Biographie

Levi-Mühsam, Else

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Herausgeberin der Werke ihres Vaters Paul Mühsam
* 8. Mai 1910 in Görlitz
† 3. Juni 2004 in Jerusalem

Else Mühsam wurde in Görlitz geboren. Nach ihr kamen hier ihre Schwestern Lotte und Hilde zur Welt. Ihr Vater, Paul Mühsam, Rechtsanwalt und Dichter, war der Cousin von Erich Mühsam, der bereits 1934 im KZ Oranienburg ermordet wurde.

Elses Vater konnte zunächst seiner Frau Irma und seinen drei Töchtern ein angenehmes, sorgloses Leben bieten. Die Großeltern lebten im nahen Bautzen. Bei ihnen verlebten die drei Schwestern regelmäßig schöne Ferientage. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Paul Mühsam nach Berlin dienstverpflichtet und kam nur an den Wochenenden nachhause in die Bismarckstraße 4. In Berlin leitete er zwei Abteilungen im Zentralkomitee des Roten Kreuzes.

Else lebte bis zum Abitur im Elternhaus. Ein Onkel finanzierte ihr danach einen Studienplatz in Genf und einen mehrwöchigen Aufenthalt in Paris. Die junge Studentin hatte mehrere Studienfächer gewählt: Literatur, Philosophie und Völkerrecht. Doch die allgemein angespannte wirtschaftliche Lage zwang sie, ihren Berufswunsch, Bibliothekarin zu werden, zunächst aufzugeben. Um bald ihr eigenes Brot verdienen zu können, besuchte sie eine Handelsschule. Erste Berufserfahrungen gewann sie in Berlin, in Dresden und in Zwickau.

Weil sie Jüdin war, wurde ihr, wie den anderen jüdischen Kollegen des Betriebs, gekündigt. Ihr und ihrer Familie war bald klar, dass nur eine Emigration ihre Rettung sein könnte. Else nahm Arbeiten in einer Gärtnerei in Dresden, aber auch in Lothringen an, um auf das Leben in einem Kibbuz in Palästina vorbereitet zu werden.

Der Abschied von Deutschland fiel ihr sehr schwer, sie nannte ihn später die „schmerzhafteste Zäsur meines Lebens“. Inzwischen hatte auch ihre Familie Europa verlassen. In Haifa sah Else ihre Lieben zwar wieder, doch das Fremdheitsgefühl blieb bestehen. Zudem entsprach ihr das Leben in einem Kibbuz in keiner Weise. Sie fasste Mut und zog nach Jerusalem, das später einmal zu ihrer zweiten Heimat werden sollte. Doch der Anfang dort war schwierig und durch die arabischen Bedrohungen auch gefährlich. Zudem litt sie oft Hunger. Mit Gelegenheitsarbeiten fristete sie ein armseliges Dasein.

Das änderte sich, als sie im Jahre 1937 eine erste feste Anstellung im „Weltzentrum für jüdische Musik“ erhielt. Der Gründer dieser kulturell bedeutsamen Einrichtung war Dr. Salli Levi, mit dem sie sich bald ausgezeichnet verstand. Aus ihrer beruflich idealen Zusammenarbeit entstand Liebe, und sie heirateten. Die vielseitige Arbeit füllte Else aus und machte sie ebenfalls glücklich. Doch 1939, mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, endete diese ihr entsprechende Aufgabe. Wieder musste Else Gelegenheitsarbeiten annehmen. Endlich erhielt sie eine Stelle im Büro des Britischen Hauptquartiers und arbeitete dort bis zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Danach zogen die Engländer ab. 1951 starb Elses Mann. Wieder ein schwerer Verlust.

Erneut erhielt Else eine interessante Arbeit in einer Spezialabteilung der jüdischen Agentur für die berufliche Integration akademischer Eliten aus dem Ausland. Diese besondere Einrichtung hatte bisher in Israel gefehlt und für Elses Vater wie für andere aus der Bahn Geworfenen wurde sie jedoch zu spät gegründet. Paul Mühsam betrieb seit Jahren in Jerusalem einen Briefmarkenhandel, mit dem er sich und seine Frau knapp über Wasser hielt. Nebenher schrieb er seine tiefsinnigen philosophischen Bücher und seine inhaltschweren Gedichte. Der Tod seiner Frau und sein Alter zehrten an seiner Kraft. Bei den katholischen Nonnen, den Borromäerinnen, die aus seiner schlesischen Heimat stammten und in Jerusalem ein Krankenhaus unterhielten, fühlte er sich ein wenig heimisch. Er starb im Jahr 1960. Doch sein Werk, das natürlich in deutscher Sprache verfasst war, hatte in Israel keine Zukunft.

