Biographie

Leppich, Johannes

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Volksmissionar
* 16. April 1915 in Ratibor
† 7. Dezember 1992 in Münster/Westfalen

Johannes Leppich wurde in Ratibor (Oberschlesien), dem Haupt­­ort des gleichnamigen einstigen Herzogtums, der an dem wirtschaftlich-industriellen Aufschwung Oberschlesiens in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts teilgenommen hatte, geboren. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde der Stadt ein großer Teil ihres Hinterlandes genommen und das zum Kreis Ratibor gehörende Hultschiner Ländchen ohne (amtliche) Befragung der Bevölkerung der neugegründeten Tschechoslowakei zugesprochen. Doch Ratibor stieg zur Hauptstadt der jungen Provinz Oberschlesien auf und besaß 1939, im Jahr des Beginns des Zweiten Weltkrieges, 50.000 Einwohner, zu 90% katholische.

Der Vater von Johannes Leppich war Landarbeiter, brachte es aber bis zum Zuchthausaufseher und hatte mit seiner Frau sechs Kinder. Dennoch: „Schmalhans war Küchenmeister“, die kinderreiche Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen, und der Sohn Johannes lernte frühzeitig Not, Leid (Krankheit der Mutter) und Hunger kennen. Allen sozial-finanziellen Widrigkeiten zum Trotz besuchte er das Realgymnasium seiner Heimatstadt, ging in den Ferien zu Fuß und mit dem Fahrrad „auf große Fahrt“, nicht nur in die angrenzende Tschechoslowakei, sondern auch nach Serbien/Jugoslawien und Schweden, erweiterte (auch) dadurch seinen Horizont und legte 1935 die Reifeprüfung ab. Bald danach trat er in das Noviziat des Jesuitenordens zu Mittelsteine (Grafschaft Glatz) ein, musste dann aber für ein halbes Jahr zum Reichsarbeitsdienst und anschließend zur Wehr­macht, aus der er nach wenigen Wochen als „wehrunwürdig“ entlassen wurde, weil er Jesuit war. Nach den bei den Jesuiten generell sehr langen, aber kriegsbedingt verkürzten philosophischen und theologischen Studien, die er in Breslau, München und Wien absolvierte, erteilte ihm Erzbischof Theodor Kardinal Innitzer am 29. November 1942 die Priesterweihe.

Nach seiner Priesterweihe wirkte der junge Pater in seiner oberschlesischen Heimat in Gleiwitz und Beuthen als Jugendseelsorger und erlebte den Einmarsch der siegreichen Russen und deren Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Er blieb bei seinen bedrängten und geschundenen Landsleuten. Als die Sowjets Tausende Zivilgefangene in Heydebreck-Süd internierten, begab er sich freiwillig ins Lager, um ihnen als Priester Tröster und Helfer zu sein. Ende 1945/Anfang 1946 arbeitete er für die Jugendgemeinschaften im zerstörten Breslau und erbettelte bei den eingewanderten Polen Lebensmittel für die hungernden Deutschen, bis zur 1946 erfolgten Ausweisung.

