Biographie

Lendl, Adolf

Herkunft: Banat
Beruf: Naturforscher, Direktor des Budapester Tiergartens, Reichstagsabgeordneter
* 6. Mai 1862 in Orzydorf/Orczyfalva
† 25. September 1943 in Keszthely/Gestl

Nach der so genannten „Türkenzeit“ (1552-1716) und dem Frieden von Passarowitz (1718) wurde das heutige Banat (Osmanisch Samtschak genannt) der österreichischen Militärverwaltung unterstellt. Nach den bekannten „Schwabenzügen“ (1723-1787) wurde aus einer wirtschaftlich rückständigen Peripherie ein multikulturelles Zentrum, dessen Prosperität immer wieder zahlreiche Neusiedler anlockte. Zu diesen zählte auch Adolfs Vater, der Bezirksarzt und Titularoberarzt des Temeschwarer Komitates Dr. med. Georg Lendl (1819-1913), dessen Wurzeln im Böhmischen zu suchen sind.

Adolf Lendl wurde am 6. Mai 1862 im damals österreichisch-ungarischen Orzydorf im Banat geboren. Die Oberrealschule durchlief er 1871 bis 1879 in Temeschburg (Temeschwar, rum. Timişoara, ung. Temesvár, heute in Rumänien) – dem kulturellen und wirtschaftlichen Mittelpunkt des Banates und damals Zentrum des Banater Deutschtums. Nach bestandenem Abitur studierte er in der Zeitspanne 1879 bis 1884 Naturwissenschaften an der Universität Budapest. Nach der Großen Staatsprüfung war er Gymnasiallehrer in Budapest (1884-1885), um anschließend als Assistent an die Universität zu wechseln, wo er 1887 zum Dr.nat.scient. promovierte. Ab 1888 lehrte er als Privatdozent an der Universität und ab 1889 arbeitete er parallel als Hilfskustos an der zoologischen Abteilung des Naturwissenschaftlichen Museums; gleichzeitig wurde er auch zum Professor an die Technische Hochschule berufen. 1893/94 gründete er eine zoologische Präpariereranstalt mit Lehrmittelfabrik, das erste derartige Unternehmen nicht nur für Ungarn, sondern auch für den gesamten Großraum Südosteuropas.

Als Mitglied der Liberalen Partei Ungarns war er auch Reichs­tagsabgeordneter im Parlament. In dieser Zeit befasste er sich u.a. mit der Modernisierung des Budapester Tiergartens, entwarf dafür einen zeitgemäß gestalteten Plan, so dass diese Anstalt 1911 eröffnet werden konnte; A. Lendl wurde zum Direktor dieser Institution ernannt, welche er sachkundig bis 1918 leiten sollte. Dank seiner zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen, wurde er 1917 zum Korrespondierenden Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften ernannt.

Die Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg, bzw. mit den Pendelschlägen zwischen „rotem“ und „weißem“ Terror, also zwischen der von jüdischen Kommissaren dominierten Repu­blik (133 Tage) und den deutschen Konvertiten/Magyaronen, sollte Lendl 1920 seine Stellung verlieren und aus der Akademie ausgeschlossen werden. Vorgeworfen wurde ihm und an­de­ren Deutschstämmigen, sie hätten nach dem Sturz der Rätediktatur 1919 die Geschicke Ungarns gelenkt und da sie keine Madjaren waren, nicht im Interesse des ungarischen Volkes gehandelt.

Nach seiner Pensionierung 1929, zog er sich nach Keszthely/ Gestl – am Westende des Plattensees gelegen – zurück, waren doch hier, dank der 1797 gegründeten Landwirtschaftlichen Universität und der berühmten Bibliothek im Schloss der Grafen Festetics hervorragende Bedingungen für einen Privatgelehrten gegeben. Hier widmete er sich auch der Entwicklung des Plattensee-Museums und dessen Aquariums. Entlang von zehn Jahren gab er als Schriftleiter die wissenschaftliche Zeitschrift „A természet“ (Die Natur) heraus und schrieb dabei, allein zur Propagierung des Budapester Tiergartens etwa 300 Beiträge.

Es sei hervorgehoben, dass Lendl schon als 25jähriger Natur­kundler den damals führenden Ornithologen Otto Herman (1835-1914) auf seiner zoologischen Expedition zu den norwegischen Vogelbergen 1887/88 begleitete. Eine seiner Pionierleistungen war die Anlegung in der Ungarischen Ornithologischen Zentrale des Grundstocks der osteologischen Sammlung, in Zusammenarbeit mit L.E. Szalay (1875-1960). Es folgten Sammelreisen nach Kleinasien (1906), Südamerika (1907) und Australien, über die er u.a. das Werk Reisebriefe aus zwei Weltteilen 1908 in Budapest herausgab. Er war nicht nur ein Fachmann in der Kenntnis der Vogelwelt, sondern auch ein geschätzter Spinnenforscher; so wurde sein Werk über die Muskulatur der Spinnen 1917 von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben. Auf diesem Gebiet befasste er sich mit der Morphologie, Histologie und Genetik der Afterspinnen (Pseudoskorpione). Eine Aufzählung seiner Hauptveröffentlichungen ist bei J. Szinnyei (1900) vorzufinden, sowie in der Fachzeitschrift „Aquila“ Nr. 50, 1943. Sein wegweisendes wissenschaftliches Werk Grundlegende Gedanken über die Errichtung eines naturkundlichen Museums erschien 1935.

Adolf Lendl verstarb am 25. September 1942 in Kesztely am Plattensee.

Lit.: L. Gebhardt, Die Ornithologen Mitteleuropas, Bd. I, Wiebelsheim 2006, S. 212. – P. Lendvai, Die Ungarn. Ein Jahrtausend Sieger in Niederlagen, München 1999, S. 426, 521, 527. – A.P. Petri, Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums, Marquartstein 1992, S.1123-1125. – J. Szinnyei, Magyar irok (Ungarische Schriftsteller), Bd. VII, Budapest 1900, S. 1035-1038. – J. Weidlein, Die verlorenen Söhne. Kurzbiographien großer Ungarn deutscher Abstammung, Bd. II, Wien 1967, S. 21-22, 71-72.

Bild: Museu Nacional UFRJ

Rudolf Rösler