Biographie

Lipinski-Gottersdorf, Hans

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 5. Februar 1920 in Leschnitz/ Kr. Groß Strehlitz
† 3. Oktober 1991 in Köln

Noch Jahre nach dem Krieg, so erzählte Hans Lipinsky-Got­ters­dorf einmal in Köln, habe er Briefe aus Oberschlesien bekommen, er möge doch nach Polen heimkehren, da er selbst Pole sei. Er habe dann immer geantwortet: „Ich bin ein Preuße und hier fremd. Ich möchte es bleiben dürfen.“

Das Gut Gottersdorf, seit 200 Jahren im Familienbesitz, ist ur­alt. Schon Friedrich der Große (1712-1786) hat 1762 den Li­pinskys, die den preußischen Königen Offiziere und Beamte stell­ten, den Adelsstand bestätigt. Die Ahnenreihe kann bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden, noch heute ist auf dem Friedhof von Gottersdorf das Grab der Vorfahren Adam (1773-1845) und Eva Lipinsky (1797-1845) zu sehen. Geboren wurde der Autor in der oberschlesischen Bergmannstadt Leschnitz am Annaberg, aufgewachsen aber ist er bis 1932 in Stolp/Hinter­pommern, wo sein Vater Robert als Jurist am Gericht arbeitete, dann aber erbte er von einem unverheirateten Onkel das Gut Gottersdorf und kehrte nach Oberschlesien zurück. Sohn Hans besuchte 1932/36 eine Internatsschule in Kreuzburg/Oberschle­sien und machte danach eine Landwirtschaftslehre auf verschie­denen Gütern. Mit Kriegsbeginn wurde er Soldat, wurde an der Ostfront eingesetzt und geriet 1945 im böhmischen Karlsbad in amerikanische Gefangenschaft, aus der er 1947 in Bad Segeberg/Schleswig Holstein entlassen wurde. Eigentlich hätte er den oberschlesischen Familienbesitz übernehmen sollen, doch die Geschichte entschied anders und machte ihn, den Preußen „nach Herkunft, Entwicklung und Überzeugung“, 1945 heimatlos.

Nachdem er seine Kriegsverwundung auskuriert hatte, ging er auf Arbeitssuche nach Köln im Rheinland und arbeitete als Bauarbeiter und in einer Chemiefabrik in Köln-Kalk. Während der Zeit der Arbeitslosigkeit heiratete er, im Sommer 1949, seine Frau Minne, die als Bibliothekarin arbeitete, im Herbst begann er zu schreiben. Seine erste Erzählung Ostdeutsche Weihnacht 1944 erschien am 22. Dezember 1950 in der Rheinischen Zeitung. Zwischen 1952 und 1955 wurden sieben Erzählungen von ihm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Sein erster Erzählungsband Wanderung im dunklen Wind (1953), dem bis 1989 noch 18 weitere folgen sollten, er­schien im Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, wo die aus der Grafschaft Glatz in Schlesien stammende Dagmar von Mutius (1919-2008), selbst Schriftstellerin, als Lektorin arbeitete, mit ihr verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Als Herausgeber beteiligt, neben Marianne Bruns, Heinz Rusch und Johannes Weidenheim, war er auch an der Anthologie Deutsche Stimmen 1956. Neue Prosa und Lyrik aus Ost und West (367 Seiten), die damals gleichzeitig im Kreuz-Verlag/ Stuttgart und im Mitteldeutschen Verlag/Halle erschien. Die Erzählung Finsternis über den Wassern (1957), geschrieben nach einer Fangreise auf dem Fischdampfer „Hannover“ im Herbst 1956, die ihn berühmt machte, wurde noch im Erscheinungsjahr mit dem Preis der Bremer Hochseefischerei ausgezeichnet.

Von seiner großen Romantrilogie Die Prosna-Preußen erschien nur der erste Band (1968) mit dem Titel Das Dominium, obwohl der Autor von Freunden und vom Verlag bis zu seinem Tod 1991 bedrängt wurde, das oberschlesische Epos zu vollenden. Die Prosna im Titel des Romans ist ein Fluss in Oberschlesien, der in die Warthe mündet. Er bildete bis 1918 die Grenze zwischen den Kaiserreichen Deutschland und Russland, zu dem das Königreich Polen damals gehörte. Beschrieben wird der Niedergang von 1870/71 bis 1908/09 einer oberschlesischen Adelsfamilie mit deutschen und polnischen Vorfahren in der Grenzregion zu Polen. Der in Bolatitz/Oberschlesien geborene Schriftsteller August Scholtis (1901-1969), das große Vorbild für Hans Lipinsky-Gotterdorf, bezeichnete dieses Buch als „vielleicht … wichtigsten Roman aus Schlesien seit dem En­de des Ersten Weltkrieges“. Vorbild dafür waren vornehmlich sein Roman Ostwind (1933) und seine Autobiografie Ein Herr aus Bolatitz (1959), dessen Wirkungen auf Hans Li­pinsky-Gottersdorf und auch auf Günter Grass (1927-2015) un­übersehbar sind. Die 29 Kapitel bieten „ein fesselndes Abbild der latifundialen Gesellschaftsstruktur im dynastischen Preußen“ (August Scholtis). Der Autor als slawischer Preuße schildert eine längst, spätestens 1945 untergegangene Welt, in der sich Preußentum und Polentum vermischten.

Der Autor hat versucht, den Roman weiterzuführen, hat aber zu Lebzeiten keine Fortsetzung mehr veröffentlicht. Zwei Jahre nach seinem Tod erschien ein als „Erzählungen“ deklarierter Prosaband unter dem Titel Die Prosna-Preußen. II. Band (1993).

Werke: Wanderung im dunklen Wind, Erzählungen, Göttingen 1953. – Finsternis über den Wassern, Erzählungen, Göttingen 1957. – Die Prosna-Preußen, Roman, Göttingen 1968. – Pferdehandel, Erzählungen, München 1975. – Der Sprosser schlug am Pratwabach, Erzählungen, Würzburg 1984. – Feindliche See, Erzählungen, Würzburg 1987. – Krähen im Februar, Erzählungen, Würzburg 1989.

Lit.: Hans Rudi Vitt, Hans Lipinski-Gottersdorf, Nachlassverzeichnis, Bibliographie, Materialien, Berlin 1993. – Wojciech Kunicki, Hans Lipinsky-Gottersdorf. Leben und Werk, Wroclaw/Dresden 2006.

Bild: Hans-Rudi Vitt, Hans Lipinsky-Gottersdorf, s.o.

Jörg Bernhard Bilke, 2017