen, aus sehr vielen fleißig-nachgeschlagenen Geschicht-Büchern/ bey einer noch nicht habenden angenehmen Ordnung. Und in Acht unterschiedene Alter eingetheilet. Franckfurth/Leipzig 1727.

Lit.: Albert Werner und Johnnes Steffani, Geschichte der evangelischen Parochien in der Provinz Posen, Lissa 1904; zu Fraustadt S. 66-84. – Karl Völker, Der Protestantismus in Polen auf Grund der einheimischen Geschichtsschreibung, Leipzig 1910. – Adolf Warschauer, Die deutsche Geschichtsschreibung in der Provinz Posen, Posen 1911. – Arthur Rhode, Geschichte der evangelischen Kirche im Posener Lande, Würzburg 1956. – Robert Franz Arnold, Geschichte der Deutschen Polenliteratur von den Anfängen bis 1800, Halle/Saale 1900. Neudruck Osnabrück 1966. – Gotthold Rhode, Geschichte Polens. Ein Überblick, 3. Aufl. Darmstadt 1980. – Klaus Wetzel, Theologische Kirchengeschichtsschreibung im deutschen Protestantismus 1660-1760. Diss. theol. Mainz, gedruckt Gießen/Basel 1983. – Christian-Erdmann Schott, Der Fraustädter Pastor Samuel Friedrich Lauterbach (1662-1728) als Historiker, in: Im Dienst der Schlesischen Kirche. FS für Gerhard Hultsch zum 75. Geburtstag, Lübeck 1986 S. 53-68. – Sergiusz Sterna-Wachowiak, Nagrobek Samuela Fryderyka Lauter­bacha, in: Przyjaciel Ludu 3, 1988, S. 14-17. – Ders., Intelektualisci Wschowy, in: Przyjaciel Ludu 5,1988, S. 5-8. – Ders., Nagrobek pastora, in: Tytul 2, 1991, S. 149-166. – Joachim Rogall, Die Deutschen im Posener Land und in Mittelpolen, München 1993. – Christian-Erdmann Schott, Fraustadts Bedeutung für die Kirchengeschichte, in: JBSK 75/1996 S. 23-44. – Aleksander Wilecki, Die Fraustädter Pest 1709/10 als literarischer Stoff in den Werken Samuel Friedrich Lauterbachs und Ruth von Ostaus, Wrocław 1997. – Jörg K. Hoensch, Geschichte Polens, 3. Aufl. UTB Taschenbuch 1998. – Christian-Erdmann Schott, Valerius Herberger (1562-1627), in: Schlesische Lebensbilder Band VII, Stuttgart 2001 S. 30-35. – Ders., Der erste polnische Historiograph in deutscher Sprache. – Samuel Friedrich Lauterbach (1662-1728), in: BOKG 4, 2001 S. 12-27. – Ders., S. F. Lauterbach (1662-1728), in: Schlesische Lebensbilder Bd. XI., In­singen 2012, S. 195-204.

Bil.: J. Dziubkowa, Vanitas. Portret trumienny na tle sarmackich obyczajów pogrzewowych, Poznan 1997, S. 101.

Christian-Erdmann Schott