Biographie

Lendl, Moritz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Bergrat, Diplomingenieur
* 28. März 1874 in Paliwic/Mähren
† 10. Mai 1949 in Giebelstadt/Würzburg

Leben und Wirken Moritz Lendls sind vor dem Hintergrund der speziellen Entwicklung des mährischen Raumes im 19. und 20. Jahrhundert zu sehen. Geprägt wurde diese wesentlich durch die Gestaltungskraft seiner Wirtschaft. Da im Nordosten das oberschlesische Steinkohlenbecken in den mährischen Raum hineinragt, kam es im Ostrau-Karwiner Steinkohlenrevier seit den 1830er Jahren zu einer bedeutenden Industriebildung. Verdeutlichen läßt sie sich durch die Bevölkerungsentwicklung innerhalb des Reviers. So stieg die Einwohnerzahl im Gerichtsbezirk Oderberg (1910 in Oderberg und Polnisch-Ostrau geteilt) von 7.742 Einwohnern im Jahre 1800 auf 33.309 1880 und 95.696 1910. Das bedeutet nicht weniger, als daß die Bevölkerung innerhalb des vom Steinkohlenbergbau beherrschten österreichisch-schlesischen Raumes um mehr als das Zwölffache wuchs. Träger der Industrialisierung waren Deutsche aus den Sudeten- und Alpenländern, während die Arbeiterschaft vorwiegend aus Polen und Westgalizien stammte, außerdem auch aus Innermähren.

Nach dem Besuch des deutschen Gymnasiums in Znaim, dem Vorort des südmährischen Deutschtums, dessen Bevölkerung vor 1914 zu 80 Prozent deutsch war, bezog Lendl die Montanistische Hochschule zu Leoben (Obersteiermark). Am 1. Oktober 1897 trat er als Grubeningenieur in die Dienste der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn zu Mährisch-Ostrau. Seit 1902 war er bei der Gewerkschaft Marie-Anne in Marienberg nahe Mährisch-Ostrau beschäftigt, zuletzt als Berginspektor. Das Können, das er sich inzwischen erworben hatte, war Anlaß für seine Berufung am 1. Januar 1916 als Bergdirektor und Generalbevollmächtigter des Steinkohlenbergbaus von Orlau-Lazy, wo 1835 die Wiener Bergbaugesellschaft im Auftrag der Witkowitzer Eisenwerke mit Schürfarbeiten begonnen hatte. Der “Steinkohlenbergbau Orlau-Lazy”, der sich seit 1889 im Besitz der Gebrüder von Gutmann (Wien) befand, war konzentriert auf den Hauptschacht in Orlau und den Sophienschacht in Poremba bei Orlau, zu denen 1890 der Neuschacht zu Lazy und 1907 der Franz-Josef-Schacht zu Unter-Suchau getreten waren. “Dipl.-Ing. Lendl”, so schreibt Moritz Stipanitz, “war ein tüchtiger und weitblickender Fachmann. Zwischen den Weltkriegen führte er unter großen technischen, bergmännischen und sozialen Schwierigkeiten die Vereinigung des Haupt- und Neuschachtes zu einer modernen Großanlage durch, die dann im Zweiten Weltkrieg zeitweilig die größte Tagesförderung des Reviers aufwies. Bald nach seinem Dienstantritt bei Orlau-Lazy führte er nach Baumgartners Patent auf dem Sophienschacht den Lettenkugelversatz ein. Er mußte jedoch in seiner praktischen Anwendung gänzlich abgeändert und der steilen Ablagerung angepaßt werden, so daß etwas ganz Neues und anderes aus dem Baumgartnerschen Verfahren wurde. Es bewährte sich im Gegensatz zu diesem in der steilen Ablagerung des Sophienschachtes gut und rettete bei der Brandgefährlichkeit der Flöze dem Betrieb sozusagen die Existenz. Was die Mechanisierung und Modernisierung der Betriebe betrifft, so war Lendl auf diesem Gebiete im Rahmen der zur Verfügung gestellten Geldmittel so weit als möglich tätig”.

In seiner Eigenschaft als Bergdirektor gehörte Lendl auch zu den Mitgliedern der Direktoren-Konferenz des Ostrau-Karwiner Bergbaus. Seine Verdienste um den Steinkohlenbergbau von Orlau-Lazy würdigte die k.u.k.-Monarchie dadurch, daß sie ihm bei Ausgang des Ersten Weltkriegs den Titel eines Bergrats verlieh. Lendl war übrigens der letzte, dem dieser Titel noch verliehen wurde, ehe die Donaumonarchie unterging. Dem Bergbau von Orlau-Lazy blieb Lendl auch nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik verbunden, zumal sich an den Besitzverhältnissen nichts änderte. Als die Familie von Gutmann am 1. Januar 1933 ihren Besitz an die Böhmische Handelsgesellschaft, ein tschechisches Unternehmen, veräußerte, blieb Lendl noch bis zum 30. Juni 1936 auf seinem Posten, um sich dann in den Ruhestand zurückzuziehen, den er in Mährisch-Ostrau verbrachte.

Im Januar 1945 von dort evakuiert, nahm er seinen Aufenthalt in dem böhmischen Kurort Teplitz-Schönau. Im Mai 1945 wurde er über die deutsch-tschechoslowakische Grenze hinweg nach Sachsen vertrieben, wo er nur vorübergehend blieb. Eine Bleibe fand er bei Verwandten im unterfränkischen Giebelstadt. Dort verstarb er nach längerer Krankheit. Mit ihm verschied ein Bergbauexperte, der das Ostrau-Karwiner Revier über Jahrzehnte hinweg maßgebend mitgeprägt hatte.

Lit.: Moritz Stipanitz: Deutsche Arbeit, deutscher Fleiß. Die Entwicklung des Ostrau-Karwiner Bergbaues und seine führenden Köpfe. V. Steinkohlen-Bergbau Orlau-Lazy, in: Beskiden-Post Nr. 9 (1952), S. 13-15. – Alfons Perlick: Oberschlesische Berg- und Hüttenleute. Lebensbilder aus dem Oberschlesischen Industrierevier (3. ‘Veröffentlichung der “Oberschlesischen Studienhilfe”), Kitzingen/Main 1953, S. 154. – Walter Kuhn: Siedlungsgeschichte Oberschlesiens (4. Veröffentlichung der “Oberschlesischen Studienhilfe”), Würzburg 1954, S. 257 f. – Gustav Otruba/Kropf Rudolf: Bergbau und Industrie Böhmens in der Epoche der Frühindustrialisierung, in: BohJb. 12 (1971), S. 53-232. – David F. Good: Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1750-1914, Wien 1986. – Friedrich Prinz: Böhmen und Mähren (Deutsche Geschichte im Osten Europas), Berlin 1993, S. 366-378.

 

  Konrad Fuchs