Biographie

Lehndorff, Vera Gräfin von („Veruschka“)

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Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Schauspielerin, Malerin, Fotografin, Fotomodell
* 14. Mai 1939 in Königsberg i.Pr.

In den 1960er Jahren avancierte die „preußische Gräfin“ zum ersten deutschen Topmodel. Doch der schöne Schein trog. Tatsäch­lich war die junge Vera von Lehndorff ein innerlich zerrissener Mensch, stets auf der Flucht vor sich selbst.

Die Kindheitsidylle währte nur kurz. Geboren am 14. Mai 1939 in Königsberg, wuchs Vera von Lehndorff auf dem ostpreußi­schen Schloss Steinort (heute poln. Sztynort) auf, Stammsitz der Familie seit Anfang des 16. Jahrhunderts. Während ihr Vater Heinrich von Lehndorff (1909-1944) den Gutsbetrieb leitete, kümmerte sich Mutter Gottliebe (1913-1993) um die drei kleinen Töchter, von denen Vera die zweitälteste war.

Direkter Nachbar der Lehndorffs wurde 1942 Außenminister Joachim von Ribbentrop. Er bezog einen Flügel des Schlosses, um möglichst nah an Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“ zu wohnen, das nur wenige Kilometer weit entfernt lag. Für die Mädchen war er zunächst so etwas wie der „nette Onkel“, der sich gern mit den kleinen Gräfinnen fotografieren ließ. Ansonsten scheint Politik auf Schloss Steinort kein großes Thema gewesen zu sein, auch wenn Heinrich von Lehndorff als Wehrmachtsoffizier Mitglied der NSDAP war.

Wie Vera von Lehndorff später berichtete, soll ein furchtbares Verbrechen dazu geführt haben, dass ihr Vater zum Gegner des NS-Regimes wurde. Er hatte mit ansehen müssen, „wie Judenkinder an Laternenpfählen erschlagen wurden. Und dann kam er nach Hause und hat zu meiner Mutter gesagt: ‚Wir müssen sofort handeln.‘ Und dann sind sie in den Widerstand gegangen und meine Mutter auch mit. Sie war eingeweiht und einverstanden.“ Und so wurde Schloss Steinort zu einem geheimen Treffpunkt des Widerstands, in dem Heinrich von Lehndorff als Verbindungsoffizier zu Claus Schenk Graf von Stauffenberg fungierte.

Doch als das geplante Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 misslang, war für die Lehndorffs nichts mehr wie zuvor. Die Ver­schwörer wurden verfolgt, verhaftet und zum Tode verurteilt, auch Veras Vater, der am 4. September des Jahres in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Die Nazis nahmen die ganze Familie wurde in Sippenhaft. Während die hochschwangere Mutter in ein Arbeitslager kam, wurden Vera und ihre beiden Schwestern in einem SS-Kinderheim in Bad Sachsa untergebracht. Nur das baldige Ende des Zweiten Weltkriegs verhinderte, dass die Mädchen von fremden Familien adoptiert wurden. Doch nun war Gottliebe von Lehndorff mit ihren inzwischen vier Töchtern heimatlos, denn die Nationalsozialisten hatten den Familienbesitz konfisziert, bevor er Eigentum des polnischen Staates wurde. Es begann eine Odyssee durch verschiedene Flüchtlingslager und wechselnde Wohnorte im Westen Deutschlands. Eine wirkliche neue Heimat hat Vera nie gefunden.

Vermutlich um die Kinder zu schützen, hat die Mutter über den geliebten Vater kein Wort verloren. In der jungen Bundesrepu­blik wurden die Widerstandskämpfer vielfach noch als Vaterlands­verräter betrachtet. Umso schockierender war für Vera ein Erlebnis Anfang der 1950er Jahre. In der Schule, die sie damals besuchte, sagte die Lehrerin unvermittelt: „Heute muss ich euch sagen, dass wir ein Mädchen in der Klasse haben, die ist die Tochter eines Mörders.“ Die Kinder waren entsetzt, auch Vera – bis die Lehrerin auf sie zeigte und voller Häme behauptete: „Du bist es!“

Es war ein gewaltiger Schock für das Kind, das durch die trauma­tischen Erlebnisse, die der Verlust des Vaters und des Elternhauses, mit sich brachten, ohnehin verzweifelt war. Dieses Trau­ma, das nie richtig aufgearbeitet wurde, hat sie nahezu ein Leben lang belastet und war möglicherweise auch die tiefere Ursache für mehrere Zusammenbrüche und Suizidversuche in späteren Jahren.

