Biographie

Linhart, Friedrich

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Forstmeister
* 6. März 1903 in Zwittau/Mähren
† 17. September 1987 in Würzburg

Der Lebenslauf von Friedrich Linhart ist charakteristisch für die Mehrheit der akademischen Jugend, geboren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Er war ein Nachkomme jener Siedler, die im 12. Jahrhundert als Bauern, Handwerker und Bergleute im Zuge der Ostsiedlung hier die ersten Städte gründeten.

Friedrich Linhart wurde am 6. März 1903 in Zwittau (slow. Svitovy) im damaligen Kronland Österreichisch-Schlesien als Sohn des Küfermeisters und Landwirts Johann Linhart geboren. Seine Vaterstadt – gelegen am Fuße der Böhmisch-Mährischen Höhe (heute rund 18.000 Einwohner) – wurde um 1250 durch die Bischöfe von Olmütz als Siedlung mit deutschem Recht gegründet. Hier besuchte er 1914 bis 1921 das Realgymnasium, das er mit Auszeichnung absolvierte. Nun verließ er die 1918 neu geschaffene Tschechoslowakei, um an der renommierten Hochschule für Bodenkultur in Wien – der „Alma mater viridis“ – Forstwissenschaften zu studieren (1921-1923). Nach dem Vorexamen in Wien entschloss er sich mit nur wenigen Gesinnungsgenossen, in die alte Heimat Mähren zurückzukehren, um das tschechoslowakische Staatsexamen zu erwerben, waren doch die Chancen für seinen gewählten Beruf in den großen Waldgütern der Slowakei größer als in dem inzwischen arg verstümmelten und geschrumpften einstigen Kaisertum Österreich. Das bedeutete ein Weiterstudium (1924-1926) an der Hochschule für Land- und Forstwirtschaft (Bodenkultur) in Brünn (Brno), der Hauptstadt des Südmährischen Gebietes; die zweite (große) Staatsprüfung schloß er mit Auszeichnung als Diplom-Forstingenieur Technischen Universität ab. In den Jahren 1926 bis 1928 leistete er den Wehrdienst bei der Artillerie der Tschechoslowakischen Republik ab und wurde als Unterleutnant entlassen.

Im selben Jahr 1928 erfolgte seine Übernahme in den Staatsforstdienst und so kam er als junger Mann – wunschgemäß – in den Osten der Slowakei (Ruthenien, heute Karpatenukraine genannt). Hier sollte er die Tradition der altösterreichischen Forstleute weiterführen, war doch die Erschließung der Urwaldungen im Osten und im Süden der alten Monarchie ein besonderes Ruhmesblatt der grünen Gilde gewesen; von 1928 bis 1932 sollte er erfolgreich an der Forstdirektion Butschina wirken. Hier widmete er sich der Holzbringung durch Flößerei, dem Waldbahnbau und der Einführung eines modernen Forststraßenbaues. Die Beziehung der karpatendeutschen Minderheit zur slowakischen und ruthenischen Bevölkerung war damals im wesentlichen spannungsfrei und in keiner Weise problembelastet wie das Verhältnis der Sudetendeutschen zu den Tschechen. Die deutschen Forstfacharbeiter dieses Großraumes – Nachkommen der 1775 bzw. 1812 als Holzfäller und Flößer aus dem Salzkammergut ins Land gerufen – gründeten hier mehrere Dörfer und wurden gesuchte Spezialisten im Bereich der Flößerei, nicht nur im einstigen Nordungarn, sondern bis hin in die galizischen und rumänischen Karpatengebiete. Auch diese Gegebenheiten sollten zum vielseitigen Erfolg des jungen mährischen Forstmannes in den Waldkarpaten beitragen.

