Biographie

Lepold, Anton

Herkunft: Donaugebiet
Beruf: Priester, Politiker, Historiker, Archäologe
* 22. Januar 1880 in Filipowa/ Batschka
† 4. Mai 1971 in Wien

Anton Lepold wurde als Kind donauschwäbischer Bauern in Filipowa geboren. Jeder hatte den netten, sympathischen Buben gern, bei dem sich schon früh Frömmigkeit und Achtung vor der Wissenschaft vereinigten. Bereits an der Volksschule, besonders aber am klassischen Gymnasium in Kalotscha und als Student der Theologie in Budapest, zeigte er eine außerordentliche Begabung. Überall war er der beste Schüler. Lepold hält seine Primiz am 29. Juni 1904 in Filipowa, die siebente, die diese Gemeinde erlebt. Nach dem Erwerb des Doktorats wurde er 1904 in Kalotscha zum Priester geweiht. In den beiden folgenden Jahren ist er Kaplan in Senta und in Horgosch an der Theiß. Doch schon mit 26 Jahren avancierte er 1906 zum Domprediger in der Bischofsstadt Kalotscha und 1907 zum erzbischöflichen Archivar. Der dorthin 1911 aus Tschanad berufene Erzbischof Dr. Johannes Csernoch lernte Lepold kennen und schätzen. Als Cser-noch ein Jahr später auf den erzbischöflichen Stuhl von Gran berufen wurde und damit die Stellung des Fürstprimas von Ungarn bekleidete, wollte er den hoch gebildeten Lepold nicht mehr missen, nahm ihn mit und ernannte ihn zunächst zum erzbischöflichen Sekretär, dann zum Kanzleidirektor und 1917 – damals erst 37-jährig – zum Domkapitular von Gran, der größten Kathedrale Ungarns. Das Domkapitel von Gran, das älteste und ehrwürdigste ganz Ungarns, ist eine Stiftung des hl. Königs Stephan selbst. Von nun an war Prälat Lepold die rechte Hand des Fürstprimas Csernoch und spielte eine führende Rolle in der Erzdiözese. Künstler, Abgeordnete, Politiker, Gelehrte und Diplomaten verkehrten im Graner und im Ofener Palais des Fürstprimas, und Dr. Lepold unterhielt sich mit ihnen mit dem Charme und der vornehmen Lässigkeit eines Berufsdiplomaten. Lepold begleitete 1914 nach dem Tode Pius X. Kardinal Csernoch zur Papstwahl nach Rom. Noch in der Seele des 83-jährigen klangen die unvergesslichen Erlebnisse dieser Reise lebhaft nach, wie es aus Lepolds Erinnerungen an den letzten Fürstprimas Großungarns (Wien 1963) hervorgeht. Im Jahre 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, bestand eines der heikelsten Probleme darin, die Krönung Kaiser Karls zum König von Ungarn vorzubreiten. Der glatte Verlauf dieser Zeremonie ist nach dem Zeugnis von Anton König ein Verdienst Anton Lepolds.

Dr. Lepold war ein enger Vertrauter von Universitätsprofessor Dr. Jakob Bleyer, dem deutsch-ungarischen Abgeordneten im ungarischen Parlament und Wortführer des ungarländischen Deutschtums, und unterstützte dessen Arbeit. Mit ihm gründete er 1918 den Ungarländischen Deutschen Volksrat. Er sprach auf Kundgebungen und lieferte für das Presseorgan des Volksrates wertvolle Beiträge.

Lepold, der bis zu seinem elften Lebensjahr nur Deutsch gesprochen hatte, eignete sich die ungarische Sprache so vollkommen an, dass er als Stilist, Kanzelredner und vor allem als Conferencier zu den herausragenden Rednern ungarischer Sprache seiner Zeit gerechnet und als Meister der charakteristischen Aussprache des Ungarischen angesehen wurde. 1925 war er als Kandidat für die Bischofswürde vorgesehen, im Falle seiner Zusage hätte er seinen Nachnamen madjarisieren lassen müssen, was er jedoch strikt ablehnte.

