Biographie

Lieven, Albert

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Schauspieler
* 23. Juni 1906 in Hohenstein/Ostpr.
† 17. Dezember 1971 in Farm Pine Tree, Surrey/England

Die Liévins, vermutlich Hugenotten, kamen wohl aus dem Ort gleichen Namens im französischen Departement Pas-de-Calais.

Schon Albert Lievens Urgroßvater (?), Carl Albert Liévin (1810-1881), war Arzt, der sich in Danzig 1836 niedergelassen und bei der Bekämpfung der Pocken- und Choleraepidemien große Verdienste erworben hatte. Die Neigung zur Medizin setzte sich bei seinem Großsohn (?), dem späteren Medizinalrat Dr. Walther Liévin fort, der nach Eröffnung der Lungenheilstätte Hohenstein Stadtwald (1903) dort die ärztliche Leitung übernahm.

Hier wurde auch dessen Sohn Albert geboren. Seine Schulbildung erhielt er zunächst auf einer Privatschule in Hohenstein, nach 1915 in Königsberg (Pr.) (Friedrichskolleg), dann in Neidenburg und schließlich in Allenstein (Kopernikus-Schule), wo sich der Vater nach 1918 als Facharzt für Lungenkrankheiten niedergelassen hatte. Der Grund zur Aufgabe seiner Arbeit in der Heilstätte war, daß die Patienten im Laufe jenes Revolutionsjahres gegen die Anstaltsdisziplin des Chefarztes aufbegehrten.

Mit dem Wunsch, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, begann Albert in Berlin das Medizinstudium, das er jedoch aus finanziellen Schwierigkeiten aufgeben mußte. Er wandte sich einem kaufmännischen Beruf zu. Um etwas Abwechslung zu haben, wirkte er als Statist an verschiedenen kleineren Berliner Bühnen mit, wobei er seine schauspielerische Begabung entdeckte. Nun ließ das Theater ihn nicht mehr los. Nach seinem Debüt am Hoftheater in Gera (1928-1929), jetzt unter seinem Künstlernamen Lieven, erhielt er von 1929 bis 1932 ein Engagement am Schauspielhaus in Königsberg (Pr.) unter Fritz Jeßner und wurde dann Mitglied des Ensembles des Preußischen Staatstheaters am Gendarmenmarkt in Berlin (1932/33), ein Höhepunkt in seiner Laufbahn auf der Bühne in Deutschland. Gastspiele zwischen 1933 und 1936 führten ihn u. a. nach Wien, Bremen und andere Berliner Theater.

Der Tonfilm entdeckte ihn erstmalig 1933. Hier debütierte er mit „Ich bei Tag und du bei Nacht“, dem noch 15 deutsche Filme folgten, u. a. „Reifende Jugend“ (nach dem Drama „Jugend“ von Max Halbe), wo er neben Heinrich George unter der Regie von Carl Froelich spielte. Der mit störrischer Anmut versehene junge Wandervogel, im besten Sinne romantische deutsche Jünglingstyp – so der große Theaterkritiker Friedrich Luft in seinem Nachruf auf ihn – war vom Film gefragt. So entstanden mit ihm u. a. „Eine Siebzehnjährige“, „Hermine und diesieben Aufrechten“, „Die klugen Frauen“, „Frau ohne Bedeutung“, „Krach um Jolanthe“, „Mach’ mich glücklich“, „Abel mit der Mundharmonika“ (nach der Erzählung von Manfred Hausmann).

Wegen seiner jüdischen Frau, der Schauspielerin Petra Peters, mit der er in zweiter Ehe verheiratet war, emigrierte er 1936 über Paris, wo er in den Berliner Jahren schon einmal gedreht hatte, nach England. Bereits nach vier Monaten in London waren die sprachlichen Schwierigkeiten überwunden. 1937 kam sein erstes Bühnenengagement am Lyric Theatre in London in dem Stück „Victoria Regina“. Es war dort ein sensationelles Debüt für ihn. Später ging er im gleichen Stück, jedoch in anderer Rolle, auf Tournee; auch am Wyndham Theatre in London spielte er.

Von 1939 bis 1952 hatte Lieven einen festen Kontrakt mit der J. Arthur Rank Organisation. Dort entstanden Filme wie „Nachtzug nach München“ und „Der siebente Schleier“, die internationale Bekanntheit erreichten. Von seinen in England gedrehten Filmen seien u. a. genannt „The Lisbon Story“, „English without Tears“, „Young Mr. Pitt“, „Life and Death of Colonel Blimp“, „Jeannie“, „Fiesta“, „Beare of Pity“, „Sleeping-Car to Triest“, „Hotel Sahara“ und „Desperate Moment“, aus der Nachkriegszeit „Verschwörung des Herzens“ mit Lilli Palmer, „The guns of Navarone“, „Foxhole in Cairo“, „Deathrap“, der in Afrika gedrehte „Ride the High Wind“ und etliche mehr.