Im Jahre 1932 wurde F. Linhart Beamter auf Lebenszeit und legte im selben Jahr das sog. „Ministerialexamen“ für den forsttechnischen Dienst in Prag ab. Nun wurde er Forstmeister an der Forsteinrichtungsanstalt in Brandeis an der Elbe – Altbunzlau (tschech. Brandys nad Labem – Stara Boleslav) im Mittelböhmischen Gebiet, wo er bis 1938 tätig war. Seine Aufgabe bestand in der forstlichen Betriebsregelung der Waldungen der zur Forstdirektion Brandeis gehörenden Forstämter. In dieser Zeit heiratete er 1934 die Medizinstudentin Angela Grohmann aus Plan bei Marienbad; das junge Paar wohnte nun in der sog. „Residenz“, einer Art Dependence des Brandeiser Schlosses, in der auch Erzherzog Karl (der spätere Kaiser Karl I.) mit seiner Frau Zita gewohnt hatte, als er dort bei den Dragonern diente.

Im Herbst 1938 wird Linhart vom Prager Ministerium zum Amtsvorstand des nordböhmischen Forstamtes Teichstatt bei Rumburg ernannt. Nachdem die Sudetenkrise zum Abschluß des Münchner Abkommens (29./30.9.1938) geführt hatte und die deutschsprachigen Gebiete Böhmens, Mährens und Schlesiens von der Tschechoslowakei abgetrennt und dem Deutschen Reich zugeschlagen worden waren, übernahm man F. Linhart in den deutschen Staatsforstdienst; der Reichsforst- und Jägermeister Hermann Göring übertrug Linhart das einst von ihm eingerichtete Fichtenforstamt Neudek im Egerland. Das schroffe Auftreten mancher reichsdeutscher Beamten aus der Zentrale der Hauptstadt Reichenberg des Reichsgaues Sudetenland mißfiel dem redlichen Forstmann Linhart. Er äußerte sich diesbezüglich später, „daß Schuld an dem Versagen … wohl auch die chronische Überheblichkeit der Deutschen gegenüber den Völkern des Ostens war“.

Das nicht spannungsfreie Verhältnis zwischen sudeten-deutschen und reichsdeutschen Forstleuten sollte dazu führen, daß Linhart es ablehnte, in dem 1939 entstandenen Protektorat Böhmen und Mähren (Gebiete der „Rest-ČSR“) als sog. „Berater“ im Prager Ministerium tätig zu sein, obwohl er dadurch bis Kriegsende u.k. (unabkömmlich, also vom Kriegsdienst befreit) gestellt worden wäre. Dazu schrieb er: „Recht muß Recht bleiben. Wenn die Sudetendeutschen 20 Jahre lang ihre gewaltsame Einbeziehung in die ČSR als Unrecht empfunden und angeprangert haben, so kann ich als anständiger Mensch das Unrecht, das die Deutschen mit dem Überfall auf die Resttschechei und mit ihrer Verwaltungspraxis in diesem Lande begangen haben und laufend begehen, nicht gutheißen. Ich würde es aber vor den Augen der Welt tun, wenn ich jetzt zur deutschen Forstaufsicht ins Protektorat ginge!“ Linhart mußte Konsequenzen ziehen: 1941 bis 1943 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und an die Ostfront geschickt (Krim, Litauen, Polen). Im April 1943 erfolgte die Überstellung zum Ostministerium und seine Ernennung zum Forstmeister im „Generalgouvernement“. Das erste Jahr verbrachte Linhart im ausgesprochenen Partisanengebiet des Forstamtes Bilgoraj und nach dessen Räumung einen weiteren Winter in einem westpolnischen Forstamt. Sein Bestreben während dieser Zeit war es, „wenigstens einen Funken Ansehen für die Deutschen zu retten.“ So versuchte er, seine polnischen Mitarbeiter so weit wie möglich vor dem Zugriff von SS und Gestapo zu schützen. Noch 1968 erinnert sich ein ehemaliger polnischer Untergebener: „Er hat namentlich viele Leute aus dem KZ-Lager in Majdanek bei Lublin gerettet unter der Begründung, daß sie für dringende Arbeiten im Wald nötig sind.“

Nach Kriegsende 1945 bis zur Vertreibung aus der alten Heimat, lebte Linhart mit seiner Familie wieder im heimischen Neudek, wo er als „technische Kraft“ dem tschechischen Forstamtsleiter zur Seite stand.