Im Westen angelangt, wurde er der erste Pfarrer des damals sehr bekannten Zonenübergangslagers Friedland bei Göttingen, das für Tausende Kriegsheimkehrer und Flüchtlinge das Tor zur Freiheit war. Ende 1946 berief ihn Josef Kardinal Frings, Erzbischof von Köln und Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz, zum ersten Bundeskaplan der Christlichen Arbeiterjugend Deutschlands, und 1948 begann er mit der Hauptaufgabe seines Lebens, die ihn bekannt und berühmt gemacht hat. Leppich schreibt: „Nach dem deutschen Zusammenbruch strömten die Menschen zu den kirchlichen Veranstaltungen wie heute nur noch zum Fußballplatz. In diese Situation hinein begann ich mit meinen Predigten, denn ich hatte den Hunger gespürt, der überall nach dem lebendigen Wort Gottes aufgebrochen war. Die Kirchen füllten sich schnell, wenn ich sprach.“ (1985). Vor den Kirchentüren standen oder saßen auf Hockern und Stühlen alle, die in den Kirchen keinen Platz mehr gefunden hatten. Lautsprecher mussten helfen, und oft predigte der Pater auf Plätzen und „Märkten“, hinaufgeklettert auf Autodächer. Es hörten ihn Alte und Junge, Gläubige und Nichtgläubige, Besitzende und Nichthabende, Vertriebene und Einheimische, Kriegsheimkehrer und Kriegerwitwen, Frauen, die auf ihre noch in Gefangenschaft befindlichen Männer warteten. Kurz: Es kamen Menschen aus allen sozialen Schichten, um ihn zu erleben. Als erste Massenveranstaltung mit Pater Leppich gilt sein Auftritt am 29. Februar 1948 im Zirkus Bügler zu Essen, vor 5.000 Menschen.

Leppich wurde zum Massenprediger, war begeistert und wollte begeistern; wollte den Zuhörern „das Herz ritzen“ und sprach im Durchschnitt fünfmal pro Woche – als ein vorzüglicher, begnadeter Redner. Voller Schwung und Temperament, über die Gaben des Modulierens und Variierens verfügend, mit Fühlen und Denken am Puls der Zeit; mit der Soutane bekleidet, asketisch wirkend und den Blick besonders auf die Randständigen gerichtet. Mit seinen Predigten soll er etwa 15 Millionen Menschen erreicht haben. Im Jahre 1957 unternahm er eine Weltreise nach Südostasien, Ostasien und Nordamerika, wo er viel, ihn sehr bedrückendes Elend sah. Heimgekehrt organisierte er Hilfen gegen Armut und Not.

Man bezeichnete Leppich als „Maschinengewehr Gottes“ – eine missverständliche Formulierung, ging es ihm doch nicht um Töten und Niedermähen – und als „Trommler Gottes“. da er sehr viele Menschen anzog bzw. anlockte. Manche nannten ihn einen neuen Savonarola, nach dem feurig-revolutionären Ordensmann und Bußprediger der italienischen Renaissance; doch Leppich war kein Revolutionär.

Auf die Nachhaltigkeit seines Predigens bedacht, gründete Leppich in vielen Orten seines Wirkens Gruppen von bis zu zehn Personen, „Pater-Leppich-Kreise“, die schließlich im In- und Ausland etwa 20 000 Personen umfassten und den Namen „action 365“ trugen. Devise: An allen Tagen des Jahres Dienst am Menschen! 1971 spaltete sich die Bewegung.

Auf Leppichs Initiative gehen u.a. die SOS-Priester-Notruf-Plakette, die an Ortseinfahrten angebrachten Hinweisschilder mit den Gottesdienstzeiten und das Auslegen von Bibeln in Hotels und Krankenhäusern zurück. Die kraftvolle und machtvolle, die suggestive und drastisch-deutliche Sprache des Volksmissionars, sein kämpferisches und nicht auf die Kardinaltugend Mäßigung gerichtetes Wesen, stießen – verständlicherweise – auch auf Kritik und Widerspruch, führten zu Mahnung zu begrenzter Zurückhaltung durch Hierarchie und seinen Orden. Nach einem 1971 erlittenen Herzinfarkt schränkte Leppich seine Predigten ein, „blieb aber am Ball“.

Die Gesamtauflage von Leppichs Büchern beträgt etliche Hunderttausend. Sein 1956 unter dem reißerischen Titel Christus auf der Reeperbahn – Leppich predigte auch dort – im 1.-75. Tausend erschienenes Büchlein erreichte 1989 mit der 7. Auflage die Gesamtzahl von 430.000 Exemplaren. Aber jetzt, im Sommer 2017, liegt keines der Werke des Paters im Buchhandel bereit.

