Biographie

Lindner, Ernst

Herkunft: Ungarn
Beruf: Heimatdichter, Sprachforscher
* 27. Dezember 1826 in Leibitz/Kesmark
† 23. September 1902 in Budapest

Ernst Lindner war ein vielseitiger und universell gebildeter Erzieher, Heimatdichter und Sprachforscher. Er wurde in Leutschau, der Heimatstadt seiner Mutter, die der angesehenen Familie Justus entstammte, geboren. Sein Vater zog bald nach Kesmark, und so wuchs Ernst Lindner hier auf und besuchte nach der Volksschule auch das deutsche Lyzeum. Auf Anregung eines seiner Lehrer, des Sprachforschers Paul Hunfalvy, vertiefte er sich in die griechische Sprache und Literatur und versuchte sich hier schon in Übersetzungen. Zunächst studierte er in Kesmark an der dem Lyzeum angeschlossenen Rechtsakademie Jura, ging dann nach einem Jahr nach Wien, um an der Universität Medizin zu studieren. Mit einem Studienkollegen eröffnete er, wie es damals nach Vinzenz Prießnitz in Gräfenberg/Schlesien in Mode gekommen war, eine Kaltwasserheilanstalt, die sich aber nicht lange hielt. Da er wegen der Revolutionskämpfe in Ungarn 1848 nicht nach Hause konnte, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt in Leipzig als Übersetzer griechischer Klassiker. Später erteilte er in Halle und Jena studierenden Landsleuten Unterricht in Englisch und konnte ihnen auch sonst beratend helfen.

Im Jahre 1850 kehrte er in seine Heimat zurück und wurde am Collegium in Eperies (Prešov) Professor für griechische Sprache. Danach wirkte er von 1855–1859 vier Jahre am heimatlichen Lyzeum (inzwischen Gymnasium) in Kesmark und unterrichtete deutsche Sprache und Literatur. In dieser Zeit begann Ernst Lindner, sich mit der Zipser Mundart zu beschäftigen und erste Mundartgedichte zu schreiben.

Das Leben Ernst Lindners zeichnete sich durch Ruhelosigkeit aus. Im Herbst 1859 wurde er wieder an das Kollegium nach Eperies berufen und unterrichtete dort in verschiedenen Sprachen. Doch er blieb wieder nur ein Jahr, bereiste Italien und war im Jahre 1861 als ungarischer Sprachlehrer an der Krauseschen Mädchenerziehungsanstalt in Dresden tätig. Auf Empfehlung seines Freundes, des bekannten Sprach und Literaturhistorikers Karl Julius Schroer, wurde Lindner 1862 als Professor an die evangelische Realschule in Wien berufen, wo er bis 1864 blieb.

Von Wien aus sandte er seine Gedichte als „Fliegende Blätter in Zipser Mundart“ in seine Heimat; sie machten ihn schnell zu einem „berühmten, auch im Auslande bekannten Dichter, der, als er heimkehrte, in der Zips überall gefeiert wurde.“ Im Jahre 1864 wurde er an das neuerrichtete Gymnasium in Zipser Neudorf berufen, verbrachte aber viel Zeit in seiner Heimatstadt Kesmark und widmete sich seinen dichterischen und sprachwissenschaftlichen Arbeiten.

Ab 1867 erhielt er durch Vermittlung von Paul Hunfalvy eine feste Anstellung in der Bibliothek der ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest und wurde 1875 zum Bibliothekar ernannt. Er heiratete und beendete damit die Rastlosigkeit seines Lebens.

In Budapest gehörte er zu den Gründern des „Zipser Vereins“ und wurde 1892 „in Anerkennung seiner um die Zips erworbenen unvergänglichen Verdienste“ zum „lebenslänglichen Ehrenmitglied“ gewählt.

Ernst Lindner blieb seiner deutschen Muttersprache stets treu und verfaßte volkstümliche Gedichte in seiner Zipser Mundart. Das erste Mundartgedicht „Der Karfunkelturm oder Teikels Suhn von Schloß“ wurde 1854 in Leutschau als Flugblatt gedruckt. Seine 60 Gedichte umfassenden „Fliegenden Blätter in Zipser Mundart“, die im Jahre 1864 in Wien als Buch erschienen, brachten ihm im In und Ausland viel Anerkennung und machten Ernst Lindner „mit einem Schlage zu dem beliebtesten Dichter der Zips“. Mathias Firmenich nahm den „Karfunkelturm“ in seine Sammlung der deutschen Mundarten auf und die Dichter Friedrich von Bodenstedt und Josef Victor von Scheffel korrespondierten mit ihm.

In einer zweiten Auflage unter dem Titel „Fartblihndijer Zepserscher Liederposchen“ brachte er seine Gedichte 1879, geordnet in Erzählungen, Idyllen, Lieder und Balladen, heraus. Daraus sind besonders hervorzuheben: „Der fliegendije Minnich“ und „Der Maun (Mond)en der Popper“ – eine Urform des „Bejler Steckels“. In seinen Texten traf er „die Stimmung des Zipser Oberlandes und seiner Menschen.“ Karl Julius Schröer lobte „das feine Gefühl für die Echtheit mundartlicher Ausdrucksweise und Richtigkeit der Darstellung der Laute.“

In den achtziger Jahren veröffentlichte Ernst Lindner im „Zipser Boten“ noch einige Mundartgedichte, von denen vor allemdas vom „Käisenmarker Tutterhorn“ Beachtung verdient. Überhaupt waren die Zeitungen „Zipser Bote“ und „Zipser Anzeiger“ von 1863 bis 1900 seine beliebten Veröffentlichungsorgane, in denen er von seinen Lesern sehr geschätzt wurde. Auch in der angesehenen Tageszeitung „Pester Lloyd“ erschienen viele Texte von ihm. In Budapest machte er sich einen Namen als Übersetzer ungarischer Gedichte ins Deutsche, darunter der Werke der verehrten Dichter Ungarns: Petöfi, Arany, Levay und Garay.

Das Ziel des Sprachforschers Ernst Lindner war es, eine Grammatik der Zipser Mundarten zu schaffen. Dafür trieb er umfangreiche Studien, die er leider nicht zum Abschluß bringen konnte. So sind in seinem Nachlaß, der sich in der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest befindet, wertvolle Arbeiten zu finden: „Vorläufiger Entwurf eines Schriftsystems zur Bezeichnung der Laute der Zipser und Gründner Mundarten“, „Vorläufige Schriftbestimmungen für die Laute der Gründner Mundarten“, „Vorläufige orthographische Bemerkungen“, sowie „Wörterbuch der Oberzipser Mundarten“ (zwei Teile und eine Silbentabelle; über 2.000 Wörter wurden erfaßt und bearbeitet).

Er galt als eine der hervorragenden dichterischen Begabungen der Zips, stand in seiner volksnahen und lebendigen Sprache Johann Peter Hebel und dem niederdeutschen Dichter Klaus Grothe nahe. J. P. Hebels Alemannische Gedichte (37) übersetzte er in die Zipser Mundart.

Als Ernst Lindner am 23. September 1902 in Budapest starb, hinterließ er ein reiches Erbe wichtiger sprachlicher Zeugnisse deutscher Kultur im Osten Europas.

Lit.: Jörg Meier: Untersuchungen zur deutschsprachigen Presse in der Slowakei, Leutschau 1993. – P. Rainer Rudolf (u.a.): Karpatendeutsches Biographisches Lexikon, Herborn 1988.

Bild: Gedenktafel, angebracht an seinem Vaterhaus in Kesmark/Zips.

Hans Kobialka