Aus dem Sudetenland vertrieben, gelang dem passionierten Forstmann bei bescheidener Tagegeldvergütung von 9 RM und in primitiven Wohnverhältnissen der Einstieg in den Bayerischen Forstdienst im Bereich des Forstamtes Immenstadt im Allgäu (1946-1948). Es blieb ihm – wie den anderen Heimatvertriebenen des höheren Forstdienstes – nicht erspart, 1949 erneut das Staatsexamen (Ergänzungsprüfung) ablegen zu müssen. Das herausragende Prüfungsergebnis öffnete ihm nicht nur den Einstieg in den höheren Dienst der Bayerischen Staatsforstverwaltung als Amtsvorstand (Forstdirektor) an den unterfränkischen Forstämtern Mellrichstadt (1950) und Schweinfurt (1951), sondern machte seine Vorgesetzten auch auf seine hervorragenden Qualitäten aufmerksam. Schon nach nur 1 ½ jähriger Forstleitertätigkeit wurde ihm 1951 die Leitung des Sachgebietes Nichtstaatswald und Wald-Erschließung am damaligen Regierungsforstamt (Forstdirektion) Unterfranken in Würzburg anvertraut (1951-1961), wo er es bis zum Oberregierungsforstrat (Leitender Forstdirektor) brachte. Hier sollten ihm seine reichen Erfahrungen im forstlichen Transportwesen aus den Waldkarpaten zugute kommen. Als Sachgebietsleiter an der Oberforstdirektion hat Linhart schon Mitte der 1950er Jahre als erster im Bundesgebiet den forstlichen Wegebau von der kosten- und lohnaufwendigen Setzpacklage geradezu revolutionierend auf die vollmechanisierte Mineralbeton-Schüttweise umgestellt. Er hat der Bayerischen Staatsforstverwaltung damit Kosten in vielfacher Millionenhöhe eingespart und die Voll-Erschließung des Bayerischen Staatswaldes (828.000 ha) in einem Bruchteil der ursprünglich dafür angesetzten Zeitspanne ermöglicht. Der Name Friedrich Linhart bleibt mit dieser entscheidenden auch weit über die Grenzen Bayerns hinaus noch wirkenden Großtat untrennbar verbunden.

Die Krönung seiner beruflichen Laufbahn war die Ernennung zum Regierungsdirektor (1962) und dann zum Forstpräsidenten (1963) der bis dahin größten Oberforstdirektion der Bundesrepublik Deutschland in Regensburg (755.000 ha Wald, davon 194.000 ha Staatswald), umfassend die beiden Regierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz. In dieser Zeit kamen auf das Forstwesen Ostbayerns immer mehr neue Aufgaben zu, wie z.B. Fragen der Raumordnung und Landesplanung, der Landespflege und Wasserwirtschaft, Fragen der Erholung und Freizeitgestaltung usw. Neben der vorbildlichen Bewältigung dieser neuen Aufgaben hat sich Forstpräsident Linhart mit der Planung, Gestaltung und dem Bau (1962-1968) eines großzügig konzipierten und auf Jahrzehnte hinaus zweckentsprechenden Oberforstdirektion-Gebäudes ein bleibendes Denkmal gesetzt; seit Kriegsende bis 1968 mußte die Oberforstdirektion in einem Flügel des Schlosses der Fürsten von Turn und Taxis Unterkunft finden.

Im altösterreichischen Geiste ausgebildet, wurde Linhart immer als fair und liebenswert, sachlich und stets unbürokratisch geschildert. Von Regensburg aus bemühte er sich um nachbarschaftliche Beziehungen zu den Forstbehörden der Tschechoslowakischen Republik. So sind die fast zur Selbstverständlichkeit gewordenen Exkursionen des Bayerischen Forstvereins in die sehenswerten Wälder des Nachbarlandes und die Besichtigungsfahrten in die sterbenden Wälder des Erz- und Riesengebirges nicht zuletzt seiner Initiative als „Wegbereiter“ zu verdanken.