Den Menschen seiner Heimat Oberschlesien blieb Leppich zeitlebens eng verbunden. Er bewahrte sich seinen oberschlesischen Akzent, nahm oft an den Ratiborer Heimattreffen in der Patenstadt Leverkusen teil, predigte 1968 beim „Tag der Oberschlesier“ in der Grugahalle zu Essen und auch vor 12.000 Wallfahrtspilgern auf dem St. Annaberg im Jahre 1990. Die Landsmannschaft Schlesien zeichnete ihn 1987 mit dem „Schlesierkreuz“ aus.

Im Jahre 1989 zog der wortgewaltige, populäre und nicht uneitle Streiter für „die Sache Gottes“ in das Altersheim der Jesuiten „Haus Sentmaring“ zu Münster (Westfalen). Zwar konnte er am 29.11.1992 noch sein Goldenes Priesterjubiläum begehen, doch am 7.12.1992 starb er, 77 Jahre alt, in der Bistumsstadt. Die Beerdigung erfolgte auf dem Friedhof der vor Jahren aufgegebenen Ordensniederlassung.

Johannes Leppich aus Ratibor, Pater des Ordens der Jesuiten, der „Gesellschaft Jesu“, war eine der wirkungsmächtigsten ober­schlesischen Persönlichkeiten in drei oder vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Er war kein Modernist, und beim Blick auf zeitgeistkonformes kirchliches Anpassungsverhalten in Mitteleuropa hätte er wohl nicht Beifall geklatscht.

Werke: Pater Leppich spricht. Journalisten hören den „roten“ Pater“. Aufgezeichnet von Günther Mees und Günter Graf, Düsseldorf 1952. – Christus auf der Reeperbahn … Pater Leppich unterwegs, ebd. 1956. – Gott zwischen Götzen und Genossen, ebd. 1958. – Atheisten-Brevier, Kevelaer 1962. – Meditationen auf dem Asphalt, ebd. 1963. – Passiert, notiert, meditiert. Pater Leppich 50 Jahre Rückblende, Düsseldorf 1974. – Wir hatten denselben Schulweg, in: Für unser Schlesien. Festschrift für Herbert Hupka. Hrsg. von Helmut Neubach und Hans-Ludwig Abmeier, München, Wien 1985, S. 23-31.

Lit.: Emil Brzoska, Pater Johannes Leppich SJ 65 Jahre. Gottes Straßenprediger und Millionär für die Armen, in: Mitteilungen des Beuthener Geschichts- und Museumsvereins, Heft 42/44, 1980/1982, S. 174-179. – Pater Johannes Leppich 70 Jahre, in: Heimatbrief der Katholiken des Erzbistums Breslau 12, 1985, S. 44-45. – Pater Johannes Leppich SJ †, ebd. 20, 1993, S.14 (P) – Waldemar Zylla, P. Johannes Leppich SJ †, in: Oberschlesisches Jahrbuch 9, 1993, S. 319-321 (Nachruf, P). – Herbert Groß, Bedeutende Oberschlesier, Dülmen 1995, S. 359-361. – Bernhard Jungnitz, Johannes Leppich SJ (1915-1992), in: Schlesische Kirche in Lebensbildern, Bd. 7, hrsg. von Michael Hirschfeld, Johannes Gröger und Werner Marschall, Münster 2006, S. 190-200 (P). – Markus Trautmann, Mit Glaubensglut und Feuereifer. Werenfried van Straaten und Johannes Leppich – zwei charismatische Gestalten im deutschen Nachkriegskatholizismus, Vallendar 2009, 2. Aufl., ebd. 2011. – Franz Heiduk, Oberschlesisches Literatur-Lexikon, Teil 2, Berlin 1993, S. 99.

Bild: Porträt auf Totenzettel von P. Johannes Leppich,

Hans-Ludwig Abmeier, 2017