Biographie

Lengnich, Gottfried

Herkunft: Danzig
Beruf: Jurist, Geschichtsschreiber, Syndikus der Stadt Danzig
* 4. Dezember 1689 in Danzig
† 28. April 1774 in Danzig

In der langen und illustren Reihe der Danziger Geschichtsschreiber nimmt Gottfried Lengnich eine Schlüsselstellung ein. Der Sohn eines begüterten Danziger Kaufmanns kam frühzeitig in die Schule, erlernte auch die polnische Sprache und ging 1710 nach Halle, um Rechtswissenschaft und Geschichte zu studieren. Hier schloß er sich dem Thomasius-Schüler Gründling an, der ihn an seiner erfolgreichen Monatsschrift „Hallische Bibliothek“ beteiligte. Nach dem Erwerb des Dr. jur. 1713 strebte Lengnich eine Laufbahn in der Halleschen Juristenfakultät an, kehrte jedoch im selben Jahr auf Anraten seines Gönners, des Danziger Syndikus Albrecht Rosenberg, in seine Vaterstadt zurück. Er hielt zunächst Schülern des Akademischen Gymnasiums private Vorlesungen über Geschichte und Staatsrecht des Königreichs Polen, der Lande Preußen und der Stadt Danzig, womit bereits der Rahmen abgesteckt ist, in dem er sich fortan lebenslang bewegen sollte. Seine ersten Untersuchungen galten der Geschichte Polens, die er in seiner „Polnischen Bibliothek“ (1718/19) auf ein quellengerechtes Fundament stellte, sie in bewußt aufklärerischer Manier von den bisherigen übertriebenen Wundergeschichten reinigte und bei der Betrachtung des preußisch-polnischen Verhältnisses eine eindeutige Position zugunsten der preußenländischen Autonomie bezog. Nachdem er in diesenArbeiten, die bereits ein wissenschaftlich-politisches Programm erkennen ließen, eine klare Richtung vorgegeben hatte, erhielt er vom Danziger Rat 1721 den Auftrag, die bis 1525 reichende „Preußische Chronik“ des Caspar Schütz fortzusetzen, womit – neben einem festen Gehalt – der Zugang zum Ratsarchiv verbunden war. Damit eröffnete sich für Lengnich die Möglichkeit, die unmittelbaren Zeugnisse auszuwerten und sie in einer den strengen verfassungsrechtlichen Grundsätzen verpflichteten Geschichtsschreibung zum Sprechen zu bringen. In zielstrebiger und unermüdlicher Arbeit schuf er im Laufe eines Menschenalters (1722-1755) sein wichtigstes Werk, die „Geschichte der Preußischen Lande Königlich Polnischen Anteils“ in 9 Bänden, „nicht nur die bedeutendste Leistung im Lebenswerk dieses Danzigers, sondern überhaupt die reifste Frucht der ganzen geistig-politischen Bewegungen des Landes, ein Spiegel seines politischen Bewußtseins und die einzige zusammenfassende Darstellung seines geschichtlichen Weges“ (Schieder). Wenn Lengnich mit den Landtags-Rezessen hauptsächlich die gleichen Quellen benutzt hat wie Schütz, so geht er doch erheblich kritischer vor, zieht die Ratskorrespondenz und die diplomatischen Schriftwechsel heran und überwindet gleichsam die bloß beschreibende, chronikhafte Darstellungsweise früherer Epochen. Er liefert keine Landesgeschichte im engeren Sinn, etwa mit der Beschreibung örtlicher Vorkommnisse, sondern er verknüpft die geschichtlichen Abläufe mit den Prinzipien des „Jus publicum“, des allgemeinen Staatsrechts, indem er sich strikt an den Wortlaut der Rezesse, Protokolle und sonstigen schriftlichen Belege hält und dadurch ein stets nachprüfbares Kompendium für die aktuten staatsrechtlichen Probleme der Gegenwart verfaßt. Denn auf die damalige politische Situation blieb Lengnichs Werk nicht ohne belebenden Einfluß – lag doch der Schwerpunkt der Darstellungauf der Auseinandersetzung um die preußischen Landesrechte und schärfte somit den Blick der Zeitgenossen in dem seit 1569 (Lubliner Union) unnachsichtig geführten Kampf um die Autonomie des Königlichen Preußen. Lengnich wollte politisch-erzieherischwirken, er prangerte insgeheim die Laschheit und Uneinigkeit der preußischen Stände an und setzte ein Fanal zur Verteidigung des „besonderen Staates“ Preußen, wie er die Position des damaligen Westpreußen deklarierte.