Nach 1951 spielte Lieven wieder in deutschen Streifen. Sein Comeback hatte er neben Liselotte Pulver in „Corry Bell“. Es kamen Rollen in „Die Dubarry“, „Klettermaxe“, „Fritz und Friederike“, „Die Rose von Stambul“, „Geliebtes Leben“, „Das Bekenntnis der Ina Kahr“, „Des Teufels General“, in dem Remake „Reifende Jugend“, „Nacht der Entscheidung“, „Alle Sünden dieser Welt“, „… und abends in der Scala“, um nur einige zu nennen.

Zählt man alle Filme zusammen, kommt man auf gut 80 deutsche, englische, französische und amerikanische, in denen er mitgewirkt hat. Dazu sind zu erwähnen mehr als 60 Fernsehrollen, darunter „Tatort“, „Kidnap“, „Ein netter Herr“, „Wie ein Blitz“, in England „The Captain of Köpenik“, „Anna Karenina“, „Dr. Korczak and the Children“, „Darkness at Noon“ u. a.m.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er bei der BBC in Auslandsdienst als Nachrichtensprecher und Reporter. 1948 ging er nach New York und trat am Broadway auf. Seine Theatergastspiele führten ihn in die Sowjetunion, durch die USA und nach Nordafrika. 1952 war er auf den Brettern des Prince of Wales Theatre wie auch des Hippodrome Theatre in London zu finden.

1956 ging er mit Lil Dagover auf Tournee, 1967 spielte er in der Uraufführung von Hochhuths „Soldaten“ an der Freien Volksbühne in Berlin mit.

Er war ein verläßlicher, unaufwendig genauer Arbeiter und eine sympathische Persönlichkeit. Trotz seiner vielen Nachkriegsengagements in Deutschland zog es ihn immer wieder zu seiner Farm in England, deren Landschaft ihn in vieler Weise an seine ostpreußische Heimat erinnerte. Er liebte die Gartenarbeit. Zu seinen Hobbies gehörte die Übertragung deutscher und englischer Bühnenstücke in die jeweils andere Sprache.

Seine letzte Deutschlandtournee 1971 mit „Cher Antoine“ von Anouilh mußte er wegen eines Krebsleidens absagen. Er starb am 17. Dezember 1971 in seiner Wahlheimat England. Albert Lieven war viermal verheiratet: mit den Schauspielerinnen Tatjana Lieven, Valerie White, Susan Shaw und Petra Peters. Aus der ersten Ehe entsproß ein Sohn, eine Tochter aus der dritten.

Lit.: Allensteiner Heimatbrief Nr. 173/Dezember 1976, aus: Munzinger-Archiv/Internat. Biograph. Archiv 12.2.72 – Lief. 6/7-K-2288a. – Günter Boretius (Bearb.), Die Kartei Quassowski Buchstabe L, Hamburg 1992. – Klaus Bürger (Bearb.), Lungenheilstätte Hohenstein, in: Kreisbuch Osterode Ostpreußen, Osterode (Harz) 1977. – Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg, Band III, Köln 1981. – Iselin Gundermann, Albert Lieven, in: Christian Krollmann (Hrsg.), Altpr. Biographie Band I, Marburg/Lahn 1974. – W. E. Harich Nachf. GmbH, Allenstein (Hrsg.), Adressbuch für die Regierungshauptstadt und den Landkreis Allenstein, Ausg. 1927. – Friedrich Luft, Albert Lieven – Ein Nachruf, in: Paul Kewitsch (Hrsg.), Bausteine zur Kultur – Allensteiner Profile, Sonderdruck des Allensteiner Briefes, o.O. (Gelsenkirchen) 1975. – Meyers Konversations-Lexikon, 6. Aufl., 12. Band, Leipzig/Wien 1908. – Friedwald Moeller, Amtsblatt der Königl. Preußischen Regierung zu Danzig, Personenkundliche Auszüge 1834-1870, Hamburg 1995. – Silke Osman, Mit stürmischer Anmut – Zum Geburtstag des Schauspielers Albert Lieven, in: Der redliche Ostpreuße 2006. – Walter Westphal, Albert Lieven, in: Osteroder Zeitung Nr. 86/1996.

Bild: Privatarchiv des Autors.

Ernst Vogelsang