Als Else das Rentenalter erreicht hatte, kehrte sie nach Deutschland zurück. Ihr Ziel war es, das Werk ihres Vaters wieder bekannt zu machen, es dem Vergessen zu entreißen. Im Laufe der folgenden Jahre sollte es ihr gelingen, zwölf Bücher von Paul Mühsam herauszugeben: Der ewige Jude, Worte an meine Tochter, Gespräche mit Gott, Seit der Schöpfung wurde gehämmert an seinem Haus, Ich bin ein Mensch gewesen, Mein Weg zu mir und weitere Ausgaben, darunter auch eine Sammlung seiner Aphorismen, aus der hier zwei Beispiele folgen:

„Alles, was ich tue und denke, / wirkt sich auch in mir aus.“

„Alle Dinge haben nur soviel Glanz, / als du über sie hinstreust, / nur soviel Schönheit, / als du in sie hineinträumst, / nur so viel Wert, / als sie auf der Waage deines Urteils wiegen“.

Else Levi-Mühsams erste Station in Westdeutschland war Kettwig an der Ruhr. Bald nach ihrer Einreise erfuhr sie, dass im Jahr 1964 die Tagung des „Wangener Kreises – Gesellschaft für Literatur und Kunst: Der Osten“ dieses Mal in Heidelberg stattfinden würde. Dort hoffte sie Gehör für ihr Anliegen zu finden, denn ihr Vater hatte zur Vorgängervereinigung dieser Gruppe in Breslau Kontakt gehabt.

Ihre damalige Begegnung mit dem Wangener Kreis war eine erste, der noch viele folgen sollten. Auch schloss sie sich der „Esslinger Künstlergilde“ an. Inzwischen war sie in eine einfache Bleibe in Neubeuern am Inn gezogen. Wenige Jahre später wechselte sie nach Konstanz mit seiner noch jungen Universität. Hier hatte sie Zugang zu einer bedeutenden Bibliothek und lebte dazu in einer Landschaft, der ihr Vater mehrere Gedichte gewidmet hatte. Hier fand sie Gleichgesinnte im „Internationalen Bodenseeclub“ und brachte sich in der jüdischen Gemeinde der alten Konzilsstadt ein. Else wurde bald in der „Christlich-jüdischen Gesellschaft“ aktiv, und sie übernahm für viele Jahre die Leitung der dortigen Dr. Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek.

Von Konstanz aus brach sie häufig zu Lesungen aus dem Werk ihres Vaters und zu Vorträgen über ihn auf. Immer wieder war aber das „Deutsche Literatur-Archiv“ in Marbach ihr Ziel. Dort konnte sie ungestört im Nachlass ihres Vaters arbeiten und Buchveröffentlichungen vorbereiten. Sogar ihr großer Wunsch, die prächtige, vom Bombenkrieg verschonte Stadt ihrer Kindheit wiederzusehen, ging in Erfüllung. Nach der Wende begegnete sie auch in Görlitz Menschen, die sie freundlich aufnahmen und künftig an ihre während der Nazizeit verstoßenen Bürger erinnern wollten. Ihrem Vater wurde ein Paul-Mühsam-Weg gewidmet und Else wurde im Jahr 1992 zur Ehrenbürgerin ihrer Geburtsstadt ernannt.

Else Levi-Mühsam hatte in den Jahren ihrer Rückkehr nach Deutschland viel Zustimmung und Hilfe erfahren, was sie immer wieder dankbar betonte, wenn sie Rückschau auf ihr Leben hielt. Ihr 85. Geburtstag wurde im Mai 1995 in der Israelitischen Kultusgemeinde in Konstanz gefeiert. Es war zugleich ein Abschieds­fest. Kurz darauf kehrte sie zu ihren Schwestern und deren Familien und Freunden nach Israel zurück. Ihren Freunden in Deutschland blieb sie durch eine nie abreißende Korrespondenz bis zu ihrem Lebensende verbunden. Im Jerusalemer Moses-Elternheim fühlte sie sich bis zu ihrem Lebensende geborgen und zufrieden. Sie starb dort am 3. Juni 2004.

Bild: Wikimedia Commons, Thomas Uhrmann, Konstanz.

Monika Taubitz