Seine Stellung hatte sich inzwischen gefestigt; im Jahr 1729 berief ihn der Danziger Rat zum Professor der Dichtkunst und Beredsamkeit am Akademischen Gymnasium, und an weiteren in- und ausländischen Ehrbezeugungen hat es nicht gefehlt. Sowohl der polnische Adel als auch der sächsisch-polnische Hof zogen ihn in wissenschaftlichen oder politischen Fragen zu Rate. Aus der damit einhergehenden stärkeren Beschäftigung mit der Vergangenheit Polens erwuchs der kurze Abriß der „Polnischen Geschichte von den Zeiten Lechs an bis auf den Tod Augusti II.“ (1740). Er bildete den Auftakt zum zweiten großen Werk Lengnichs, der Geschichte des polnischen Staatsrechts (Jus Publicum Regni Poloni, 1742/46), das den ersten gelungenen Versuch eines polnischen Verfassungsrechts von bleibendem Wert darstellt und Lengnichs Ruf als Rechtsgelehrten weiter festigte. Auch hier um unbedingte Quellentreue bemüht, unterstreicht er bewußt den föderativen Charakter des polnischen Unionsstaates und weiß damit die staatsrechtlichen Auffassungen seiner Darlegung geschickt mit der eigenen Tendenz zur Proklamation der preußischen Sonderrechte zu verbinden.

Nach Abschluß dieser Arbeit wurde Lengnich dann stärker in die Alltagspolitik hineingezogen. Als um die Jahrhundertmitte der Danziger Verfassungskonflikt in voller Schärfe ausbrach und König August III. zum Eingreifen veranlaßte, wurde Lengnich zum Anwalt der Dritten Ordnung (und damit als Opponent der Ratsoligarchie) bestellt – eine Position, die großes diplomatisches Geschick verlangte. Daß er das Vertrauen beider Seiten besaß, zeigt die ihm 1749 übertragene Professur für Rechtswissenschaft und Geschichte am Gymnasium, der im Jahr darauf die ehrenvolle Ernennung zum Syndikus der Stadt Danzig folgte. Der allseits anerkannte und geschätzte Staatsrechtler war auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn angelangt. Trotz aller diplomatischen Gewandtheit und seiner Kontakte zum Warschau-Dresdener Hof erreichte Lengnich jedoch keinen Durchbruch im Danziger Verfassungskampf: Die Stadt mußte sich dem königlichen Schiedsspruch unterwerfen. Zugleich erhielt er vom König den Auftrag zu einer Darlegung von Danzigs Rechtsstellung und seines Verhältnisses zur Krone Polen. Dieses war der Anstoß zur letzten großen Forschungsarbeit Lengnichs,  „Der Stadt Danzig Verfassung und Rechte“, der er sich in vieljährigem Studium widmete, indessen er auf das Veto des Rates hin von einer Drucklegung absehen mußte. Denn hier wie bei allen früheren Untersuchungen blieb Lengnich seiner politischen Überzeugung treu, indem er jegliches Recht despolnischen Staates an der Stadt Danzig abstritt und lediglich die einzelnen Vorbehalte der Krone formulierte, jetzt freilich mit klareren und eindeutigeren Wendungen als je zuvor. Dieses„Jus Publicum Civitatis Gedanensis“, erst im Jahr 1900 vom Westpreußischen Geschichtsverein ediert, ist eine durch die Erfahrungen der Geschichte geläuterte Kodifikation der Danziger Stadtverfassung und zugleich eine Fundgrube für die Stadtgeschichte überhaupt. Weitere staatsrechtliche Denkschriften und diplomatische Missionen untermauerten Lengnichs Stellung als unbeirrten Verfechter der Rechte und der autonomen Verfassung des Königlichen Preußen. Wegen seiner intimen Kenntnis der polnischen Verhältnisse und der Wertschätzung der dortigen Oberen hat man ihm von polnischer Seite eine national zwiespältige Haltung nachzusagen versucht. Wie verfehlt solche Deutungen sind, zeigt der Blick in jedes seiner Werke, in denen uns der unbestechliche Chronist und der Wortführer eines preußischen Stammes- und Heimatbewußtseins gegentritt, der zu allen Zeiten seines langen Lebens ein echter Repräsentant des deutschen Bürgertums gewesen ist.

Lit.: ADB Bd. 18 (1883); NDB Bd. 14 (1985); Altpreuß. Biographie Bd. I (1944); August Bertling: Katalog der die Stadt Danzig betreffenden Handschriften der Danziger Stadtbibliothek (= Katalog d. Danziger Stadtbibliothek, I), Danzig 1892 (mit Werkeverzeichnis); Otto Günther (Hrsg.): Des Syndicus der Stadt Danzig Gottfried Lengnich Ius Publicum Civitatis Gedanensis oder der Stadt Danzig Verfassung und Recht, Danzig 1900 (Quellen u. Darstellungen z. Gesch. Westpreußens, 1); Theodor Schieder: Deutscher Geist und ständische Freiheit im Weichsellande. Politische Ideen und politisches Schrifttum in Westpreußen von der Lubliner Union bis zu den polnischen Teilungen (1569-1772/93), Königsberg 1940; Łukasz Kurdybacha: Stosunki J polsko-gdanskie w XVIII wieku [Die kulturellen Beziehungen zwischen Polen und Danzig im 18. Jahrhundert], Danzig 1937.

Peter Letkemann