Biographie

Leese, Kurt Rudolf Hermann Anton

Herkunft: Pommern
Beruf: Theologe, Religionsphilosoph
* 6. Juli 1887 in Gollnow/Hinterpommern
† 6. Januar 1965 in Hamburg

Der Vater von Kurt Leese war ein Jurist, der aus Gollnow als Regierungsbeamter nach Straßburg berufen wurde, wo der Sohn ein protestantisches Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur (1906) studierte der junge Leese in Bethel, Rostock, Straßburg und Berlin Theologie und Philosophie. Beendet wurde dies mit theologischen Prüfungen sowie einer 1912 in Kiel angenommenen Lizentiatenschrift über Ludwig Feuerbachs Kritik am Christentum. Als evangelischer Pfarrer war Leese zunächst in Danzig und Berlin eingesetzt, bevor er eine Stelle in Kirch Baggendorf, Kreis Grimmen (Vorpommern), übernahm. Seine dortige Tätigkeit wurde 1915 bis 1918 durch einen Kriegseinsatz unterbrochen, währenddessen er zeitweilig als Feldgeistlicher wirkte. Im Jahre 1921 erreichte er die Berufung an eine Kirchengemeinde in Hamburg; für ihn war dies mit der Hoffnung verbunden, dort seinen wissenschaftlichen Interessen leichter nachgehen zu können.

Bereits 1922 erschien ein Buch von Leese über Hegels Geschichtsdenken, was die philosophische Richtung seines Engagements bestätigte. Im Jahre 1927 wurde er an der Hamburger Universität im Fach Philosophie promoviert, dies mit der Arbeit Von Jakob Böhme zu Schelling. Eine Untersuchung zur Metaphysik des Gottesproblems. Auf ihr Verhältnis zur Religion hin befragt, blieben die deutsche idealistische Philosophie und die gleichzeitige Dichtung (Goethe, Hölderlin, Novalis) auch künftig im Fokus der Forschungen von Leese. Außerdem gelangte die Lebensphilosophie (Nietzsche, Ludwig Klages) hinsichtlich ihrer Relevanz für Glaubensfragen in sein Aufmerksamkeitsfeld. 1928 habilitierte er sich am Hamburger Philosophischen Seminar und wurde damit Privatdozent. Sein dominierendes wissenschaftliches Interesse, nicht weniger aber eine zunehmende Ablehnung von Inhalten der kirchlichen Lehre und von Praktiken seines Pfarramtes führten dazu, dass sich Leese 1932 vorzeitig pensionieren ließ. Er blieb aber engagierter Christ und Kirchenmitglied.

Den bestimmenden Antrieb im Denken von Leese bildeten die Entfremdung der Menschen vom Glauben und die Unfähigkeit der Theologie, darauf angemessene Antworten zu geben. Seine eigenen Auffassungen dazu entwickelte er u.a. in dem seinerzeit stark beachteten Buch Die Krisis und Wende des christlichen Geistes von 1932 und in seinem systematischen Hauptwerk Die Religion des protestantischen Menschen von 1938. Schonungslos setzte er hier die Sonde der Kritik an Elemente der kirchlichen Tradition. Dem modernen Menschen will er einen freien, weltzugewandten Protestantismus nahebringen, der plausibel ist. Dabei verdeutlicht Leese aber auch, dass Glauben eine Sache des Gefühlserlebens darstellt. Die Grundelemente seiner Idee des protestantischen Menschen bilden die selbstlose christ­­liche Liebe, das Wagnis des Glaubens, wie es Luther ver­kündet hatte, das Freiheitspathos des Idealismus und die Wertschätzung des natürlichen Lebens, das seitens der traditionellen Theologie kaum beachtet worden war. Leese sah Gott nicht nur im Wort, sondern auch in der Schöpfung offenbart. Ebenso wie sein wichtigster Gesprächspartner, der große Theologe Paul Til­lich, rehabilitierte er die mystische Gotteserfahrung.

Ein wahrhaftiger Mensch wie Leese konnte den Nationalsozialisten nicht genehm sein. Die Auffassung, dass Religion rassisch bestimmt und Jesus ein Arier sei, lehnte er ab. Kritisch setzte er sich mit der „Deutschen Glaubensbewegung“ auseinander, die im Christentum eine artfremde Religion sah. Während er noch 1935 zum außerordentlichen Professor ernannt wor­den war, entzog man ihm 1940 die Lehrbefugnis. Nach dem Untergang der Nazidiktatur wirkte er wieder als Professor der Philosophie in Hamburg. Seine Lehr- und Publikationstätigkeit setzte er auch nach der Entpflichtung im Jahre 1955 fort. Leeses kritische Haltung gegenüber der etablierten Theologie und der Kirche musste jedoch seinen Einfluss in diesem Bereich stark begrenzen. Seine gedankenreichen Arbeiten bleiben aber sehr beachtenswert, und Menschen, die inner- oder außerhalb der Kirche um eine religiöse Haltung ringen, vermag Kurt Leese auch heute viel zu bieten.

Werke: Die Prinzipienlehre der neueren systematischen Theologie im Lichte der Kritik Ludwig Feuerbachs, Leipzig 1912. – Die Geschichtsphilosophie Hegels, auf Grund der neu erschlossenen Quellen untersucht und dargestellt, Berlin 1922. – Philosophie und Theologie im Spätidealismus. Forschungen zur Auseinandersetzung von Christentum und idealistischer Philosophie im 19. Jahrhundert, Berlin 1929. – Die Krisis und Wende des christlichen Geistes. Studien zum anthropologischen und theologischen Problem der Lebensphilosophie, Berlin 1932. – Die Religion des protestantischen Menschen, Berlin 1938, 2. Aufl. München 1948. – Die Religionskrisis des Abendlandes und die religiöse Lage der Gegenwart, Hamburg 1948. – Ethische und religiöse Grundfragen im Denken der Gegenwart, Stuttgart und Düsseldorf 1956.

Lit.: Hans-Joachim Mähl (Hrsg.), Erneuerung der Religion im Zeichen der Humanität. Unveröffentlichte Briefe Albert Schweitzers an Kurt Leese, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte 4 (1997), S. 82-113. – Christian Bendrath, Ludwig Klages als Ideengeber für die evangelische Theologie, in: Michael Großheim (Hrsg.), Perspektiven der Lebensphilosophie. Zum 125. Geburtstag von Ludwig Klages, Bonn 1999, S. 119-155. – Rainer Hering, Leese, Kurt, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 17 (2000), Sp. 826-848. – Anton Knuth, Der Protestantismus als moderne Religion. Historisch-systematische Rekonstruktion der religionsphilosophischen Theologie Kurt Leeses (1887-1965), Frankfurt a.M. 2005.

Bild: Kurt Leese um 1960, in: Knuth, wie oben, S. 26.

Norbert Angermann, 2017