Nach seiner Pensionierung im April 1968 verbrachte Linhart den Lebensabend mit seiner Frau in Würzburg, wo er am 17. September 1987 nach einem Badeunfall verstarb. Nach seinem Tode veröffentlichten seine drei Söhne das Buch „Ein Mann aus Zwittau“ (1995); es sind die Lebenserinnerungen eines verdienstvollen Forstmannes, eines wahren Europäers. Das Buch stellt insgesamt eine persönliche Ergänzung des Werkes „Geschichte des Forstwesens in Böhmen, Mähren und Schlesien“ von Dr. H. Schrötter (1993, 2003) dar. Für jeden Geschichtsbewußten ist dieses autobiographische Werk eine reiche Fundgrube.

Abschließend sei hervorgehoben, daß F. Linhart den völkerversöhnenden Beitrag symbolisiert, den die sudetendeutsche Volksgruppe auch für das bayerische Forstwesen zu erbringen vermochte. Doch er war nur einer der vielen Sudetendeutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der neuen bayerischen Heimat Spitzenleistungen im Forstwesen erzielten. So seien Auszugsweise noch erwähnt: Oberforstmeister Franz Ahne – Leiter der ersten „Waldbauernschule“ Bayerns (1946); Dr. Otto Bauer (*1931) – Ministerialdirektor; Dr. Otto Seitschek (1931-2001) – Ministerialdirigent; Reinhold Erlbeck (*1941) – Ministerialdirigent, u.a.m. In der erst 1952 wiederhergestellten Staatsforstverwaltung Bayerns waren 21% der Beamten Heimatvertriebene. Auch außerhalb Bayerns sollten aus dem Sudetenland stammende Forstleute die Geschicke des Forstwesens so mancher Bundesländer gestalten; erwähnt sei hier z.B. Dr. Helmuth Schrötter (*1932) – Oberlandforstmeister a.D. Mecklenburg-Vorpommerns.

Lit.: AFR (Archiv der Forstdirektion Regensburg): Personalakt L. – R. Erlbeck: Ein Mann aus Zwittau. Buchbesprechung in: Forstinfo 21 (1995), S. 4. – F. Linhart: Zur Ablösung von Nutzungsrechten an gemeindeeigenen Mittelwäldern, in: Der Bauernwald, 1955. – Ders.: Der Waldwegbau in Unterfranken, in: Jahresberichte der Bayerischen Forstverwaltung 1959. – Ders.: Oberforstdirektion Regensburg. Die Geschichte des Waldes und der Organisation der Forstverwaltung. Sonderausgabe der Mittelbayerischen Zeitung, Regensburg 1968. – Ders.: Ein Mann aus Zwittau. Leben zwischen slawischen Völkern in Frieden und Krieg, Obertshausen 1995. – R. Rösler: 250 Jahre Bayerische Staatsforstverwaltung, in: Oberpf. Heimat 45 (2001), S. 159-172. – Ders.: Vom Oberforstmeister der Oberen Pfalz bis zum Leiter der Forstdirektion Niederbayern-Oberpfalz, in: Mitteilungen aus der Bayerischen Staatsforstverwaltung 51 (2002), H. 2, S. 597-622. – H. Rubner: Hundert bedeutende Forstleute Bayerns (1875 bis 1970), in: Mitteilungen aus der Staatsforstverwaltung Bayerns 47 (1994), S. 131-132. – Ders.: Deutsche Forstgeschichte 1933-1945. Forstwirtschaft, Jagd und Umwelt im NS-Staat, St. Katharinen 1997 (2. Aufl.). – A. Schlindwein: Forstpräsident a.D. Dipl.-Ing. Friedrich Linhart verstorben, in: Informationen der Bayerischen Staatsforstverwaltung 4 (1987), S. 26. – A. Schlögl: Landtagsrede vom 16. und 17.9.1952, in: Der bayerische Forstbeamte 10/11 (1952). – H. Schrötter: Deutsches Forstwesen in Böhmen, Mähren und Schlesien, Eberswalde 1993; T. 2: Neu-Brandenburg und Schwerin, 2002. – J. Wahler: Die Organisation der unterfränkischen Staatsforstverwaltung 1822-1952, Würzburg 1952.

Bild: Privatarchiv des Autors

Rudolf Rösler