Biographie

Leopold II.

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Römisch-deutscher Kaiser
* 5. Mai 1747 in Wien
† 1. März 1792 in Wien

Leopold II. ist der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der am kürzesten regierte. Am 5. Mai 1747 als dritter der Sohn der Kaiserin Maria Theresia geboren, wurde er nach dem Tode seines Vaters Kaiser Franz I. Großherzog von Toskana. 1790 übernahm er nach dem Tode seines kinderlosen Bruders Joseph II. die Regierung in Österreich und wurde am 9. Oktober 1790 zum Römischen Kaiser gewählt. Fünfzehn Monate später, am 1. März 1792, starb er völlig überraschend in Wien. Seine Regierungszeit in Deutschland hatte gerade ausgereicht, jene Fehler auszugleichen oder in ihren Folgen zu mildern, die sein Bruder Joseph II. mit seiner Ungeduld, seinem hochfahrenden Wesen und seinen Unüberlegtheiten begangen hatte.

Als Großherzog von Toskana verwirklichte Leopold ein Reformprogramm, das dieses relativ kleine Land zum modernsten, interessantesten und bestregierten Staat Europas machte. Leopold regierte zwar als ein absoluter Fürst, er diskutierte seine Reformvorhaben jedoch eingehend mit seinen Beratern, unter denen sich hervorragende Sachkenner befanden. In seinen Ideen zu einer Reform der kirchlichen Verhältnisse ging er in vielem weiter als sein zu Unrecht als Kirchenfeind verschriener Bruder Joseph. Als er allerdings 1787 auf einer in Florenz tagenden Synode auf den geharnischten Widerstand der toskanischen Bischöfe stieß, war er klug genug, die Gefährlichkeit seines Vorhabens einzusehen. Er beließ es bei einer Neueinteilung der Pfarrgrenzen, die einer intensiveren Seelsorge zugute kamen. Leopold unterschied sich damit von seinem Bruder, der bei seinen überstürzten Reformen meist die Folgen nicht bedachte. Leopold führte seine Reformvorhaben erst zur Probe in einem kleineren Bezirk ein, beobachtete die Folgen und die Reaktionen in der Bevölkerung, ehe er die nach diesen Erfahrungen veränderten Verfügungen im ganzen Land ausführte. In vielem war der nicht weniger reformfreudige Leopold das Gegenbild seines kaiserlichen Bruders. Leopold kritisierte das Ungestüm, mit der sein Bruder Reformen, oft aus Augenblickseinfällen heraus, ohne vorherige Beratung mit seinen Beratern erließ, als Despotismus.

Maria Theresia schätzte das ruhige, besonnene Urteil ihres jüngeren Sohnes. Als Österreich 1778 während des Bayerischen Erbfolgekrieges in eine schwere Krise geriet, rief sie Leopold nach Wien. Joseph II. hatte mit dem Versuch, große Teile Bayerns nach dem Aussterben der bayerischen Wittelsbacher – auf dubiose Erbansprüche gestützt – Österreich anzugliedern, einen Krieg mit Preußen provoziert, der sich zu einem großen internationalen Konflikt auszuweiten drohte. Joseph hatte den Oberbefehl über die österreichische Armee übernommen, jedoch als Feldherr vollkommen versagt und durch widersprüchliche Befehle die Armee total verunsichert. Leopold, der in diesen entscheidenden Wochen das Regierungssystem seines Bruders aus nächster Nähe beobachtete, war über den Despotismus seines Bruders entsetzt. Seine Aufzeichnungen aus dieser Zeit sind nicht nur eine vernichtende Kritik an seinem Bruder, sie enthalten auch erste Überlegungen für ein konstitutionelles System.

Leopold war überzeugt davon, daß man die Regierung eines Landes vor dem Despotismus eines unüberlegten Herrschers, wie sein Bruder in seinen Augen einer war, schützen müsse. Auf die Verfassung des amerikanischen Bundesstaates Pennsylvania gestützt, entwarf er 1779 nach seiner Rückkehr von Wien eine Verfassung mit repräsentativen, durch Wahlen gebildeten Körperschaften. Seine Mitarbeiter, die von der Überlegenheit des Absolutismus überzeugt waren, unterzogen den Entwurf einer scharfen Kritik. 1782 lag der von Leopold noch einmal überarbeitete Entwurf vor. Josef II. verhinderte 1784 seine Ausführung, indem er Leopold in einen Familienvertrag zwang, nach seinem Tod die Sekundogenitur Toskana zu beenden und das Großherzogtum in die österreichische Gesamtmonarchie einzugliedern. Mit seinem Verfassungsentwurf ist Leopold der einzige Herrscher des Aufgeklärten Absolutismus, der mit der Einführung einer Verfassung die letzte Konsequenz aufgeklärter Staatstheorien zog. Kein anderer Herrscher seiner Zeit war bereit, die Ergebnisse der Französischen Revolution vorwegzunehmen und den Absolutismus in Frage zu stellen.

Als Leopold im März 1790 in Wien eintraf, fand er in Österreich katastrophale Zustände vor. Außenpolitisch stand das Land – in einen Krieg mit den Türken verstrickt – vor einem neuen Krieg mit Preußen. Innenpolitisch waren die Niederlande (das heutige Belgien) abgefallen, tobten Aufstände in Ungarn und zeigte sich in Böhmen und Tirol eine Unzufriedenheit, die leicht in Unruhen ausarten konnte. Ohne sich irgendetwas zu vergeben, schloß Leopold mit den Türken Frieden, ging mit dem alten Rivalen Preußen ein Bündnis ein, beendete den Aufstand in Belgien und beruhigte die Ungarn. Seine alte Vorliebe für Verfassungen zeigte sich, als er die polnische Verfassung vom 5. Mai 1791 und später die französische Septemberverfassung als Siege der Vernunft begrüßte. Die von der Französischen Revolution ausgehenden Gefahren unterschätzte er allerdings. Wäre es nach ihm gegangen, jede Einmischung in die inneren Verhältnisse in Frankreich wäre unterblieben.

Von seinen innenpolitischen Plänen konnte er nichts in Angriff nehmen. Seine Mitarbeiter sind später unter seinem Sohn als „österreichische Jakobiner" verfolgt worden. Seine bekanntgewordenen Absichten zeigen, daß Österreich unter seiner Herrschaft ein nach den Ideen der Aufklärung gestalteter, moderner Staat geworden wäre. In diesem Sinn war Leopold II. sicher der interessanteste Herrscher des Aufgeklärten Absolutismus.

Werke und Lit.:Adam Wandruszka: Leopold II., Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser. 2 Bde. Wien/München 1963/65 (ital. 1968). – Ders.: Leopold II., Kaiser, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 260-266. Hier ein detailliertes Verzeichnis der Werke und der Literatur.

Bild: Kulturhistorisches Museum Wien