Vera war ein verschlossenes Kind, das die einzige Flucht aus der Realität in der Malerei fand. Und doch blieb sie ein zerrissener Mensch. Ein Designstudium, das sie nach Schulabschluss begon­nen hatte, brach sie nach zwei Jahren ab. Sie versuchte, einen Schlussstrich unter ihr bisheriges Leben zu ziehen, indem sie Deutschland den Rücken kehrte und nach Italien ging, um sich ganz der Malerei zu widmen.

Inzwischen war Vera von Lehndorff zu einer auffallenden Erschei­nung geworden, über 1,80 m groß, sehr schlank und mit ihren hohen Wangenknochen ausgesprochen gutaussehend. Auch wenn sie das selbst nicht so sah und sich eher als „langes Elend“ empfand, so wurde sie Anfang der 1960er Jahre in Florenz als Fotomodell entdeckt. Es war der Beginn einer einzigartigen Karriere. Unter dem Künstlernamen Veruschka – was ironischerweise „kleine Vera“ bedeutet – avancierte sie zum ersten deutschen Topmodel, das künftig zahllose Covers von Modemagazinen zierte. Später sagte sie über diese Zeit in einem Interview: „Es war eine andere Welt, eine verrücktere Welt, hatte nichts mit der Realität zu tun, und das hat mich angezogen sofort. Aber sehr schnell habe ich verstanden, dass es überhaupt nicht kreativ ist. Als Model bist du ein Objekt, das eingesetzt und benutzt wird.“

Tatsächlich konnten das ganze Blitzlichtgewitter, Geld, Ruhm und Erfolg nichts an ihrer inneren Leere ändern. Nach außen hin aber wurde Veruschka als Aushängeschild der „swinging sixties“ zur Verkörperung eines kosmopolitischen und heiteren Lebensgefühls, das sie selbst überhaupt nicht verspürte. Die Mitwirkung an dem Film Blow up katapultierte sie 1966 auf den Höhepunkt ihrer Karriere. Auch hier spielte sie – in einer kleinen Rolle – als Fotomodell in der Welt des schönen Scheins.

In Wirklichkeit wollte Veruschka mehr sein als nur ein gut ge­schminktes Gesicht. Doch sie bekam ihr Leben nicht in den Griff. Obwohl sie für ihre Fotoshootings Topgagen kassierte, rann ihr das Geld durch die Finger. Auch mit den Männern hatte sie kein dauerhaftes Glück. Die Folge waren schwere Depres­sionen und mehrere Suizidversuche, die Aufenthalte in psychiatrischen Einrichtungen erforderlich machten. Erst allmählich fand sie zu sich selbst. Es folgte eine zweite Karriere, in der sie mit ihren Bodypaintings ein völlig neues Kunstgenre kreierte.

Seit 2005 lebt Vera von Lehndorff in Berlin und widmet sich wieder der Malerei. So hat sich ein Kreis geschlossen. Auf der Suche nach ihren Wurzeln reiste sie 2007 nach Schloss Steinort im heutigen Polen. Trotz seiner Baufälligkeit empfand sie das alte Gebäude als höchst beeindruckend. Wie wäre es, kam ihr der Gedanke, ihr Elternhaus zu einem Zentrum des Widerstands zu machen? Leider konnten Pläne, hier eine Begegnungsstätte zu errichten, bis heute nicht realisiert werden. Immerhin ist es dank Fördergeldern gelungen, die nötigen Sanierungsarbeiten durchzuführen und das Schloss vor dem Verfall zu bewahren. Seit November 2019 gibt es im Ostflügel ein kleines Ausstellungszentrum, das über die Geschichte von Steinort und die Rolle Heinrichs von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler informiert.

Mit 72 Jahren hat Vera von Lehndorff versucht, ihr Leben aufzuarbeiten und eine Art Biografie veröffentlicht, in der sie jedoch ziemlich vage bleibt. Doch es scheint, als habe sie im Alter endlich zu sich selbst gefunden.

Lit.: Jörn Jacob Röwer, Vera Lehndorff, Veruschka, Mein Leben, Köln 2011. – Antje Vollmer, Heinrich und Gottliebe von Lehn­dorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop, Frankfurt/Main 2010.

Bild: Veruschka Gräfin von Lehndorff 2011, Das Blaue Sofa/ Club Bertelsmann.

Weblink: https://de.wikipedia.org/wiki/Veruschka_Gr%C3%A4fin_ von_Lehndorff

Karin Feuerstein-Praßer