Nach dem Tode Csernochs 1927 wurde Lepold von verschiedenen Amtspflichten entbunden, weil der Nachfolger Dr. Justinian Serédy über einen eigenen Mitarbeiterstab verfügte. Daher konnte Lepold sich zwei Jahrzehnte lang vor allem der Archäologie und Kunsthistorik widmen. Durch sein gründliches Studium alter Urkunden, alter Stiche und Beschreibungen von Augenzeugen bis ins Jahr 1683 kam er zu einer für Ungarns Geschichte fundamentalen Erkenntnis. Bis dahin hatte zwar jeder Fachmann aus geschichtlichen Quellen von der Existenz der Burg des Königshauses der Arpaden gewusst, deren frühmittelalterlicher Bau Ende des 10. Jahrhunderts mit Árpád begann und durch spätere Könige fortgeführt und ausgebaut wurde. Durch verschiedene Ereignisse in den Türkenkriegen wurde die Burg später zerstört, die Ruinen wurden mit Schutterde bedeckt und planiert. Ihr Ort jedoch geriet in Vergessenheit. Lepold bestätigte durch eigene Grabungen seine Vermutung, dass die Burg verschüttet gleich neben dem von der Kathedrale überragten Graner Schlossberg liege. Er meldete seine Entdeckung dem Landeskomitee für Kunstdenkmäler, das 1934 unter Leitung von Universitätsprofessor Koloman Lux mit den Ausgrabungen begann und das Schloss mit angebauter Kapelle bis 1938 vollständig freilegte. Lepolds Untersuchungen stellten zweifelsfrei sicher, dass der südliche Teil der Burg das von Adalbert III. neu erbaute Schloss und die dazugehörige, dem Erzmärtyrer Stephanus geweihte Kapelle sind. Die Grabungen legten zur gleichen Zeit auch herrliche Denkmäler aus der Zeit von Ludwig dem Großen und Matthias frei. Die um die alte Domkirche angelegte Königsgburg war ringsherum, auch der Donau zu, schwer befestigt. Im „Jahrbuch von Gran“, der periodischen Publikation der Archäologischen und Historischen Gesellschaft für Gran und Umgebung, deren Präses Lepold seit 1934 war, erschienen u.a. seine Studien Die geschichtlichen Beziehungen der auf dem Burgberg von Gran im Gang befindlichen archäologischen Ausgrabungen sowie Die Geschichte der Graner Burg. Lepolds Name wurde weltberühmt. Die königliche Burg, die zu den wertvollsten Denkmälern des Landes gehört, ist seither ein zentraler Ort der Identifikation für jeden geschichtsbewussten Ungarn und eine Attraktion für Archäologen, Historiker und Touristen aus dem In- und Ausland.

Obwohl Anton Lepold als Gelehrter ein asketisches und zurückgezogenes Leben wie ein mittelalterlicher Mönch führte, hat er sich nicht in schweigsame Museumsräume verschlossen, sondern liebte und suchte die Menschen, trachtete ihnen nahe zu sein und zu helfen, war ein braver und herzensguter Mann. Seine Begegnung mit dem großen Dichter Mihály Babits (1883-1941) kann Lepolds menschliche Zugewandtheit ein wenig illustrieren. Babits, in dessen späterem Werk sich Pazifismus und Katholizismus zu einer humanistischen Haltung vereinigen, war ebenfalls Priester und wurde von Lepold auf seinen letzten Weg vorbereitet, als er, an Kehlkopfkrebs erkrankt, schon nicht mehr sprechen, sondern sich nur noch schreibend mitteilen konnte. Franz Eiczinger, ihr gemeinsamer Freund, ehemaliger Direktor der Graner Sparkasse, beschreibt in seinen Erinnerungen den ergreifenden und denkwürdigen Besuch bei Babits und dessen strahlende Freude darüber.

Große Verdienste erwarb sich Lepold auch mit der Neugestaltung des Graner Diözesanmuseums, dessen Direktor er war und das im heutigen Ungarn als eines der größten und mit der drittgrößten Bildergalerie reichhaltigsten gilt. In seinen literarischen Arbeiten befasste er sich mit kunstgeschichtlichen, historischen, kirchenrechtlichen und asketischen Fragen und verfasste die Statuten der Erzdiözese Gran. Hatte Lepold zunächst eine kirchenrechtliche Veröffentlichung über Die katholische Autonomie (1920) vorgelegt und in der erschienenen Sammlung Die Briefe des heiligen Franz von Sales (1924) dessen geistigen Ansprüche dokumentiert, publizierte er später eine Geschichte der Stadt und Festung Gran – der „Perle des Donaubogens“ –, sowie wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte des Domschatzes von Gran (1929), in denen er ein abgerundetes, sehr anschauliches Bild der Spender der vorhandenen und im Laufe der Jahrhunderte verlorenen wertvollen Gaben liefert. Bei der Auswertung von Handschriften und Literatur des Archivs zu diesem Zweck kamen ihm seine gute Ausbildung und seine reichen Sprachkenntnisse zugute. Der 1942 erschienene Zwillingsband Der Katalog des Domschatzes von Gran zum vorgenannten Werk stellt erstmals 276 herausragende Kunstgegenstände vor. In der Studie Die religiösen und historischen Medaillen des Christlichen Museums in Gran (1930) veröffentlichte er 1012 genaue Beschrei­bungen von wertvollen Stücken. Im Jubiläumsjahr von König Stephan (1938) veröffentlichte er im Auftrag der Sankt-Stefans-Akademie eine Ikonographie zu dessen Leben und Wirken, angefangen von den Miniaturen der alten Codices bis in die Gegenwart, versehen mit präzisen Erläuterungen. Dieses Buch ist auch ins Italienische übersetzt worden. Ergänzt wurde es im gleichen Jahr von einer Abhandlung über den Geburtsort des heiligen Königs Stephan. 1942 vereinigte er in seinem Werk Alte Ansichten von Gran 186 Ansichten, Bilder und Stiche des „ungarischen Florenz“ von 1543 bis 1800. Von Lepolds zahlreichen Predigten und Gelegenheitsreden sind mehr als 100 gedruckt erschienen.

In Kreisen der interessierten Öffentlichkeit ernteten seine Veröffentlichungen große Anerkennung. Für seine wissenschaftlich relevanten Entdeckungen wählte ihn 1936 die ungarische Akademie der Wissenschaften zu ihrem korrespondierenden Mitglied. Darüber hinaus war er ordentliches Mitglied der St. Stephans-Akademie in Budapest und der Wiener Katholischen Akademie. 1954 ernannte ihn Papst Pius XII. ad personam zum Apostolischen Protonotar. Zu seinem diamantenen Priesterjubiläum wurde ihm 1964 das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Zu seinem 90. Geburtstag überreichte ihm der Apostolische Nuntius in Wien ein eigenhändig gezeichnetes Bild des Hl. Vaters Papst Paul VI. 1980 widmete ihm der Verwaltungsausschuss Donauknie, der Museumsverein des Komitates Komorn und das Esztergomer Burgmuseum feierlich eine Gedenktafel in rotem Marmor mit der Inschrift: „Zum Gedächtnis der gesegneten Arbeit Anton Lepolds (1880-1971), des Entdeckers der Graner Burg der Könige aus dem Hause der Arpaden.“

Anton Lepold wurde 1946 von Kardinal Josef Mindszenty zum Rektor des ungarischen Priesterkollegiums Pazmaneum in der Wiener Boltzmanngasse 14 ernannt und blieb in diesem Amt 25 Jahre lang bis zu seinem Tod nach Vollendung seines 91. Lebensjahres. Hier kümmerte er sich mit seinem immensen Wissen und seiner väterlichen Güte nicht nur um die Priesteramtskandidaten, sondern auch um seine Landsleute aus Filipowa und alle Donauschwaben, die das Schicksal der Vertreibung nach Wien verschlagen hatte.

Trotz geografischer Entfernung war er sein Leben lang mit den Menschen seiner Geburtsgemeinde in Verbindung geblieben. Statt mondäne Kurorte zu besuchen, kehrte er jedes Jahr in seine Heimat zurück und verbrachte seine dienstfreien Tage im Kreise seiner Eltern, Verwandten und Freunde. In seiner Wiener Zeit stand er vielen der hier lebenden Landsleute mit Rat und Tat zur Seite, nahm an Heimattreffen der Filipowaer als Gast teil, zelebriert häufig die Festmesse und hielt die Predigt. Lepold war ab 1963 auch an der Gründung des „Vereins der Filipowaer“ in Österreich beteiligt und übernahm den geistlichen Ehrenvorsitz. Darüber hinaus war er der Nestor des donauschwäbischen Priesterwerks St. Gerhard.

Am Tag seiner Beisetzung fand in der Kapelle des Pazmaneums ein feierliches Requiem unter Anwesenheit hoher geistlicher Würdenträger statt, so auch des Apostolischen Nuntius Opilio Rossi. Auf den Grinzinger Friedhof, wo der „Filipowaer Jahrhundertmann“ zur Ruhe gebettet wurde, begleiteten ihn viele Priester und zahlreiche Landsleute aus seiner Geburtsgemeinde.

Lit.: Jakob Leh, Filipovo 1763-1938. Bilder aus meiner Heimat, Novi Sad 1937, S. 174 f. – Prälat Dr. Anton Lepold 90 Jahre, in: Gerhardsbote. Mitteilungsblatt des Gerhardswerkes und der Gerhardsjugend v. Februar 1970. – Johann Lukács, Der die Sprache der Steine verstanden hat – zum 100. Geburtstag von Anton Lepold. Prälat Dr. Anton Lepold, geb. am 22. Jänner 1880 in Filipowa, verstorben am 4. Mai 1971 in Wien, in: Uj ember v. 10.2.1980, übersetzt von Sebastian Wildmann für: Filipowa’er Heimatbriefe v. Juli 1980, Heft 29, S. 75-78. – Dr. Georg Wildmann, Filipowaer im kulturellen und religiösen Leben Ungarns. Dr. Anton Lepold, in: Paul Mesli/ Franz Schreiber/ Georg Wildmann: Filipowa. Bild einer donauschwäbischen Gemeinde. Siebenter Band: Filipowa weltweit, Wien 1992, S. 63-66. – Anton Teppert, Geflohen, ausgewandert, heimgekehrt. Mein Leben in Jugoslawien, Brasilien und Deutschland, Redaktion, Illustrationen, Gestaltung und Co-Autor: Stefan P. Teppert, Selbstverlag, Meßstetten 2019, S. 115 f.

Bild: Archiv Freundeskreis der Filipowaer.

Stefan P. Teppert